Der Springer. Helmut H. Schulz

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      «Ja», sagt Gnievotta und hält das Mädchen, das ihm so fremd ist, fest, sieht in die blinzelnden, spöttischen Augen Elkes. Wer dieses Mädel mal kriegt, der kann sich auf was gefasst machen. Kunstreich gekämmt ist ihr Haar, sieht er jetzt.

      «Ist was?», fragt sie, stillhaltend, sich ihrer Wirkung auf den Vater bewusst, der letzten Endes auch nur ein Mann ist.

      «Na ja», sagt Gnievotta und lässt sie los. Dieses Fräulein ist seine Tochter. Väter gehen mit halb erwachsenen Töchtern am Arm spazieren; die Väter sagen «mein Kind» zu ihren Töchtern; die Töchter wiederum sagen «Papa», mit gedehnten Vokalen. Das soll es geben. Kommt die Zeit, wo die Väter ältlich werden, nach dem ersten Schlaganfall, dann sagen die Töchter: «Dein Stock, Papa.» - «Danke», antworten die Väter in solchen Fällen.

      Diese Tochter hier sagt einfach: «Hast du schon wieder gesoffen? Kannst du das nicht lassen?»,

      Ich bin heute früh alle gewesen, könnte Gnievotta sagen. Dann kam Kosch, du kennst ihn. Soll man so auseinander gehen? Später, an der Raststelle, habe ich noch zwei Kleine gehoben. Das ist alles. Er sagt aber nichts.

      Der Tisch ist gedeckt. Katja erscheint. Gnievotta betrachtet Katjas Frisur, die großen Hände mit dem roten Lack auf den kurzen Nägeln, schweigend mustert er die breite Gestalt seiner Frau. Nach dieser Frau verlangt es ihn nur noch selten. Tiefbraune große Augen hat sie, ihr Haar ist mittelblond und dicht. Sie ist nicht schön, war es vielleicht nie, bloß jung war sie. Das genügte, obwohl Gnievotta für so was keinen Blick hat und wahrscheinlich nie hatte. Er sucht, was hinter schönen Hüllen steckt, was nützlich ist. Katja ist von seiner Größe, sie erscheint schwerer, als sie wirklich ist. Gegen das Altern kämpft sie, möchte jung sein, jung ist Mode. Nie ist Jugend so idealbildend gewesen wie heute. Nicht, dass Gnievotta viel darüber weiß, er empfindet nur Missbehagen. Hier stimmt was nicht, glaubt er, das Verhältnis zwischen Anspruch und Leistung stimmt auch hier nicht. Die Gnievottas verbindet ein gewichtiges Bündel Jahre, das gewöhnliche Leben eigentlich. Sie sind lange her, die Kälberspiele, gut war's, schön war's. Was denn noch? Gnievotta sitzt am Tisch, kaut schweigend belegte Brote, trinkt Kaffee, den er kochen wollte und doch nicht gekocht hat.

      Nach dem Frühstück stellt er sich unter die Dusche. Bis auf einen schmalen Streifen um die Hüfte ist seine Haut braun, glänzt wie öliges Kupfer, kein Gramm Fett; nur die Narbe, von der Schulter bis zur Rückenmitte, ist rosa und wulstig. In diesen Tagen arbeiteten sie draußen fast nackt, war nicht anders zu ertragen, aber gefährlich, Gummistiefel, Helm und Handschuhe natürlich. Es riecht dort draußen nach Staub, verbranntem Metall und Altöl. Im heißen Wasser hält es Gnievotta lange aus.

      Katja kommt herein und reibt ihn trocken. Ob er wisse, was eine Info ist, fragt sie, und ob alle so dämliche Kinder hätten wie sie, die Gnievottas.

      Es hat keinen Zweck, auf das Gerede einzugehen. Außerdem sind ihre Hände sanfter geworden, gleiten zu den Hüften, und in ihren Augen ist das, was er mal sehr geliebt hat. Kälberspiele also sind vorbei, er hat auch kein Geschick dazu. Er führt sie ins Schlafzimmer, nimmt sich, was er braucht. Sein Atem geht schnell und stoßweise, einen Moment bleibt er auf ihr liegen, erschlafft, legt seinen Kopf in den Winkel, der durch Hals und Schulter gebildet wird. Jetzt, danach, küsst er sie auch.

      «Wenigstens rasieren hättest du dich können», sagt Katja, «so viel Zeit wäre schon noch gewesen.»

      «Na ja», sagt Gnievotta, dessen Gedanken schon wieder bunt durcheinander laufen. Die Kinder halte er für ganz in Ordnung, alles zusammengenommen und ihr Alter berücksichtigt. Was er auch glaubt. Von seinen Kindern hat Gnievotta ein heiles Bild, solange er sie nicht sieht. Katja hat sie dauernd um sich.

