Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Rita anonym um 1900

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Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Rita anonym um 1900 gelbe Buchreihe

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es ist natürlich nicht wahr, sie weiß gar nichts. Der Papa ist wütend und die Mama hat ganz verweinte Augen. Zu Mittag redet kein Mensch ein Wort. Wenn ich nur wüsste, was er getan hat. Der Papa hat gestern furchtbar geschrien mit ihm und da haben wir, die Dora und ich gehört, wie er gesagt hat: So ein Lausbub hat es notwendig, (jetzt haben wir etwas nicht verstanden) und dann hat er gesagt, du schau in deine Schulbücheln und nicht auf die Mädeln und die verheirateten Frauen, du Lausbub du. Und die Dora sagt: Ah jetzt versteh ich und ich sag: Ich bitt dich, sag mir was denn, es ist doch mein Bruder so gut wie deiner. Aber sie sagt: „Das verstehst du nicht, das passt nicht für so junge Ohren.“ Das ist eine Gemeinheit, für ihre Ohren aber passt es und sie ist doch nur um nicht einmal ganz drei Jahre älter als ich. Aber weil sie das blaue Kleid halblang bekommen hat, bildet sie sich so viel ein und glaubt, sie ist eine Dame. So schauen sie aus, die Damen und dann nascht sie Kompott, dass sie den Mund ganz voll hat und gar nicht reden kann. Wenn ich so etwas merke, rede ich immer auf sie, dass sie antworten muss. Das ärgert sie furchtbar.

       9. Oktober: Jetzt weiß ich alles!!! Also daher kommen die kleinen Kinder. Und das hat am Ende der Robert damals gemeint. Nein, das tue ich nie, ich heirate einfach nicht. Denn dann muss man es tun; es tut furchtbar weh und doch muss man. Wie gut, dass ich es schon weiß. Aber ich möcht nur wissen, wie, die Hella sagt, das weiß sie auch nicht genau. Aber vielleicht sagt es ihr ihre Cousine, die weiß nämlich wirklich alles. Und neun Monate dauert es, bis man das Kind kriegt und dabei sterben sehr viele Frauen. O, das ist grässlich. Die Hella weiß es schon lang, aber sie hat sich nicht getraut, mir was zu sagen. Ihr hat‘s heuer am Lande ein Mädel gesagt. Und sie hat es der Lizzi, ihrer Schwester sagen wollen, eigentlich sie hat sie nur fragen wollen, ob das alles wahr ist und die Lizzi rennt zu ihrer Mama und sagt ihr, was die Hella gesagt hat. Und ihre Mama sagt: „Das ist schrecklich mit den Kinder, so eine verdorbene Generation, dass du dich nicht unterstehst, einem anderen Kind das zu sagen, vielleicht zu der Grete Lainer“ und gibt ihr ein paar Ohrfeigen. Als ob sie was dafür könnte! Darum hat sie mir so lange nicht geschrieben. Die Arme, nein die Ärmste, aber jetzt kann sie mir alles sagen und wir werden eine die andere nicht verraten. Und die Inspee, die falsche Katze, weiß das natürlich längst und will es nur nicht sagen. Aber das weiß ich doch nicht, warum der Robert damals bei der Schaukel gesagt hat: Du Närrin, davon kriegt man noch lang kein Kind. Vielleicht weiß es die Hella. Wenn ich Nachmittag ins Turnen gehe, gehe ich vorher zu ihr und frag sie. Gott, ich bin so neugierig.

      10. Oktober: Ich habe eine grässliche Angst, ich war gestern nicht in der Turnstunde. Ich war bei Hella oben, und da habe ich mich ohne Absicht so verspätet, dass ich mich dann nicht getraut habe hinzugehen ins Turnen. Und die Hella hat gesagt, ich soll nur bei ihr bleiben, wir sagen die Rechenaufgabe war so schwer, wir haben sie solange nicht können. Zum Glück haben wir wirklich eine. Aber ich habe zuhause gar nichts gesagt, weil morgen der Oswald wegkommt nach G. zum Herrn Dir. S. Jetzt habe ich geglaubt, ich weiß schon alles und jetzt hat mir die Hella erst wirklich alles gesagt. Das ist grässlich mit der P... Ich kann‘s gar nicht weiter schreiben. Sie sagt, natürlich hat‘s die Inspee schon, schon damals wie ich geschrieben habe, die Inspee braucht nicht baden gehn, wenn sie nicht will; da hat sie es bekommen. Und wie das nur sein muss, da muss man doch immer Angst haben. Ströme von Blut sagt die Hella. Aber da wird ja alles ganz bl... Und darum hat die Inspee immer das Licht abgedreht am Land, wenn sie noch gar nicht ausgezogen war, damit ich nichts sehe. Pfui Teufel, ich hätte auf keinen Fall hingeschaut. Mit 14 Jahre bekommt man es und es dauert bis 20 Jahre. Die Hella sagt, die Franke Berta in unserer Klasse weiß alles. Sie hat ihr in der Rechenstunde auf den Faulenzer geschrieben: Weißt du was P... bedeutet? Und die Hella hat darunter geschrieben, natürlich schon längst. Und dann hat die Franke um 12 Uhr auf sie gewartet, wie die Katholischen Religionsstunde gehabt haben, und sie sind damals mit einander nachhause gegangen. Ich erinnere mich noch ganz gut, ich habe mich sehr geärgert, weil das keine Freundschaft ist. Am Dienstag gehen wir mit der Franke, die Hella hat ihr schon geschrieben unter der Stunde, dass ich alles weiß und sie braucht sich nicht genieren. Die Inspee ahnt etwas, sie schaut immer herüber und lacht höhnisch, sie glaubt wahrscheinlich, nur sie kann es wissen.

