Die Faulheit der Frauen. Renate Wullstein

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Die Faulheit der Frauen - Renate Wullstein

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war, sagte Loretta: ”Komischer Typ.”

      Ich nickte. ”Das sagst du jedes Mal.”

      ”Das sage ich jedes Mal?”

      ”Ja.”

      “Was willst du mit dem?” sagte sie.

      “Keine Ahnung”, sagte ich. Jedem in meiner Umgebung schien klar zu sein, dass wir kein Paar waren.

      ”Deine Kacheln”, rief ich Toni hinterher. Er stieg bereits ins Auto. ”Hol ich mir später”, rief er. ”Wann sehen wir uns heute Abend?”

      ”Um acht in der Kunstfabrik.”

      Toni

      Das Besondere an Toni, er war ein Stotterer, aber kein gewöhnlicher, sondern gewissermaßen ein Quartals-Stotterer. So war ich auf ihn aufmerksam geworden. Das hatte mich gereizt. Ich setzte Stottern mit Zurückhaltung, Schüchternheit und Unberührtheit gleich. Mein Fehler. Und wollte ihn erlösen. Er sprach die meiste Zeit normal und es überraschte einen jedes Mal, wenn es plötzlich stockte. Als Loretta mich das erste Mal mit ihm zusammen sah, erzählte sie später, dass sie einmal eine denkwürdige Begegnung mit ihm gehabt habe, als sie in der Tischlerei einen Auftrag für einige Fenster abgab. Da saß dieser Toni im Büro und brauchte mehrere Minuten für einen einzigen Satz, und sie dachte, wieso muss ausgerechnet er die Kundschaft betreuen. Das sei doch eine Zumutung. Einige Tage später hatte sie ihn im Café mit einem Mädchen in der Unterhaltung beobachtet. Fließende Rede. Der hat mich verarscht, dachte sie, der stottert gar nicht. Und war empört. Genauso lief auch meine erste Begegnung mit ihm ab. Ich lernte ihn stotternd, stockend, nach Luft ringend kennen. Die Tischler kamen jeden Abend zum Essen ins Hofcafé, ich kannte sie vom Sehen. Normalerweise half ich nur für eine Stunde in der Küche aus, aber an jenem Tag musste ich in den von mir ungeliebten Service. Ungeliebt, weil ich stets unter Stress geriet, denn ich hatte den Tick, dass es schnell gehen müsse, dass niemand wartete und am liebsten alle zugleich ihre Bestellungen bekamen. Es heißt, das zukünftige Leben eines Menschen ist bereits im Geburtsvorgang erkennbar. Meine Geburt war ungewöhnlich schnell passiert.

      Ich ging also zu den Tischlern und nahm die Bestellung auf. Toni war der letzte. Ich sah ihn an, und er rang schon nach Luft. Sch…sch…schinken…. K… k …k k käse….Omelett, und so weiter. Ich blickte seine Kollegen an, sie halfen ihm nicht. Was mich aber vollkommen verblüffte, er bestellte nicht wie die anderen ein oder zwei Gerichte, sondern vier. Und es dauerte eine Ewigkeit. Was für eine Frechheit, dachte ich, der Laden ist voll, die Leute warten auf mich, und dieser Typ stottert die gesamte Speisekarte ab. Er bestellte das Omelett, einen Französischen Salat, einen überbackenen Schafskäse und einmal Crepes Cointreau. Und ich starrte ihn an, schrieb auf, bevor er fertig war mit dem Wort, immer mit dem Impuls, an seiner Stelle zu Ende zu sprechen. Aber da es keiner von seinen Leuten tat, die ihn ja kannten, war mir klar, es gehörte sich nicht. Von diesem Tag an hatte ich ihn erwählt. Diesen jungen Mann zu erlösen, das war mein Auftrag. Wie Loretta, bemerkte auch ich, dass er die meiste Zeit überhaupt nicht stotterte. Er erzählte mir dann, dass er sich früher versteckt gehalten hatte, möglichst nicht redete, bis er sich zwang, in die Offensive zu gehen, die Leute mit seinem Stottern zu konfrontieren und sogar Spaß daran habe, wenn er neue Kundschaft empfing, zu beobachten, wie hilflos die meisten reagierten. Und was die Unschuld betraf, die habe er mit fünfzehn verloren.