      «Ich auch», sagt sie, «ich bin die Mutter.» «Ganz was Neues», sagt Gnievotta. Man müsse sich mal an die eigene Jugend erinnern. Sie seien früher auch angeeckt. Er greift zum Nachttisch, wo die Zigaretten liegen, und zündet sich eine an.

      Neulich, sagt Katja, wäre hier einer im Haus erstickt, weil er im Bett geraucht habe und darüber eingeschlafen sei.

      Das Märchen kenne er, sagt Gnievotta, er habe aber noch nie einen getroffen, der im Bett beim Rauchen erstickt sei. Sie lachen beide über diesen ungewollten Witz, und Katja beißt Gnievotta in den Oberarm.

      «Hör auf», sagt Gnievotta. «Was soll das?»,

      Die Liebe geht schnell bei Gnievotta. Dann liegen sie eine Weile still. Gnievotta raucht und denkt nach.

      «Du», sagt Katja, «ab September geh ich zur Abendschule.»

      September, damit kann nur der nächste September gemeint sein, viel Zeit, wer weiß, was bis dahin geschieht.

      «Sigalla rät mir zu», sagt sie, «was meinst du?»,

      Gnievotta grinst. Er kennt doch Sigalla, den leicht vertrottelten Ingenieur, eine Art Bürovorsteher, dem zwanzig Weiber auf dem Kopf rumtanzen. Der rät, dass Katja studiert. Gnievotta glaubt nicht, dass sie ihre Arbeit so wichtig nimmt.

      Er steht auf, sucht den Rasierer und nimmt den zwei Tage alten Bart herunter. Auch Katja steht auf, bringt ihm ein weißes Hemd, eine graue Hose, an der noch das Preisschild baumelt. Die Hosen, die Katja kauft, passen nicht, sie haben nie gepasst.

      «Du hast abgenommen», sagt sie.

      «Kann sein», sagt er. «Du musst ja dauernd was kaufen.»

      «Was du an Hosen ramponierst», sagt sie. Sie zweifelt, ob sie Gnievotta dahin bringen kann, so auszusehen wie Nowacki, so ordentlich.

      Gnievotta schaut auf das Thermometer, auch heute wird ein heißer Tag werden. Die Sonne steht noch nicht hoch, aber es sind schon vierundzwanzig Grad. Katja holt Kornbrand aus dem Kühlschrank, die Flasche ist so kalt, dass sie beschlägt. Katja trinkt stets, was Gnievotta trinkt.

      «Pass auf», warnt er.

      Wie lange er bleibe, fragt Katja.

      Gnievotta erklärt, dass er mit Nowacki sprechen müsse, aber vielleicht erst am Montag abreise.

      «Oder schon in ein paar Stunden», sagt sie.

      Er überlegt, was er mit den anderthalb Tagen machen könnte, falls er bliebe. Mit Bodo müsste er sich aussprechen, was heißt aussprechen, zurechtstuken muss er ihn. Er könnte mit den Kindern auch mal baden fahren bei diesem schönen Wetter, könnte sich von seiner besseren Seite zeigen. Er kehrt hier zu sehr den Erzieher heraus. Seine Kinder sind doch schon halb erwachsen, aber eben nur halb erwachsen. Es fehlt noch viel. Katja beurteilt alles nach dem Augenschein. Aber er, Gnievotta, sieht da tiefer. Manchmal hört man zwar von sehr großen Schwierigkeiten, die andere Eltern mit ihren Kindern haben, aber die sind dann auch danach, die Eltern und die Kinder. Seine beiden haben ein ordentliches Zuhause. Was sie wünschen, bekommen sie, in Maßen, versteht sich. Zuviel soll ihnen nicht geschenkt werden. Am Ende renkt sich alles von selbst wieder ein, vielleicht ist auch überhaupt nichts, sicher.

      «Es wäre gut, wenn du bis Montag bliebst», sagt sie.

      Vielleicht ist es möglich, bis Montag zu bleiben, aber Gnievotta wäre doch gern früher draußen gewesen. Sie liegen beträchtlich zurück. Ohne die Reparaturzeiten an den Meißeln, ohne diese verfluchten Sandsteinschichten, deren Mächtigkeiten keiner genau kennt, ohne diese Hitzewelle, die Kräfte zehrt, würden sie besser dastehen, nicht gut, aber besser. Demnächst würde ihm Schikora ohnehin den Marsch blasen. Es kommt mal wieder alles zusammen. Draußen brennt jetzt die Hitze das Eisen aus, dreht sich der Bohrkopf, schlägt tonnenschweres

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