Der Gewalt keine Chance. Martina Dr. Schäfer

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Der Gewalt keine Chance - Martina Dr. Schäfer

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20. Jahrhundert hinein, als der Papst sich schweigend vom Massenmord unter den Nationalsozialisten abwandte.

      Erst seit demokratische Kontrollen erstarkten – meistens mit dem Schlagwort «Trennung von Staat und Kirche» bezeichnet –, begannen sich die Großkirchen zu humanisieren und sukzessive an Macht zu verlieren.

      Doch es gibt religiöse Gemeinschaften oder sogar global agierende Sekten, die sich letztlich sowohl nach innen wie nach außen noch immer so gebärden wie die europäischen Kirchen im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit. Außerdem zeigen Länder, die diese Trennung zwischen Politik und Religiosität nicht vollzogen haben, wie beispielsweise viele moslemische Staaten, ähnliche Erscheinungen wie das christliche Europa vor der Aufklärung. Ob ich nun «den Teufel» in Menschengestalt an die Wand male oder Leute, deren Lebenseinstellung mir nicht in den Kram passt, so nenne, bleibt sich gleich.

      An die Stelle der Kirchen sind heute, vereinfacht gesagt, die Medien gerückt: Sie liefern Bilder und Gefühle, Geschichten und Erklärungsmuster. Es ist ganz sicherlich so, dass diese mächtigen Institutionen einen ähnlichen Aufklärungs- und Domestizierungsprozess zu durchgehen haben, wie ihn weiland die christlichen Großkirchen in Europa durchliefen und wie er für einige andere Großreligionen immer noch dringendst erforderlich ist. Dieses Thema einer politischen und staatlichen Gewaltprävention ist ein besonders umfangreiches und erfordert eine spezielle Behandlung.

      Mein Buch befasst sich mit dem Umgang mit Gewalt auf der zwischenmenschlichen Ebene. Doch ich denke, dass es wohl höchste Zeit ist, auch einmal eine «heilige Kuh» zu schlachten – oder ihr wenigstens ein zähmendes Geschirr anzulegen. Auch echte Kühe lassen sich nur melken, sind also von Nutzen, wenn sie zahm sind und ruhig stehen. Gewaltdarstellungen zu verbieten muss ja nicht gleichzeitig heißen, dass Demokratie und Aufklärung keinen Platz mehr im Journalismus haben können, die Gewalttätigkeiten in den Religionen anzuprangern nicht, grundsätzlich spirituelle Bekenntnisse abzulehnen.

      Was können also einzelne Personen oder auch kleinere Gruppen gegen Gewalt tun?

      Wie lernt man, gewalttätige Strukturen so zeitig zu erkennen, abzubiegen und zu verhindern, dass sie gar nicht mehr «bekämpft» werden müssen? Wenn man wirklich Presse- und andere Freiheiten bewahren will, woher bekommt man die Kriterien, um legitime Grenzen zu ziehen? Woher nehme ich die Selbstgewissheit, um einen Menschen anzubrüllen, wissend, dass er mir tatsächlich etwas antun und nicht nur um Feuer für seine Zigarette bitten wollte? Aus welcher Ecke seines Bewusstseins nahm der mutige Lehrer in Erfurt die Energie, den jugendlichen Mörder zu stoppen?

      Seit etwa dreißig Jahren gibt es die politische und praktische Beschäftigung mit der sexuellen Gewalt an Frauen und Mädchen. Sie war überhaupt das Grundthema, mit dem die sogenannte Neue Frauenbewegung in den Siebzigerjahren startete, als tausende von Frauen auf die Straßen gingen und skandierten: «Wir haben abgetrieben» und somit auf den Zusammenhang zwischen der scheinbar privat gelebten Sexualität und der politischen Machtlosigkeit der Frauen hinwiesen. In ungezählten Aufsätzen und Büchern wurde auf den Zusammenhang zwischen sexueller Ausbeutung und politischer Rechtlosigkeit hingewiesen. «Das Private ist politisch!» war der zentrale Slogan der Frauen-, aber auch teilweise der linken und Alternativbewegungen.

      Die Analyse der sexuellen Gewalt kann eine Art Grundmuster für alle möglichen anderen Arten der Gewaltanwendung liefern. Insbesondere ist sie dann von Nutzen, wenn man sich nicht nur unbedingt mit den Gründen für die Gewaltanwendung in der Psyche des Täters befasst, sondern sich schlicht auf die eigentliche Konfrontationssituation bezieht.

