Goethestraße 8b. Andreas Eichenseher

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Goethestraße 8b - Andreas Eichenseher страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Goethestraße 8b - Andreas Eichenseher

Скачать книгу

liegt noch im Raum.

      Es riecht das Fremdwörterbuch.

      Und Fremdwörter, das sind Hieronymus´ Ansicht nach der Schlüssel zu eben jener Welt, deren neuester Bestandteil ausgerechnet er selbst sein will.

      Wild blättert er durch wahllose Seiten.

      „Ka... Kakophonie. Laute und Geräusche, die in Musik oder Literatur besonders hart, unangenehm oder unästhetisch klingen. Ja!“

      Er blättert durch die ersten Seiten.

      „Animosität. Feindseligkeit.“

      Und auch der Schluss scheint es ihm angetan zu haben.

      „Viril. Virilismus. Männliche Geschlechtsreife.“

      Hieronymus hört Bernd. Er muss schon an seiner Tür sein. Sofort springt er in die Höhe und läuft aus seiner Wohnung. Laute Schritte als Prophezeiung.

      „Ah. Du schon wieder! Wenn ich nur einmal meine vier Wände verlassen könnte, ohne auf die kränklich anmutende Kakophonie dieses Hauses treffen zu müssen.“

      Bernds Hände zittern, sind kalt und aus seinem Gesicht rinnt die Kraft ins Nichts, als Hieronymus Worte über ihn herfallen, so grausam, erbarmungslos über ihn herfallen.

      „Wie eine Wachsfigur über den Kerzen der Animositäten. Deine Fresse zerläuft ja förmlich. Oh, sieh dich nur an, man sollte dich sedieren.“ Hieronymus kennt das Fremdwort von einer Schwester aus dem Seniorenheim. Wäre Bernd diese Tatsache bewusst, er könnte sogar den kindlichen Stolz in Hieronymus Gesicht erkennen.

      „Und falls du noch länger farblos pulsierst: Gib Bescheid wenn du vom Virilismus überfallen wirst“, sagt Hieronymus kichernd.

      „Zwar bin ich eine Jungfrau dieser, doch kein viril verfehlter Spießer!“ Die Worte spien aus Bernd wie Feuerzungen. Ganz plötzlich und die Überraschung meißelt sich nicht nur in Hieronymus Gesicht, in dem just keine Beleidigung mehr wagt geboren zu werden.

      Wieso trotzte ihm nun auch sein verrückter Nachbar?

      Bernd, wo ist Bernd?

      Bernd floh in seine Wohnung, schlug die Türe fest zu, ließ die Rollläden nach unten aufs Fensterbrett schnellen und sitzt nun in dem Lichtkegel seiner Deckenbeleuchtung, mitten auf dem Boden. Der Rücken am harten Holz der Türe angelehnt, den Kopf gesenkt und die Qualen der letzten vierzig Jahre wiederkehrend an ihre Quelle lassend.

      Es ist dieses gedemütigte Dasein, das sich langsam einspielt. Und wenn ein einsamer Mann immer wieder in seiner traurigen Sauce badet, bildet er einen ganz besonderen Geschmack.

      Bernds Geschmack konnte man lesen.

      Er steht auf. Ihm ist etwas in den Sinn gekommen. Wörter kreieren Zeilen, die abstrakt im Bezug zu seiner Gefühlslage stehen können. Können.

      Der Computer ist an. Schon schreibt Bernd, nimmt Fahrt auf und wirft den literarischen Katalysator an.

      „Nebel, dichter Nebel. Man kann gar nichts sehen.

      Jeder Tropfen einsam am lautlosen Vergehen.

      Ach, sie stehen nur im Weg.

      Weg! Fort!

      Bis der Liebe Wärme brät,

      was nervend dort gewesen.

      Und auch der meine Körper, dieser.

      Klebt am Kern, am einsam Spießer.

