Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Rita anonym um 1900
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24. Dezember: Der Weihnachtstag Nachmittag ist scheußlich. Man weiß nicht, was man tun soll, nichts freut einem mehr. Aufs Eis mag ich auch nicht, so schreibe ich jetzt lieber. Gestern ist der Oswald gekommen. Alle sagen, dass er gut aussieht; ich finde ihn schrecklich blass, und er hat auch ganz höhnisch gelächelt, wie alle seine gute Farbe lobten; natürlich, wie kann er denn gut aussehen, wenn er einen Liebesgram hat. Ich möchte ihm gern sagen, dass ich ihn ganz gut verstehe, aber er ist zu stolz, ein Mitleid anzunehmen. Er hat sich einen Armeerevolver zu Weihnachten gewünscht, aber ich glaube, er bekommt ihn nicht, weil Mittelschüler keine Waffen haben dürfen. Vor einiger Zeit hat im Gymnasium in Galizien ein Schüler seinen Professor aus Rache erschossen; es hat geheißen wegen schlechten Fortgang, aber in Wirklichkeit war es wegen einem Mädchen, obwohl der Professor schon 36 Jahre alt war. Heute vorm. war ich mit dem Oswald in der Stadt, Einkäufe besorgen; wir haben die Warth begegnet, nämlich die Elli und – – – den Robert. Der Oswald findet die Elli ganz passabel, aber der Robert ist ein grünes Scheusal, sagt er; und es passt ihm nicht sagt er, dass er mich so anglotzt. Wenn er erst das vom Sommer wüsste! Ich habe den Robert furchtbar von oben herunter behandelt, und das hat ihn wütend geärgert. Wenn man Euch Mädeln nur behüten könnte vor all dem Traurigen, was die Welt „Liebe“ heißt, sagte der Oswald am Nachhauseweg. Und wie ich anfangen will zu sagen „Ich weiß, dass Du unglücklich liebst und fühle mit Dir“, biegt die Inspee mit ihrer guten Freundin um die Ecke der Bognergasse und es rennen ihnen 2 Offiziere nach, so dass sie uns gar nicht gesehen haben. „Saperment, die Frieda hat sich herausgemausert, das ist ein feiner Bissen“, sagt der Oswald. Solche ordinäre Bemerkungen kann ich nicht ausstehen und ich habe auch den ganzen Weg nicht mehr geredet. Er hat es auch bemerkt und hat zur Mama gesagt: „Der Gretel ist vor Neid der Mund zugefroren“. Weiter nichts. Das ist wirklich infam, und ich weiß wenigstens, was ich zu tun habe.
Gott, schnell noch ein paar Worte. Der ganze Weihnachtsabend ist verpatzt. Ein Dienstmann hat für die Dora ein Boukett abgegeben, und der Papa ist wütend. Ich möchte nur wissen von wem? Am Ende, gar von den 2 Offizieren heute? Die Inspee sagt natürlich, sie weiß nicht, von wem. Mich wundert nur, dass der Oswald nichts verraten hat. Er sagte nur: Na, das ist auch ein Gusto! Aber der Papa hat ihn gleich recht angefahren: „Du halt das Maul und denk an deine Schweinereien.“ Das habe ich ihm gegönnt; ich finde ja auch die Dora nicht so großartig, aber schließlich kann sie ja doch einem gefallen. Im Boukett war ein Gedicht, das hat die Dora schnell heimlich herausgerissen, ehe es der Papa gesehen hatte. Es ist sehr schön und als Unterschrift steht: Einer, dem Sie das Weihnachtsfest verschönern! Und als Überschrift: „Festzauber“. Ich finde es geradezu heroisch, dass die Dora sich nicht verrät; sie behauptet auch zu mir, sie weiß es nicht; wenn das nicht eine ihrer Falschheiten ist. Ich glaube, eigentlich eher wird es von dem jungen Perathoner sein, der immer mit ihr läuft am Eis.
28. Dezember: Ich habe gar keine Zeit gehabt zum Schreiben. Ich habe alles bekommen, was ich mir gewünscht habe. Und von der Tante Dora haben wir jede einen Operngucker aus Perlmutter in Pelüschetäschchen bekommen. Wir werden nämlich in alle Schülervorstellungen gehen, wir haben von Papa die Anweisung bekommen; nämlich die hat er selbst geschrieben für alle Vorstellungen im Schuljahr 19.. bis 19.. Ich freue mich furchtbar, denn die Frau Dr. M. kommt auch. Wenn ich nur neben ihr sitzen könnte.
31. Dezember: Ich habe heute alles durchlesen wollen, was ich geschrieben habe. Aber ich bin nicht dazugekommen. Aber im neuen Jahr muss ich wirklich alle Tage schreiben.