      Ich gehe nicht auf die seelischen oder sonstigen Ursachen von Gewaltanwendung ein und wage den politisch vielleicht höchst unkorrekten Satz, dass diese mich schlichtweg nicht interessieren. Mich interessieren die Opfer und die Frage, wie sie sich schützen können. Der weinenden Frau, die vergewaltigt wurde, gilt meine Sympathie, dem stotternden Mädchen, das von der sexuellen Gewalt an ihrem Körper durch den Stiefvater berichtet. Mich berühren die letzten Telefonate aus den Flug zeugen beim Attentat auf das World Trade Center und die Gefühle der Hinterbliebenen jener farbigen Mitbürger, welche von rechten Skinheads erschlagen wurden. Wenn ich versuchte, mir vorzustellen, wie ein Drittel meiner Kolleginnen und Kollegen mitten im Frieden von einem neunzehnjährigen Kerl abgeknallt würden, müsste ich verstummen. Wenn Sektenopfer in Aussteigegesprächen ihre Gurus und Guras[1] als brüllende, geifernde, schlagende oder sonst wie terrorisierende Menschen beschreiben, interessiert es mich nicht im geringsten, warum der Guru, die Gura so ist, wie er oder sie ist. Es ist für mich auch nicht von Belang, welche möglichen Kindheitstraumata beispielsweise einen Skinhead dazu brachten, seinen farbigen Mitbürger aus der Straßenbahn zu werfen, und ob es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Selbstmordattentätern und globaler Wirtschaftsweise gibt.

      Ich möchte, dass potentielle Opfer eine Chance bekommen, der Gewalt zu entgehen oder sich zu wehren.

       Das Buch soll ein Versuch sein, eine Art Erste-Hilfe-Kasten für Betroffene, eine Anleitung, mit der man lernen kann, gewalttätige Situationen rechtzeitig zu erkennen, ihnen auszuweichen oder sich gegen sie zu wehren.

      Konservative und rechtspopulistische Politiker propagieren einen starken Staat, vermehrte Polizeipräsenz, Kontrollen jeglicher Art usw. – kurz: eine Einschränkung demokratischer Freiheiten und liberaler Errungenschaften moderner Gesellschaften. Schon jetzt sind als Reaktion auf die großen Attentate der letzten Jahre ein vermehrtes Kriegstreiben und ein Anziehen autoritärerer Gesetzgebung zu verspüren. Man kennt das auch aus den Zeiten der Roten-Armee-Fraktion in den Siebzigerjahren, als die Gewalt einer Handvoll Leute genügte, die sogenannten Notstandsgesetze aus der Taufe zu heben.

      Ich bin nicht der Meinung, dass eine restriktive Gesetzgebung allzu viel gegen Gewalt ausrichtet. Sie führt letztlich wieder zu autoritativen Regierungen und unkontrollierbarer Staatsgewalt.

      Niemand wird behaupten, dass es zur Zeit des Nationalsozialismus weniger Gewalt gegeben hätte als heute – außer jenen, die Völkermord und Holocaust nicht als Gewalt erkennen können!

      Um zu vermitteln, wie man Gewaltsituationen rechtzeitig einschätzen kann, werden im ersten Kapitel die Grundmuster einer sexuellen Gewaltsituation dargestellt und jene Verhaltensregeln, Tricks und Abwehrmöglichkeiten beschrieben, mit denen sich eine sexuelle Gewaltattacke rechtzeitig erkennen und eventuell im Vorfeld schon mit Worten verhindern lässt.

      Seit etwa fünfundzwanzig Jahren lernen Frauen, Mädchen und Menschen aus besonders gefährdeten Gruppen wie beispielsweise Körperbehinderte solche Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungsstrategien. Das Konzept mit der längsten Erfahrung wurde vor etwa dreißig Jahren von kanadischen Feministinnen entwickelt und nach Europa gebracht. Sein Name ist Wen-Do, was so viel heißt wie «Weg der Frau». Schon dieser Name impliziert, dass es dabei um mehr geht als nur um ein paar simple Abwehrschläge oder faule Überraschungstricks.

      Anfang der Achtzigerjahre wurde ich in dieser Methode ausgebildet. Seit dieser Zeit haben viele Wen-Do-Lehrerinnen das Konzept unaufhörlich ausgebaut und insbesondere um psychologische und verbale Strategien erweitert.

      Sind Frauen und Mädchen meistens durch die «private» sexuelle Gewalt im Rahmen von Gruppen bedroht, denen sie nicht ausweichen können, weil sie Teil der Stationen eines Lebenslaufs sind – Familie, Schule, Arbeitsplatz usw. –, fürchten beispielsweise behinderte und ausländische Menschen auch jene Gewalt, die ihnen an öffentlichen Orten begegnet: auf der Straße, in Parkhäusern, in öffentlichen Verkehrsmitteln.

      Im zweiten Kapitel werden die Unterschiede und Parallelen zwischen eher privater und eher öffentlicher Gewalt dargestellt, wobei das Hauptaugenmerk auf den Unterschied zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Gruppen/Situationen gelegt wird.

      Im dritten und vierten Kapitel beschreibe ich die Strukturen zweier Gruppen, denen man im Leben

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