Allah ist unsichtbar. Martina Dr. Schäfer

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Allah ist unsichtbar - Martina Dr. Schäfer

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Eigenaktivität der Seele auf ihrem kontemplativen Weg schlussendlich des «Funkens» von Aussen bedarf – sei der nun «göttlich» oder «inspirativ».

      In dieser Rede entwickelt Sokrates im Bild eines von Rossen gezogenen Wagens mit dem Wagenlenker jene Vorstellung von Seele, wie sie in den folgenden Zeiten die Philosophie aber auch die Vorstellungen der Wüstenväter, beispielsweise die des Wüstenvaters Evagrios Pontikos (345 in Anatolien–399 in der Kellia), prägen sollte.

      In diesem Bild ist die Seele ein Wagen, so Platon, den entweder die Vernunft souverän lenkt oder von dem sie gelenkt, mitgerissen, wird.[23]

      Die Gesamtseele, das Selbst, ist unterteilt in «Seele» und «Intellekt» (Verstand oder Geist), die wiederum eine Dreiheit bilden aus Begehren – Gemüt/Gefühl (= Seelenanteile) – Vernunft (= Teil des «Intellekts»).

      Laut Platon nun, wie er es Sokrates in der zweiten Rede an Phaidros darstellen lässt, gleicht die Gesamtseele des Menschen einem Wagen: Wagenlenker ist der Geist und lenkt zwei Pferde: Ein eher harmloseres Tier, das aber unter bestimmten Bedingungen durchaus seine Macken haben kann, das ist das Gemüt, die Welt der Gefühle und ein wildes, ungebärdiges Pferd, das leicht durchgeht und schwer zu zügeln ist, die Welt des Begehrens.

      Pferde und Wagenlenker haben ihre legitimen Bedürfnisse die, bei Nicht­befriedigung, in ihr Gegenteil umschlagen können und zu überzogenen Leiden­schaften, wilden Begierden werden.

      Die legitimen Bedürfnisse des Geistes sind Selbstachtung und Anerkennung, heute würde man vielleicht sagen, es ist das grundlegende Menschenrecht auf Anerkennung der eigenen, innewohnenden Würde. Wird dieses legitime Bedürf­nis nicht befriedigt, entsteht Wut, denn Stolz und Eitelkeit sind verletzt.

      Legitime Bedürfnisse auf der Ebene des Begehrens sind das übliche Besitz­streben, Hunger, Durst, erotische und sexuelle Wünsche. Begehrt man aber auf Kosten anderer Menschen, so werden daraus Gier und, in unserer heu­ti­gen Ausdrucksweise: Sexuelle Ausbeutung und Süchte aller Art.

      Zum Pferd des Begehrens und dem Geist des Wagenlenkers kommt gewisser­massen als drittes Element das zweite, handlichere Pferd der Gefühle. Werden legitime Bedürfnisse und Gefühle nicht beachtet, dann verdrängt sie der Mensch, schiebt sie ab, was zur Folge hat, dass sie sich irgendwo anders Bahn brechen und in verdrehter Form wieder ans Tageslicht drängen.

      Wird der Geist anerkannt, kann er sich selbst achten, wird er von Klugheit auf seinem Weg geschützt, Einsicht oder Verstehen organisieren und verwalten die Ziele und zum Schluss ist der Geist weise genug, das, was alles Sein begründet, ohne Leidenschaften anzuschauen. Werden die geistigen Bedürfnisse nicht gestillt, verwandelt sich Weisheit in dummen Hochmut, Einsicht in Arroganz, verletzte Würde in verletzte Eitelkeit, Stolz in Wut.

      Mut, sich nicht vor GegnerInnen zu fürchten, Geduld, Widrigkeiten auf der Reise auszuhalten sind jene Gefühle, die den Erkenntnisprozess unterstützen, und beide Pferde in der richtigen Spur halten. Frustriert wandeln sie sich zu Kummer und Wut, «Jähzorn» oder Depression, Überdruss und beide Pferde gehen mit dem Wagen durch, stürzen in den Abgrund.

      Die Seele ist also das bewegende Prinzip, welche Geist und Leben mit ihrem Begehren, dem eros, voran treibt – im Idealfall dem Begehren nach dem Wah­ren, Guten und Schönen, ihrer eigentlichen «Heimat».

