Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker
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in den Spiegel zu schauen?
Willst du die Zukunft wissen
gemach, gemach
nur Schritt für Schritt
kann ich sie offenbaren
um dich vor Schaden
zu bewahren.
Soll meine Antwort deutlich sein
überlege dir die Fragen gut
und stelle sie präzise.
Im Frühling vor zwei Jahren begab sich die Elfenkönigin am späten Nachmittag auf den Weg zur Waldfee, die sie als Ebenbürtige ansah und als Beraterin schätzte, weil sie einen guten Riecher hatte und als Sterndeuterin in die Zukunft schauen konnte, gegebenenfalls mithilfe ihrer großen Kristallkugel.
Im letzten Jahr wollte die alte Königin kaum aus dem Winterschlaf erwachen. Die Feierlichkeiten zur Frühlings Tag- und Nachtgleiche waren ausgefallen, weil sie immer hinfälliger wurde. Bald konnte sie nichts mehr zu sich nehmen und verschied kurz darauf, ohne die einzige Tochter in alle Aufgaben einweisen zu können.
Meridor sah heute noch manchmal die schwerkranke Mutter vor sich liegen, als wenn es gestern gewesen wäre, in eine Fülle von Seidendecken gebettet, die nur das spitze, eingefallene Gesicht freiließen. Bei jedem Umbetten war ihre einst imposante Gestalt zerbrechlicher und durchscheinender geworden, bis sie kaum noch auszumachen war.
Eines Tages löste sie sich völlig auf, um in einer Nebelfahne durch die Decke zu entschwinden.
Eine Zeitlang konnte Meridor ihre Mutter hin und wieder schemenhaft wahrnehmen, verlor aber diese Fähigkeit sobald sie die Regierungsgeschäfte einholten.
Doch beschlich sie manchmal das vage Gefühl als wäre sie noch anwesend und würde sie beobachten. So hatte sie es sich angewöhnt, sich ihr anzuvertrauen und sie um Rat zu fragen, wenn sie alleine war und sich unbeobachtet fühlte.
Sie war sich beinahe sicher, dass sie ihr zuhörte, obwohl jedes Mal die Antwort ausblieb, doch hatte sie auch nicht ihre Hellhörigkeit geerbt.
Unberechenbar wie sie gewesen war, würde sie sich irgendwann melden, wenn es ihr beliebte, und auf ihrer jetzigen Ebene herrschte ohnehin eine andere Zeitqualität.
Als Königin Nofresia ihr Ende nahen fühlte, hatte sie in einem klaren Moment die Tochter her zitiert, um ihr Verhaltensmaßregeln einzuschärfen.
Meridor konnte sich noch an den genauen Wortlaut entsinnen.
„Sei streng, unnachgiebig und gerecht zu deinen Untertanen. Achte auf Disziplin und dulde keine Ausschweifungen. Höre Mutter Erde gut zu und setze ihren Willen durch. Wenn du sie nicht richtig verstehen kannst, befrage deine innere Stimme, denn sie ist ihr Sprachorgan. Bist du auf dem rechten Weg, bekommst du ein gutes Gefühl und triffst weise Entscheidungen.“
Meridor seufzte. Wenn das alles nur so einfach wäre!
Als Tochter eines Windhüters war ihr ein schwankendes Wesen zu eigen, so dass sie sich schlecht länger konzentrieren konnte, ohne abzuschweifen, das Zuhören eingeschlossen, was zu ihrem Leidwesen auch für die inneren Stimme galt, wenn sie überhaupt Zugang dazu fand.
Gut, dass das keiner wusste! Und das sollte auch so bleiben.
In dieser Hinsicht waren ihr normale Elfen nämlich überlegen, denn bei ihnen zählte es zu den angeborenen Fähigkeiten.
Obwohl sie sich redlich bemühte, ihr Temperament zu zügeln, wollte es ihr kaum gelingen.
Auch waren Geduld und Entscheidungsfähigkeit nicht gerade ihre Stärke.
