Theater in Bresel. Gerhard Gemke

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Theater in Bresel - Gerhard Gemke страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Theater in Bresel - Gerhard Gemke

Скачать книгу

nahm gedankenverloren ein ausgestanztes Pappstückchen und drückte es in das Puzzle, das auf dem Tisch vor dem Terrarium lag. Ihre Lippen bewegten sich im Takt mit Rosalindes Kauwerkzeugen.

      „… alle drei wären …“

      Die Heuschrecke zuckte ein letztes Mal.

      Dann war sie tot.

      Montag, 8. Dezember, 7.35 Uhr, Augsburg

      Zosch!

      Adelgunde zog den Kopf ein. Um Haaresbreite flog ein schwarzweißgefleckter Lederball an ihrer lockengewickelten Frisur vorbei. Der Luftzug ließ ihre Wimpern flattern. Adelgunde kippte beinahe über die Balkonbrüstung und der Ball verabschiedete sich aus dem zweiten Stockwerk in die Tiefe.

      Unten standen zwei Weihnachtsbaumverkäufer. Der kleine Dicke hielt einen riesigen Blechtrichter. Der andere, lang und dürr wie seine vertrocknete Ware, suchte gerade ein Tännchen aus, um es durch die Metallröhre in ein Netz schieben. Für eine pelzvermummte Kundin, die schon ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat.

      Tschack! steckte das schwarzweiße Leder wie ein Korken in dem Trichter.

      Der Dicke sprang zur Seite und quiekte. Der Blecheimer schepperte zu Boden, und der Lange musterte misstrauisch den grauverhangenen Himmel.

      Zwei Stockwerke über ihm zuckte Adelgunde herum, wie von einer Tarantel gebissen.

      „Kurt!“, keuchte sie. „Kurt und Knut!“

      Zwei noch nicht ganz elfjährige Gesichter blickten mit großen Augen an ihrer Mutter empor. Doppeltes Schulterzucken. Dann rannten die Zwillinge an Adelgunde vorbei und lehnten sich über das Balkongeländer.

      „Huhu!“, schrie Knut hinunter.

      „Er war's!“, schrie Kurt und zeigte auf seinen Bruder.

      „Nein, der mit dem Schnee im Gesicht!“, schrie Knut.

      „Wer hat denn hier …“ Weiter kam Kurt nicht, denn er kaute bereits eine Ladung schmutzigweißer Eiskristalle. Prustend wischte er sich den Matsch aus Augen, Ohren und Nasenlöchern. „Das kriegst du wieder!“

      Aber Adelgunde war schneller. Sie hatte sich wieder gefasst und packte ihre beiden Sprösslinge am Schlafittchen. „Ab in die Schule mit euch, und zwar dalli!“ Schon bugsierte sie die zwei zappelnden Früchtchen durchs Wohnzimmer in den Flur der Breselberg-Rummelpottschen Villa.

      „Und falls ihr euren Fußball sucht, fragt die beiden Weihnachtsmänner dort unten.“

      „Das kriegst du wieder!“, zischte Kurt, als sie wie begossene Pudel die Treppe hinunter stapften. Fast hätten sie dabei eine absonderliche Gestalt über den Haufen gerannt, die sich schimpfend die Stufen hinaufquälte.

      Eine Minute später klingelte es. Adelgunde kniete im Wohnzimmer und wischte gerade die Schneereste weg, die ihre Nachkommen auf den Holzdielen zurückgelassen hatten. Ärgerlich grunzend riss sie die Tür auf.

      „Was habt ihr denn nun schon wieder vergess… – ach, hallo Sibylle …“

      Draußen stand Sibylle. Sibylle von Oelmütz. Um genau zu sein: Fräulein Sibylle von Oelmütz. In schneebedecktem Lodenmantel und Winterstiefeln.

      „Was machst du denn … ähm … ja komm doch rein.“

      „Willst du nicht wissen, wie's mir geht?“ Sibylle rauschte ohne den Ansatz einer Begrüßung an Adelgunde vorbei und verteilte den Schneematsch unter ihren Sohlen auf dem Parkett.