      Den Ausgangspunkt, die Form der Gefallenheit der Seele, beschrieb Platon als durchaus sehr tristen, traurigen Zustand, als eine Form der Vermitteltheit, des Indirekten, abgeschnitten und gefesselt, als einen Zustand der «Entfremdung», wie es moderner nicht sein kann: Wer sieht schon gerne die Schatten von daher getragenen Gegenständen an? Nicht einmal die Träger sind sichtbar, geschwei­ge denn die Wirklichkeit des Schatten werfenden Feuers, des echten Sonnenlich­tes draussen vor der Höhle, der duftenden Pflanzen, dem Singen, Rauschen und Rappeln des Lebendigen schlechthin?

      Ich möchte an dieser Stelle einmal eine moderne Nacherzählung des «Höhlen­gleich­nisses» versuchen, (einen gekürzten Text des Gleichnisses stelle ich unten in die Fussnote[25]) denn wir haben ja tatsächlich das Glück, nicht mehr in Höhlen zu hausen, woraus wir merkwürdigerweise schliessen, dass wir «weiter» seien als die Leute damals – aber sind wir das tatsächlich?

      Man gehe also einmal so im Vorwinter zwischen 20 und 22 Uhr durch eine Stadt: Strassenlaternen, beleuchtete Geschäfte und Ampeln bieten Sicherheit, die Angst vor der Dunkelheit schmilzt in ihrem Licht dahin und das ist sicher auch gut so.

      Doch wo sind die Menschen?

      Blau flimmert es aus allerlei Fenstern; alleine sehr oft, manchmal zu zweien, seltener zu dritt oder mehr, sitzen sie gebannt da und starren auf einen mehr oder weniger grossen Kasten, in welchem sich bunte Schattengestalten und bonbonfarbene Gegenstände hin und her bewegen.

      Die mögliche reale Grundlage dieser Schatten ist nicht im gleichen Raum mit diesen Menschen, z.B. hinter einer halb hohen Schrankwand oder Küchenzeile verborgen, sondern vermutlich längst vergangen, verschwunden, abgebaut – nicht nur einfach weit, weit weg in einem Studio, einer hollywoodesken Land­schaft, von welcher aus die schattig-blauen Abbilder geworfen wurden, sondern ganz, ganz weit weg im Nirgendwo und Istnichtmehr und Längstnichtmehrwahr.

      Das gilt natürlich auch für jene buntblütigen Schattensequenzen, welche «Nach­richten» genannt werden und mit einem absoluten Wahrheitsanspruch auf­tre­ten, wie es selbst Platons Schattenspiele niemals gewagt hätten. Dort wussten die Trä­ger der Schatten werfenden Gegenstände zumindest, dass sie blosse Illusio­nisten, Puppenspieler, Taschentrickdiebe sind.

      Welcher Art sind wohl die Ketten, die die Leute in ihrer merkwürdig starren Ab­hän­gigkeit vor den kleinen Kästen halten? Man sieht sie ja gar nicht.

      Tatsächlich, die Gefangenschaft könnte schlimmer nicht sein, denn die Fesse­lung besteht in einer Art bonsaihaften[26] Illusion von Erfüllung: Die Pferde stehen still und starr, weil sie glauben, angekommen zu sein, befriedigt vom blauen Geflimmer, im Lichte der Wahrheit einer bunten Popcornwelt.

      Die Gefesselten verhungern, ohne es zu merken, die Sehnsucht der Seele blutet nicht mehr in unerfülltem Verlangen aus (das kann es auch geben und ist ein geläufiger Zustand fürs Apophatische in der Romantik), sondern erstickt sich selbst, die Nase in einem illusionären Hafersack.

      Gibt es überhaupt jemanden, der aufsteht und die Fenster öffnet, die Gerüche des nahen Parks einatmet, den Lärm der Stadt goutiert als Zeichen des Leben­digen, gar Sterne anschaut über den Strassenlaternen, später den Aufgang der Sonne hinter den Bahngleisen zu restlichen Welt?

      Die eine Person, welche bei Platon die Ketten sprengt, tut es aus Sehnsucht, Hunger, Begierde, Eros – wie immer wir das feurige Tier benennen wollen. «Höhle» ist auch eine Allegorie des Unfertigen, Unbefriedigten, Ungemütlichen, sie ist kalt, zugig, die Steine rau und hart, Feuchtigkeit tropft von Überall her, muf­fi­ger Geruch oder kribbelndes, krabbelndes Viehzeug aus dem Dunkeln hervor. «Höhle» meint immer einen nicht befriedigten Zustand – und das ist, war die Chance … Das Wohnzimmer ist warm und weich, keimfrei freundlich, befrie­det. – Die Sehnsucht stockt, der Philosoph hängt am Tropf aus Kartoffelchips und Bier. –

      Schade, leben wir nicht mehr in Höhlen – schade, glauben wir alles, was wir seh'n!

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