Der Gewalt keine Chance. Martina Dr. Schäfer

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Der Gewalt keine Chance - Martina Dr. Schäfer

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Täter ist bekannt. Die Tat ist geplant. Das Opfer ist abhängig.

       Regeln

      Meine Raumkapsel gehört mir. My home is my castle. Ich bestimme, wer unter meine Fittiche darf.

      1.2 Mehr als eine «Aura»: Die «Wolke» einer Frau reicht meterweit!

      Therapeutinnen und Therapeuten, die mit der Vorstellung von «Energien» arbeiten oder spirituell eingestellt sind, nennen die im vorhergehenden Abschnitt dargestellten Distanzräume auch «Aura». Damit meinen sie diese Art «Wolke», dieses geistige «Ei», das uns umgibt.

      Als Nächstes werde ich zeigen, dass solch eine «Wolke», solch ein «Raumschiff» oder «Haus» noch weiter reichen kann als der oben beschriebene «Gartenzaun» oder die wenigen Meter, die uns unsere Riechfähigkeit signalisiert. Man kann die Distanzschwellen einer anderen Person nämlich auch noch auf andere Weise überschreiten als nur durch bloßes Zur-Seite-Drängen oder «Von-hinten-Anschleichen».

      Insbesondere auf dem Gebiet der sexuellen Attacken gibt es bekanntlich die Methoden, durch Blicke, durch einen bestimmten Gesichtsausdruck oder mit Bemerkungen aller Art diese Grenzen zu durchbrechen.

      Im positiven Sinn haben wir das schon alle einmal ausprobiert, wenn wir mit einer Person, die uns gefiel oder sexuell anzog, flirteten. Begegnet man einer solchen Person, fangen irgendwo in der Gegend des Magens kleine Schmetterlinge an, wie wild herumzutanzen. Dann reißen wir als Erstes unsere Augen weit auf, wir lächeln der schönen Person auch aus weitester Entfernung zu, schauen sie an, freuen uns, wie schön sie aussieht, bemühen uns um Blickkontakt und werden – wenn wir Pech haben! – rot, falls diese Person den Blick tatsächlich erwidert! Kurz, wir signalisieren mit unseren Augen, dass wir hellauf von ihr begeistert sind.

      Als Schülerin himmelte man vielleicht in dieser Weise den jungen Philosophie-Referendar an oder eventuell die verehrte Lateinlehrerin! Das soll es geben und sich übrigens auf die Schulleistungen ungeheuer gut auswirken.

      Als Schülerin darf ich das. Ein guter Lehrer und eine vernünftige Lehrerin werden die Himmeleien ihrer Schülerinnen und Schüler nicht fördern und ganz sicherlich nicht auf sie eingehen – eben wegen der Abhängigkeit und des Machtgefälles. Schlechte Lehrer gehen darauf ein und nehmen sie als Vorwand, näher zu rücken. Später behaupten sie dann, dass sie nicht anders gekonnt hätten und die Schülerin sie «angemacht» hätte. Das ist ein Blödsinn, denn junge Leute haben ein Recht, ihre Kräfte auszuprobieren, und es ist eine Frage der Reife und der Vernunft der älteren Personen, diese Anschmachtereien in die richtigen Bahnen zu lenken.

      In Chören, Sportvereinen und anderen Gruppen, die nicht unbedingt lebensnotwendig sind, ist der Flirt eine Art Essenz des mitmenschlichen Umgangs miteinander. Er verschönt das Leben, und wer nicht angeflirtet werden will, kann die Augen abwenden oder etwas dazu sagen. Flirten und Anlächeln sind die positiven Weisen auf eine weitere Distanz hin, Kontakt mit Menschen aufzunehmen, die einen körperlich anziehen.

      Doch dieses Kapitel handelt von den unangenehmen Überschreitungen der Distanzgrenzen. Dazu gehört zum Beispiel die Anstarrerei, dieses «Mit-den-Blicken-Ausziehen», das viele Frauen und Mädchen schon einmal erlebt haben. Das kann über viele Meter hinweg geschehen und ist sehr unangenehm. Dem Starrer geht es offensichtlich auch nur um Teile der anderen Person, Körperteile, nicht um die ganze Person. Er starrt auf den Busen der jungen Frau oder leckt sich die Lippen angesichts ihrer Beine. Moderne Frauen behandeln heutzutage manchmal auch Männer so: Sie starren auf den Schritt eines Mannes oder lecken sich die Lippen angesichts seines Hinterns.

      Das Starren signalisiert auch nicht, dass man Kontakt aufnehmen will, sondern dass man sich am angeschauten Teil selber schon aufgeilt – ganz unabhängig vom Wesen oder gar von den Interessen der angestarrten Person. Die Frau wird zu einem Objekt, der Anstarrer zum Jäger, der auf einen kleinen Ausschnitt zielt.