Januar 1901
1. Jänner 1901(?): Wenigstens ein paar Sätze muss ich schreiben. Nachmittags waren wir bei Rydbergs eingeladen, und da waren auch die Warth Edle von Wernhoff!! dort. Mit der Lisel habe ich geredet wie gewöhnlich, aber mit dem R. kein Wort. Sie sind früher fort als wir, und da hat mich die Heddy gefragt, was ich mit dem R. gehabt habe. Er hat von mir gesagt: Die schwarze Gans kann mir gestohlen werden. Und dann hat er gesagt, mir kann man alles aufbinden. Ich bin so dumm, dass ich alles glaube. Was das eigentlich heißen soll, weiß ich nicht; denn er hat mir nie etwas aufgebunden. Übrigens werde ich mir nicht den ersten Tag im Jahr durch den verderben lassen. Aber da hat die Hella Recht, wenn man am 1. Jänner einen ordinären Menschen zuerst begegnet, so ist das schon ein schlechter Anfang. Ich begegnete nämlich in der Frühe, wie ich aus dem Tore ging, unseren alten Briefträger, der immer so brummt wenn ihm nicht gleich aufgemacht wird. Ich schaute schnell weg und drüben ging gerade ein feiner junger Herr, aber das nützte nichts mehr, der ordinäre Briefträger war doch der erste.
12. Jänner: Ich ärgere mich furchtbar. Wir dürfen nicht mehr auf Eis gehen, weil die Inspee wieder mit ihren dummen Ohren anfängt und die Mama bildet sich ein, sie hat sich im vorigen Jahr die Mittelohrentzündung am Eis geholt. Also gut, dann soll sie nicht gehen; aber ich? Was kann denn ich dafür, dass sie so empfindlich ist? Der Papa ist sonst wirklich die Gerechtigkeit selber, aber in diesem Falle verstehe ich ihn nicht. Das ist doch einfach lächerlich, das heißt, es ist zu traurig, als dass man sagen kann lächerlich. Ich bin empört. Jedenfalls rede ich gar nichts.
12. Februar: Jetzt habe ich einen ganzen Monat nicht geschrieben, weil ich so viel lernen musste. Und heute haben wir die Zeugnisse bekommen. Im Fleiß habe ich, trotzdem ich so gelernt habe in der letzten Zeit, wieder nur einen Zweier. Die Frau Dr. M. hat eine großartige Ansprache gehalten und hat gesagt: Wie die Saat, so die Ernte. Das ist aber nicht immer wahr. In Naturgeschichte habe ich zweimal nichts gekonnt und habe doch 1 bekommen und in Geschichte habe ich nur einmal nichts gekannt und habe Genügend bekommen. Allerdings kann mich das Fräulein V. nicht leiden, weil ich damals in der Elektrischen nicht gegrüßt habe. Und deshalb hat sie auch im Jänner, wie die Mama nachfragen war, gesagt: „Es fehlt ihr am richtigen Ernst.“ Und damals habe ich gehört, wie der Papa zur Mama gesagt hat: Mein Gott, sie ist doch noch ein Kind, aber heute hat er mir doch einen Skandal wegen dem Fleißzweier gemacht. Das hat er doch wissen können. Die Dora hat, wie sie behauptet, lauter Einser, aber sie zeigt das Zeugnis nicht. Und was ich nicht sehe, das glaube ich nicht. Und die Mama verrät sie einfach nicht.
15. Februar: Der Papa ist wütend, weil der Oswald ein Nichtgenügend hat im Griechisch. Eigentlich ist das Griechisch ganz unnötig; denn niemand braucht es, außer die Leute in Griechenland, und dorthin geht doch der Oswald ohnehin nie, wenn er auch auf den Landesgerichtsrat studiert wie der Papa. Die Dora lernt natürlich Latein; na, das tue ich mir nicht an. Die Hella hat keine besonderen Noten, und ihr Papa tobte!!! Er verlangt, sie soll die Beste sein. Aber sie ist gar nicht so erpicht darauf und sagt: Man muss nicht alles haben. Wenn sie im zweiten Halbjahr nicht lauter Einser hat, darf sie nicht weiter gehen ins Lyz. Sie muss in die Bürgerschule gehen. Dann bringt sie sich um. Der Papa ist auch sehr komisch; wozu hat man denn Geschichtenbücher, als dass man sie liest. Gestern lese ich im Töchteralbum und der Papa kommt herein und sagt: Du, lies lieber im Geschichtsbüchel als im Geschichtenbuch und schlägt mir das Buch zu. Ich habe einen solchen Zorn gehabt, dass ich mich schon um 7 Uhr ohne Nachtmahl ins Bett gelegt habe.
20. Februar: Heute begegnete ich der Goldfee. Sie redete mich an und fragte, warum ich nicht aufs Eis komme. Das Kostümfest am 14. sei großartig gewesen. Ich sagte: Denken Sie sich Fräulein, meine Schwester hatte im vorigen Jahr Mittelohrentzündung, und deshalb dürfen wir beide heuer nicht aufs Eis. Sie lachte furchtbar und