       16. Oktober: Morgen ist der Geburtstag vom Papa und von der Dora. Ich ärgere mich jedes Jahr, dass die Dora gerade mit dem Papa zusammen Geburtstag hat. Am meisten ärgert mich eigentlich, dass sie sich so viel darauf einbildet, denn es ist ja wirklich ein bloßer Zufall, wie der Papa immer sagt. Und ich glaube, ihm ist es nicht einmal besonders angenehm. Jeder will doch seinen Geburtstag an einem eigenen Tag haben, nicht mit jemanden anderen zusammen. Und diese Einbildung, die ist schon nimmermehr schön. Übrigens heuer ist es so nichts mit einer ordentlichen Geburtstagsfeier wegen der Geschichte mit dem Oswald. Der Papa ist wütend, und er hat sich auf 2 Tage im Bureau frei gemacht, weil er nach G. gefahren ist, wohin der Oswald kommen soll.

      17. Oktober: Es war doch schöner heute, als ich geglaubt habe. Die ganze Familie Bruckner war da, und da ist natürlich vom Oswald nicht viel geredet worden, nur dass er einen verstauchten Fuß hat, (das ist aber nicht wahr, das weiß ich jetzt bestimmt) und dass er wahrscheinlich nach G. kommt. Und der Oberst B. hat gesagt: Das Beste für einen Bub ist die Militäranstalt, da muss er parieren. Und am Abend hat der Oswald gesagt: Das ist ein Stuss, was der Hella ihr Papa gesagt hat, denn in der Militäranstalt kann man ebenso gut herausgeschmissen werden, wie aus dem Gymnasium. Das sieht man doch am Edgar Groller. Damit hat er sich aber verraten, und die Dora hat auch gleich gesagt: Ah so, herausgeschmissen bist du worden, und wir haben geglaubt, du hast den Fuß verstaucht. Da hat er sich furchtbar geärgert und hat gesagt: Euch Gören, wird man nicht alles auf eure frechen Nasen binden und hat die Tür zugehauen, weil die Mama gerade nicht im Salon war.

       19. Oktober: Wenn wir nur erfahren könnten, was eigentlich mit dem Oswald war. Mit einem Mädchen muss es etwas sein. Aber was der Papa dann von einer verheirateten Frau gesagt hat, das wissen wir nicht. Wahrscheinlich hat ihn eine verheiratete Frau beim Direktor oder beim Klassenvorstand angezeigt, und so ist dann alles herausgekommen. Es tut mir eigentlich furchtbar leid: denn ich denke mir, wie es mir gewesen wäre, wenn alles herausgekommen wäre vom Robert und mir. Jetzt ist es mir ja alles eins. Aber damals im Sommer wäre es mir furchtbar gewesen. Der Oswald spricht fast kein Wort, höchstens noch mit der Mama. Er tut immer, als ob er lesen würde, aber lächerlich, mit einem solchen Liebeskummer liest man doch nicht wirklich. Ich habe der Franke nichts Näheres erzählt, nur dass mein Bruder eine unglückliche Liebe hat und deswegen hier in Wien ist. Und da hat sie uns erzählt, dass sich heuer im Sommer ein Cousin von ihr wegen ihr erschossen hat. In der Zeitung ist gestanden wegen einer Schauspielerin, aber das ist nicht wahr, es war wegen ihr. Sie wird nämlich schon 14 Jahre.

      20. Oktober: Wir gehen jetzt meistens mit der Franke. Sie sagt, sie hat schon wahnsinnig viel erlebt, aber sie kann es uns jetzt noch nicht erzählen, weil wir uns noch nicht gut genug kennen. Bis später einmal. Wahrscheinlich fürchtet sie sich, wir könnten sie verraten. Sie will längstens mit 16 Jahren heiraten. Also in zwei Jahren. Da macht sie natürlich das Lyzeum nicht fertig, sondern tritt schon aus der 3. Klasse aus. Sie hat drei Verehrer, aber sie weiß noch nicht, wen sie wählen wird. Die Hella sagt, ich solle doch nicht alles glauben, das mit den drei Verehrern auf einmal ist bestimmt aufgeschnitten.

      21. Oktober: Die Franke sagt, wenn man blaue Ringe hat, dann hat man es und wenn man ein Kind bekommt, dann hat man es nicht mehr, bis man wieder eins bekommt. Und sie hat uns auch erzählt, wie man es bekommt, aber das glaube ich nicht recht, mir scheint, das weiß sie selber nicht ganz genau. Da ist sie sehr böse geworden und hat gesagt: „Gut, so red ich gar nichts mehr. Wenn ich es so nicht weiß.“ Aber das von Mann und Frau, das versteh ich nicht. Sie sagt, es muss jeden Abend geschehen, sonst bekommen sie kein Kind; wenn sie einen Abend vergessen, so bekommen sie kein Kind. Und darum stehen die Betten ganz nebeneinander. Das nennt man Ehebetten!!! Und es tut so weh, dass man es kaum aushalten kann. Aber man muss, denn der Mann kann einen dazu zwingen. Wieso zwingen, das möchte ich gerne wissen. Aber ich hab nicht gefragt, weil sie sonst geglaubt hätte, ich mache mich lächerlich über sie. Und die Männer haben es auch, aber nur sehr selten. Wir gehen jetzt immer mit der Franke Berta, sie ist ein sehr liebes Mädel, vielleicht darf ich sie am nächsten Sonntag einladen.

      23.

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