      Einsamkeit, die nie verblüht.

      Einsamkeit. Weil sie berührt.

      Ist sie meine Farbmutter.“

      Und während aus Bernds gepeinigter Seele immer mehr Wörter in den von dicken Socken umringten Rechner fließen, sind es die augenscheinlich wahren Wassertropfen, die draußen vom Himmel fallen. Sie klopfen laut auf das Dachfenster in seiner Wohnung, teilen sich auf und laufen allesamt hinab in die Kupferrinne. Ein paar bleiben hier und da im Moos hängen, aber die meisten bahnen sich den Weg zum Fallrohr, das direkt im Erdboden verschwindet. Nur ein Tropfen findet schon eher nach draußen.

      Nur Einer.

      An der Verbindungsstelle zweier Kupferrohre ist ein winziges Leck. Der Regentropfen, er rinnt bis dato nur am Rand, krallt sich fest und tritt aus der Leitung. Gefühlvoll sitzt er da, genau auf Höhe des Küchenfensters Erich Einwegs, und beobachtet.

      Tochter Promesia deckt gerade den Tisch. Suppenteller mit altmodischen, blauen Verzierungen und mattes Besteck liegen auf der hellen Tischdecke. Leise Oldies aus dem Radio legen sich über den Raum und kreieren eine gemütliche Atmosphäre, die nicht lange überleben darf.

      „Papa!“ Promesia klopft an die Türe ihres Vaters Zimmers und öffnet sie.

      „Raus du...! Ich arbeite! Du weißt, dass ich nur schreiben kann, wenn ich allein bin. Verschwinde!“ Er drehte sich nicht herum, während er seine Tochter beschimpft. Sie sah nur seitlich seinen grauen Schnauzer, der sich im Takt zu den lauten Worten bewegte.

      „Essen“, sagt sie leise und mit hängendem Kopf, da dreht sich Erichs Gesicht zum ersten Mal zu ihr.

      „Gut.“

      Sie sitzen sich gegenüber. Man hört nur das Klirren der Teller, wenn die Löffel dagegen schlagen und das Schlürfen der Nudelsuppe, die gerade nicht zu heiß ist.

      Erichs Blick richtet sich einzig und allein auf sein wackeliges Besteck und deren Inhalt. Er isst mit seiner wenig feinmotorischen linken Hand.

      Seine rechte Hand fehlt. Ab dem Gelenk.

      Promesia beobachtet ihn beim Essen, doch anstelle mitleidige Blicke in Richtung ihres Vaters zu versprühen ist es aufschäumender Hass, der in ihren Augen brodelt. Beides wäre berechtigt.

      „Krieg ich...“, fragt Promesia, aber Erich unterbricht sie mit vollem Mund noch bevor sie ausreden kann.

      „Nein“, sagt er und zieht es in die Länge, als ob er eine Mauer bauen wollte.

      „Krieg ich eine neue Jacke? Eine Schöne. Eine Billige. Nicht mehr als vierzig Euro.“

      Erich legt den Löffel in den Teller, hebt seinen Blick und verharrt. Man kann nur schwer erraten, ob sein Schweigen vom Nachdenken über das Eingehen auf ihre Forderung herrührt, oder ein striktes Ablehnen ihres Wunsches bedeuten soll.

      Noch übertönt der sanfte Regen alles, auch sein Schlucken.

      „Ihr wollt immer nur! Ihr wollt immer nur!“ Das Schweigen wird gebrochen. „Ihr müsst lernen mit wenig auszukommen bevor es zu spät ist. 14 Jahre. Das ist doch eine lange Zeit. Du hattest doch eine schöne Zeit! Respektiere die Vergangenheit, dann... Dann kannst du dich demütig in Verzicht üben.“

      „Nur weil du verzichten musst, brauch ich mich doch noch lange nicht anpassen! Nur weil...“

      „Ich bin dein Vater! Das einzige Element,

Скачать книгу