      „Ja – doch. Wie geht's dir?“

      „Schlecht, meine Liebe, ganz schlecht.“

      Adelgunde seufzte. Sie wusste, was jetzt kam. Es war immer das Gleiche. Ächzend bückte sie sich mit dem Wischlappen nach den neuen Pfützen.

      „Könntest du bitte die Schuhe …“

      Unwirsch trat Sibylle die Winterstiefel von den Hacken, warf den Lodenmantel unter die Garderobe und ließ sich auf's Rummelpottsche Sofa fallen. Unter ein riesiges Ölgemälde, das eine Ritterburg zeigte, die von schroffen Felsen herab auf eine Handvoll geduckter Bauernhäuser blickte. Burg Knittelstein.

      „Ich halt es nicht mehr aus“, begann Sibylle und zupfte ihre graue Strickjacke zurecht.

      Ich auch nicht, dachte Adelgunde, während sie Sibylles Stiefel einsammelte und ins Badezimmer verfrachtete.

      Und dann ging es los. Wie üblich. Das dürre Fräulein Sibylle von Oelmütz klagte und klagte.

      Der lange Weihnachtsbaumverkäufer stellte den Blechtrichter mit der breiteren Öffnung in den Schnee. Sein Overall war gespickt mit aufgenähten Tannenzweigen, die bei jeder Bewegung raschelten und zwickten. Der Lulatsch kratzte sich am Rücken. Die vermummte Kundin hatte längst das Weite gesucht. Es gab ja genug Weihnachtsbaumverkäufer in Augsburg. Mehr als genug.

      „Carlo.“

      „Ja Ede?“

      Der kleine Dicke, der offensichtlich auf den Namen Carlo hörte, hatte sich seinen Schal bis unter die rote Nase, und die Pudelmütze tief über die vereisten Augenbrauen gezogen. Bibbernd stapfte er zwischen den Weihnachtsbäumen hindurch.

      „Gib mal das Teil da rüber!“ Ede winkte in Richtung einer erbärmlich krummen, fast kahlen Fichte.

      „Wozu denn?“

      Edes eisiger Blick reichte. Carlo zog den Kopf noch tiefer in den Schal und zwängte sich durch die nadelige Ausstellung. Es dauerte, bis er wieder herausfand. Dann überreichte er Ede zitternd das schwindsüchtige Bäumchen. Ede rammte es ohne ein Dankeschön in den Blechkübel. Das Leder-Ei darin löst sich.

      Und schon plärrte in Edes Rücken eine noch nicht ganz elfjährige Kinderstimme: „Eh! Das ist mein…“

      Matsch! Der Rufer verstummte und spuckte röchelnd Schnee und Streusalz.

      „Er war's!“, quäkte Kurt und riss Ede den Fußball aus der Hand.

      „Na warte!“, gurgelte Knut.

      Kurtchen flüchtete durch den Nadelwald und hinterließ eine Schneise entlaubter Fichten. Knut hinterher, was das Ergebnis nicht schöner machte. Der graue Herr, der auf die Tännchenverkäufer zusteuerte, hob beide Arme, als die Zwillinge rechts und links an ihm vorbeirasten. Eine Weile waren noch die allerliebsten Kosenamen zu hören, die sie sich samt Schneematsch an die Köpfe warfen. Dann wurde es wieder still.

      „Na“, sagte der Herr im grauen Pudelfellmantel und schwarzem Hut. „Wie laufen die Geschäfte?“

      „Och“, machte Carlo und schniefte, „naja …“

      „Schlecht“, sagte Ede und kratzte sich im Nacken. „Um nicht zu sagen: Gar nicht.“

      Der graue Herr nickte. Er war jetzt dicht an die beiden Weihnachtsbaumverkäufer herangetreten.

      „Es gibt zu viele von euch.“ Er streichelte einer noch ganz ansehnlichen Nordmanntanne über die Zweige.

Скачать книгу