      Den Nachmittag verbrachte ich mit der Steuererklärung und fand nach kurzer Zeit Gefallen an den Zahlen. Die Einnahmen rechnete ich korrekt zusammen, für die Ausgaben hatte ich keine Belege, also schrieb ich in die Rubrik Gewinnermittlung minus neunhundert, die Höhe meiner aktuellen Schulden.

      Auf dem Hof der Kunstfabrik, ehemals eine kleine Textilmanufaktur, wimmelte es von Leuten, die ich von anderen Ausstellungseröffnungen kannte. Ich entdeckte Toni sofort. Er lehnte an einer Hauswand und redete mit einem unbekannten Mädchen. Er hatte die Angewohnheit, an einem öffentlichen Ort zunächst so zu tun, als sähe er mich nicht. Nur heute, vielleicht wegen seiner Unhöflichkeit am Vormittag, winkte er kurz. Während ich den Hof durchstreifte auf der Suche nach einem Imbiss, dem Getränkestand und irgendeinem Gesprächspartner, behielt ich Toni im Auge. Er lehnte mit nur einer Schulter an der Wand, Arme verschränkt, Beine verschränkt und der schlanke Körper in abenteuerlicher Schräglage. Was gefiel mir eigentlich an ihm? Wie ein halb erwachsener Jüngling murrte er, wenn ich ihn berührte. Toni hörte dem unentwegt redenden Mädchen zu. Er sah mal hier, mal dorthin. Das bedeutete Entwarnung, in dieses Mädchen war er nicht verliebt, es war ihm gleichgültig.

      Gerade als er sich mit einem Ruck von der Wand abstieß und in meine Richtung kam, entdeckte ich eine lange Tischplatte, an der Essen verkauft wurde. Es war etwas Vietnamesisches oder Indonesisches, ein Brei aus dunklem Reis, Früchten, Fleisch und dazu eine schwarze klebrige Paste. Der Brei wurde in Schüsseln ausgeteilt. Ich stellte mich an die Schlange.

      ”Hallo”, sagte Toni. ”Wollen wir uns da drüben hinsetzen?”

      Mit da drüben meinte er einen Leiterwagen, der mit breiten Holzbrettern beladen war und einige freie Plätze hatte. Ich nickte. Kurze Zeit später saßen wir in gewohnter Vertrautheit, und ich gab nun einen ausführlichen Bericht über die Geschehnisse des letzten Tages, lobte das Finanzamt und tadelte nachdrücklich noch einmal die Bank.

      ”Wenn du arm bist, sind sie froh, dich los zu sein”, sagte Toni. ”Du bist für die nur eine Last.”

      ”Genau. Und wenn ich mal reich bin, wenn ich mal ganz viel Geld habe”, sagte ich. ”Dann bringe ich es nicht zur Bank. Auf gar keine Bank.”

      Toni lächelte. ”Da werden die sich mächtig ärgern.”

      ”Da hast du nun auch wieder Recht.”

      ”Wann, meinst du denn, hast du ganz viel Geld?”

      ”Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Ich suche noch nach einer Möglichkeit, die mir entspricht.“

      ”Es gibt unendliche Möglichkeiten.“

      ”Eben.”

      “Übrigens, ich will Ende des Jahres nach Italien fahren“, sagte Toni. „Wenn du Lust hast, fahren wir zusammen, fang also schon mal an, etwas Geld aufzuheben.”

      “Nach Italien?” rief ich. Fast hätte ich ihn umarmt.

      “Ich war noch nie in Italien”, sagte ich aufgeregt.

      “Ich weiß”, sagte Toni.

      “Ich war überhaupt noch nirgendwo.”

      Das war gelogen. Aber es lenkte vielleicht vom wahren Grund meiner Begeisterung ab.

      Toni seufzte, um meine Euphorie zu bremsen. Ich wackelte mit dem Kopf aus reiner Freude. Ich sah Hotelbetten, eine Nachtbar, Spaziergänge am Strand. Endlich war es soweit.

      „Ich komme mit“, verkündete ich überflüssigerweise.

      Toni hob die Hand und bedeutete mir, mich wieder zu beruhigen. Schließlich frönten wir einer unserer Lieblingsbeschäftigungen, beobachteten die unserer Meinung nach völlig degenerierten Mitgeschöpfe und lästerten.

      Fröstelnd, (denn ich hatte aus Eitelkeit die kurze Latzhose, grün-weiß-fein-gestreift, anbehalten), beschloss ich, nach Hause zu laufen und mich umzuziehen. ”Halt meinen Platz frei”, sagte ich.

      Nach einer halben Stunde

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