Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Rita anonym um 1900
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18. August: Gestern abends war ein herrliches Kaiserfest mit Illumination. Wir kamen erst um ½1 Uhr nachhause. Zuerst gingen wir zum Parkkonzert und zur Beleuchtung. Von den Höhen schossen sie herunter und Höhenfeuer brannten überall; es war förmlich schaurig, obwohl es wunderbar war. Mir schnapperten ein paarmal die Zähne, ich weiß nicht aus Angst, dass etwas geschieht, oder was. Dann kam der R. zu mir und erzählte mir riesig viel. Er will unbedingt Offizier werden. Aber da braucht er eigentlich gar nicht so viel lernen, da lernt er alles jetzt umsonst. Er sagt, das macht nichts, das gibt ein riesiges Übergewicht. Ich finde nicht, dass er etwas blöd ausschaut, das sagt der Oswald nur, damit ich mich recht ärgere. Auf einmal waren wir von den anderen ganz getrennt und da setzten wir uns auf eine Bank und warteten auf sie. Derweil fragte ich den R. nochmals wegen der anderen Vereine, bei denen so unanständige Sachen eingeführt sind. Aber er sagte es nicht, er sagte, er wolle mir nicht meine Unschuld rauben. Das finde ich sehr blöd; vielleicht weiß er es selber nicht und tut nur so. Nur das sagte er, dass jeder beim Eintritt in den Verein so lang gekitzelt wird, bis er es nicht mehr aushalten kann. Und einmal hat einer Veitstanz bekommen, das sind schreckliche Krämpfe und da wäre bald alles aufgekommen. Und seither dürften sie in ihrem Verein nicht mehr kitzeln? Soll ich dich auch ein bissel kitzeln? Untersteh dich nicht, sag ich, und überhaupt du traust dich auch gar nicht.
Er lacht riesig und auf einmal packt er mich am Arm und kitzelt mich unter der Achsel. Ich habe schrecklich lachen müssen, aber ich habe es verbissen, weil doch manchmal Leute vorbeigegangen sind. Drum ließ er mich auch aus und kitzelte mich in der Hand. Das war zuerst ganz angenehm, aber später ärgerte ich mich schon und riss ihm die Hand weg. Da kam gerade die Inspee mit zwei anderen Mädchen und wie sie vorbei waren, gingen wir schnell hinter ihnen, als ob wir immer so gegangen wären. Dadurch habe ich mir einen Putzer von der Mama erspart, die immer will, dass alle beisammen sind. Beim Weggehen sagt der R.: Pass auf Gretel, einmal kitzel ich dich so, dass du schreist. – Lächerlich, das lasse ich mir nicht gefallen, da gehören doch zwei dazu.
Richtig, bei der Juxtombola habe ich eine Vase mit 2 Turteltäubchen und ein Sackerl mit Bonbons gewonnen und der R. ein Essbesteck. Das hat ihn furchtbar geärgert. Die Inspee hat eine Füllfeder gewonnen, wie ich sie mir wünsche und einen Spiegel, in dem man furchtbar hässlich ausschaut. Das gönne ich ihr, weil sie sich so viel einbildet.
29. August: Gotteswillen, es ist mir etwas Grässliches passiert. Ich habe Seite 30 bis 34 verloren vom Tagebuch. Ich muss es entweder im Garten oder auf der Louisenhöhe liegen gelassen haben. Das ist furchtbar. Wenn das wer findet. Und ich weiß nicht einmal genau, was gerade auf diesen Seiten steht. Ich bin rein zum Unglück geboren. Wenn ich nicht der Hella geschworen hätte, alle Tage Tagebuch zu schreiben, so tät ich am liebsten ganz aufhören. Wenn die Mama oder gar der Papa etwas erfährt. Und heute regnet es so gräulich, dass ich nicht einmal in den Garten gehen kann, und auf die Louisenhöhe schon gar nicht, überhaupt nicht allein. Ich muss es vorgestern verloren haben, denn gestern und vorgestern habe ich nicht geschrieben. Wenn es nur niemand findet, das wäre grässlich. Ich bin so aufgeregt, dass ich zu Mittag gar nichts essen konnte, obwohl wir meine Leibspeise Moor im Hemd hatten. Und ich bin auch so unglücklich, denn der Papa war so besorgt und die Mama auch und sie fragten in einer Tour, was mir fehlt und ich konnte kaum das Weinen verbeißen vor allen Leuten. Wir waren nämlich heute im Hotel, weil die Resi für 2 Tage weggefahren ist. Und dann im Zimmer bei den Eltern durfte ich auch nicht weinen, weil ich mich sonst verraten hätte. Ich habe nur eine Hoffnung, dass niemand weiß, dass die Blätter von mir sind, weil wir die Hella und ich im Tagebuch steil schreiben, erstens, damit niemand unsere Schrift erkennt und zweitens weil man mehr Papier erspart als beim gewöhnlichen Schreiben. Wenn es nur morgen schön wäre, dass ich gleich in der Frühe in den Garten suchen gehen könnte. Heute freut mich gar nichts und ich habe mich nicht einmal sehr geärgert, wie die Inspee sagte: O, vielleicht einen Streit gehabt mit dem Herrn Bräutigam?