      Auch wenn er viele Meter entfernt dasteht, hat die angestarrte Person das gleiche Gefühl wie bei dem korpulenten Herrn, der seine Mitfahrerin gegen die Fensterscheibe des Busses drängelt: ein Gefühl, nicht geachtet zu werden, als Gegenstand behandelt zu werden, eine körperliche Aufmerksamkeit zu bekommen, um die man sicherlich nicht gebeten hat. Auch wenn sich der Starrer nicht bewegt, scheint es, als würde der Gartenzaun niedergerissen und als würden die Hauswände mit Kot verschmiert.

      Ungebetenes Anstarren ist eine der ersten Stufen sexueller Gewalt. Es dient unter anderem auch dazu, die angestarrte Person zu verunsichern und sie auf Objektstatus herunterzudrücken: Sie ist nicht mehr wert als ihr Po oder ihr Busen. Der Starrer bedient sich der Frau, des Mädchens, manchmal auch den Mannes oder Jungen, ohne sie zu fragen, und er tut dies im wahrsten Sinne des Wortes ohne «Ansehen der Person». Die Persönlichkeit und der Charakter des/der Angestarrten interessieren ihn auf keine Weise, schon allein deswegen, weil dahinter ein eigener Wille steht und die Person eventuell sagt: «Nein!», «Lass das!» oder «Glotz nicht so!» Dann stellt sie ihren eigenen Willen, ihre eigenen Wünsche denen des Starrers entgegen.

      Die meisten Menschen können übrigens auch sehr sicher zwischen den bewundernden, liebevollen Blicken des Flirtens und den raubgierigen des Starrers unterscheiden. Im ersten liegt Lob und Anerkennung, Neugierde, was sich wohl hinter dem schönen Äußeren noch verbirgt. Im zweiten liegt gar nichts außer Macht. Nicht einmal ein Metzger schaut das zu schlachtende Tier so abfällig an wie ein geiler Starrer sein Opfer.

      Hier genügt es nicht, nur ein paar Meter zwischen den Starrer und sein Opfer zu legen. Am besten wäre es, man könnte unmittelbar eine Wand hochziehen, die einen vor den Blicken des anderen verbirgt.

      Und wieder haben wir das Problem der unausweichlichen Gruppen/Situationen, in denen die sexuelle Gewalt meistens stattfindet: Eine Schülerin kann nicht so einfach den Unterricht verlassen, wenn ihr der Mathematiklehrer seibernd auf den Busen starrt; ein Kind muss schon sehr stark sein, wenn es angesichts des glotzenden Onkels auf dem Familienfest einen Aufstand wagt. Es ist unangenehm, aber im Notfall kann ich die Straßenbahn eine Haltestelle vorher verlassen, wenn mich mein starrender Sitznachbar stört, oder diesen heftig anraunzen: «Glotz weg!» Vielleicht bin ich emotional sehr auf meinen Sportverein angewiesen, sodass ich ihn wegen eines Glotzers nicht aufgeben werde, aber vermutlich finden sich solidarische Kameraden, die auf meine Bitte hin ein ernstes Wort mit ihm reden, ohne dass ich gleich im Regen stehen muss.

      In einem der Chöre, in dem ich sang, belästigte ein Gastsänger aus einem anderen Chor uns Altistinnen während der Generalprobe auf der Bühne, und es war anzunehmen, dass er das auch in der Enge der Aufführung machen würde. Doch es war ein Leichtes, den Vorsitzenden des Chors, einen Studienkollegen von mir, um Hilfe zu bitten. Ruck zuck stand der Gruselkerl während der Aufführung in der letzten Reihe, dicht umgeben von unseren eigenen Chorfreunden, die ihn gegen die Frauen abschirmten.

      Ebenso wie mit Blicken überwinden machthungrige Leute mit ihren Worten größere Hürden als den oben beschriebenen Gartenzaun, in Worten und Wendungen, mit denen sie sich auf Kosten der beschimpften oder belästigten Person aufgeilen. Worte können Menschen sogar in ihrer Abwesenheit demoralisieren. Hierzu gehören frauenfeindliche Witze – die bekanntesten sind die «Blondinenwitze» –, herabsetzende Bemerkungen, aber auch scheinbar lobende und dennoch abwertende Bezeichnungen wie «geile Titten» oder «Knackarsch». Wieder wird die so bezeichnete Person auf einen Körperteil reduziert.

      Wirklich verliebte Leute werden den Körper der angebeteten Person niemals so abfällig bezeichnen, sondern wacker auf sämtliche blumigen oder sonstwie romantisierenden Vergleichsrepertoires zurückgreifen, um ihr Entzücken über die Schönheit der anderen Person, aber auch die Besonderheit ihres Charakters, die Einmaligkeit ihres Wesens auszudrücken. Ganze Bücherschränke voller Liebeslyrik

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