Sie konnte machen, was sie wollte, sie reichte einfach nicht an die natürliche Majestät, Strenge und Zielstrebigkeit der Mutter heran, geschweige denn an ihr untrügliches Urteilsvermögen und schon gar nicht an die Weisheit und Abgeklärtheit ihrer letzten Jahre.
Es war Meridor nicht bewusst, dass auch ihr Adel und Würde angeboren waren. Sie konnte sehr bestimmend sein, war dabei aber nie barsch und verletzend wie die Mutter.
Strenge und Unnachgiebigkeit lagen ihr nicht, waren ihr geradezu zuwider bei ihrer einfühlsamen, hilfsbereiten, verständnisvollen Natur.
Dafür wurde sie von ihren Untertanen nicht nur geachtet, sondern auch geliebt.
Leider war sie der Mutter eine schlechte Schülerin im Belauschen der Erde gewesen und hatte auch nach ihrem ersten Amtsjahr noch immer erhebliche Probleme damit.
Sie fühlte sich zwar manchmal von unsichtbarer Hand magisch zu einer Stelle hingezogen, konnte aber, lang ausgestreckt mit einem Ohr im Gras, statt einer Stimme kaum mehr als Funksignale oder Summtöne hören, bestenfalls Wortfetzen aufschnappen, die es zu entschlüsseln galt, was sich jedoch allzu oft als unmöglich herausstellte.
Mehr als ihr lieb war vermisste Meridor zum Regieren den weisen mütterlichen Rat.
Heute war wieder so ein Tag, an dem sie ein dringendes Mitteilungsbedürfnis überkam, denn sie wusste nicht mehr weiter und vermeinte, die Gegenwart der Verblichenen zu spüren.
„Ach Mama, die Bürde wird immer schwerer. Ich fühle mich oft hilflos, wie auf verlorenem Posten. Sei froh, dass du das nicht mehr miterleben musst. Das Wetter spielt verrückt, und es mehren sich Naturkatastrophen. Es war nur eine Frage der Zeit, dass sich Mutter Erde gegen die Dreistigkeit der Menschen zur Wehr setzt. Was mir mehr Sorgen macht, ist, dass sich aus Schreckhaftigkeit in Morgania verbreitet. Auch grassieren Klatsch und Tratsch. Wie sind unter diesen Umständen Harmonie und Freude aufrechtzuerhalten?
Ich brauche Deinen kompetenten Rat. Auch bin ich mir nicht sicher, ob ich die letzte Botschaft von Mutter Erde recht verstanden habe, obwohl sie außergewöhnlich gut durchkam, und wenn, ob ich sie in meiner Festrede zur Sommer- Sonnenwende überhaupt erwähnen soll. Ich möchte keinen beunruhigen und meinen Elfen die Stimmung nicht verderben.“
Nach einer Weile intensiven Lauschens ging es mit ihr durch.
„Warum gibst du keine Antwort, Mama? Ich fühle dich doch! Oder willst du demonstrieren, wie schlecht ich im Geister hören bin?“
Sie hatte es laut herausgeschrien. Aber in ihrem Zimmer konnte sie sich so etwas erlauben, denn es lag außerhalb des normalen Schlossbetriebs.
Nach geraumer Zeit überflog Meridor wieder einmal den hohen, dunklen Tannenwald, wo die Waldfee lebte und herrschte, diesmal ohne die übliche Begleitung von Hofdamen oder Wächtern. Betrübt gewahrte sie die ausgefransten Wipfel, die sich vermehrt zu haben schienen, was ihre Sorge um den Wald erneut bestätigte.
Rauchkringel stiegen aus einer kleinen Lichtung auf. Bald darauf war das bemooste Dach von Eliodors windschiefer Holzhütte am Waldrand zu erkennen, gestützt von drei hohen Tannen, perfekt getarnt durch ein wild wucherndes Efeukleid, das ihr dunkles Eichenholz und die Milchglasscheiben der Butzenfenster nur erahnen ließ.
Es stieg Rauch aus dem Kamin. Die Waldfee heizte ein, denn es wurde kühl.
Meridor landete schwungvoll