30. August: Im Garten ist es nicht. Ich habe die Mama gebeten, dass wir Nachmittag unbedingt zur Louisenhütte gehen. Die Mama war furchtbar lieb und fragte, warum ich so aufgeregt bin, ob mir etwas geschehen ist. Und da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und weinte grässlich. Und sagte der Mama, ich habe etwas verloren, was mir schrecklich ist. Die Mama glaubte den Brief der Hella, den sie mir am Dienstag schickte und da sagte ich: Nein etwas viel Ärgeres, mein Tagebuch. Da sagte die Mama: Nun das ist doch hoffentlich nicht so arg und das wird doch niemanden interessieren. O ja, sage ich, weil alles vom R. seinem Verein drin steht. Und da sagt die Mama: Schau Gretel, weil du schon vom R. sprichst; ich sehe wirklich nicht gern, dass du immer bei Warth bist; sie passen wirklich nicht zu uns und der R. ist keine Gesellschaft für dich; du bist jetzt, wo du ins Lyzeum kommst, kein kleines Kind. Versprich mir, dass du nicht ewig mit ihnen bist. – „Ja Mama, ich werde mich unauffällig zurückziehen.“ Da hat sie furchtbar gelacht und mich auf beide Wangen geküsst und hat mir versprochen, dass sie der Inspee nichts sagt vom Tagebuch, denn die braucht nicht alles wissen. Gott die Mama ist so entzückend. Noch 3 Stunden und vielleicht liegen die Blätter noch dort.
Am Abend: Gott sei Dank! Vor der Hütte lagen 2 Blätter ganz zerweicht vom Regen und verwischt und ein Blatt lag auf dem Fußboden, das war ganz zerrissen. Da muss einer mit dem Absatz darauf gestanden sein und 2 Blätter waren zu einem Fidibuß gerollt und etwas verbrannt. Also hat niemand etwas gelesen. Ich bin so glücklich und beim Nachtessen sagte der Papa: nun was leuchten denn deine Augen so überglücklich? Hast du das große Los gezogen? und da habe ich die Mama auf den Fuß getreten, dass sie mich nicht verrät und der Papa hat furchtbar gelacht und gesagt: So, mir scheint, da wird in meinem eigenen Hause eine Verschwörung angezettelt und ich sag schnell: Wir sind zum Glück nicht im eigenen Haus, sondern im Hotel und alle lachen und jetzt ist Gott sei Dank alles vorüber. Aber durch Schaden wird man klug. Das passiert mir kein zweites Mal.
31. August: Ich gehe wirklich weniger mit W. und mit dem R. Ich glaube, er ist beleidigt. Heute Nachmittag, wie ich zur Jause hinaufgehe, fasst er mich beim Handgelenk und sagt: Dein Vater hat recht, du bist eine Hex. „Dich muss man kuranzen“. Das ist eine Gemeinheit. Ich habe übrigens nicht gewusst, was kuranzen heißt. Da habe ich den Papa gefragt und er hat mir 's erklärt und gefragt woher ich das habe. Da sagte ich, ich habe es im Vorbeigehen von 2 Herren gehört. Eigentlich habe ich geglaubt kuranzen heißt kitzeln. Aber es geht mir furchtbar ab, wenn ich niemanden zu Reden habe. Die meisten Leute sind schon fort und wir fahren auch heute 8 Tage. Wegen dem Kuranzen ist das so. Den Papa lüge ich nicht gerne an, aber man wird förmlich gezwungen dazu. Ich kann doch nicht sagen der R. will mich kuranzen, wenn ich nicht einmal weiß, was das heißt. Die Dora lügt noch viel mehr, und ich freue mich immer, wenn ich ihr auf eine Lüge komme, nämlich ihre Lügen sind so handgreiflich. Ich werde nie ertappt. Nur einmal, damals wie die Frau Oberst v. Stary da war, da hat der Papa etwas gemerkt, weil er dann sagte: Du Schlaucherl, du abgedrehtes.
3. September: Eine solche Gemeinheit! Ich rede mit dem R. nie mehr ein Wort. Der Oswald hat wirklich recht, wenn er sagt, er ist ein Lausbub. Wenn ich wirklich aus der Schaukel gefallen wäre, hätt ich mir den Fuß brechen können, 4 Tage vor dem Wegfahren. Und die Fragerei, wie das passiert ist. So kitzeln ist wirklich eine Frechheit und ich hab ihm ein ordentliches mit dem Absatz hineingehaut. Mir scheint auf die Nase oder den Mund. Und dann untersteht er sich zu sagen: Eigentlich geschieht mir recht, das kommt davon, wenn man sich mit solchen Fratzen, mit solchen Wickelkindern abgibt. Der hat's notwendig, er ist selber noch nicht ganz vierzehn. Das war bloß geschwindelt mit den fünfzehn Jahren und er soll einer