Das Mädchen Ida. Maya Khoury

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Das Mädchen Ida - Maya Khoury

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      Maya Khoury

      Das Mädchen Ida

      Seelenfeuer

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Das Mädchen Ida

       Ein totes Mädchen

       Der nette Mann

       Das Verbrechen

       Die Beichte

       Ein Lichtblick

       Kinderheim

       Liebe

       Der Kaufhausdetektiv

       Der Italiener

       Der Irrtum

       Abgründe

       Wahn

       Epilog

       Impressum neobooks

      Das Mädchen Ida

      Seelenfeuer

      Ein totes Mädchen

      10. Juni 1951

      Ein heftiger Nordwind tobte an jenem Sonntagmorgen im Juni 1951 über die bleigraue Nordsee. Der böige Wind zerrte neckisch an dem roten Kleid des Mädchens, das wie schlafend im Gras hinter dem Deich lag. Sonst regte sich nichts. Kein Laut ging von dem Mädchen aus.

      Aus der Ferne scholl lautes Stimmengewirr über den Deich. Trotz der sonntäglichen Frühe waren schon einige halbwüchsige Jungen unterwegs.

      Wenig später erblickten sie von weitem ein im Gras liegende Mädchen mit langen blonden Zöpfen. Es trug ein rotes Kleid. Die Jungen näherten sich ihm neugierig, aber auch ein wenig ängstlich. Langsam begriffen sie, dass das Kind tot war. Sie rannten panisch davon, zurück ins Dorf, zur nächsten Polizeistation.

      Kommissar Jansen hatte sich gerade angezogen, als Polizeiwachtmeister Dirks an seiner Wohnungstür klingelte. Er ahnte das Unheil schon vor dem Eintreten des unliebsamen „Besuchers“: Ein Einsatz stand ihm bevor! Wer sonst sollte um diese Zeit klingeln?

      Und das am Sonntagmorgen. In jenen Augenblicken fragte er sich immer, warum er nicht einen anderen Beruf gewählt hatte.

      Er hatte sich heute Morgen wie jeden zweiten Sonntag um halb zehn zum Frühschoppen mit einigen seiner Kollegen verabredet. Das konnte er nun wohl vergessen.

      „Was ist passiert?“ fragte seine Frau, den Kopf voller Lockenwickler und gekleidet in einem blau-rotkarierten Morgenrock. Sie kam aus der Küche und hielt eine Teekanne aus weißem Porzellan in der Hand.

      „Wahrscheinlich ein Mord,“ erwiderte ihr Mann kurz angebunden. Er wollte jetzt nicht darüber reden.

      „Am Sonntag?“ staunte sie, als ob die Verbrechen nur alltags stattfänden und Feiertage ausgeklammert seien.

      „Ich werde vielleicht mittags wieder hier sein,“ sagte Kommissar Jansen schlecht gelaunt und nicht auf ihre letzte Frage eingehend.

      Als die beiden Polizisten am Tatort eintrafen, war der Strand nicht mehr so menschenleer. Eine Handvoll Neugieriger hatte sich in angemessenem Abstand vor dem toten Kind gruppiert. Leise und angeregt unterhielten sie sich, als wollten sie die Totenruhe nicht stören.

      Die beiden Polizeibeamten standen schweigend vor dem Leichnam und blickten auf das tote Mädchen in dem leuchtend roten Kleid.

      Kommissar Jansens schlechte Laune war augenblicklich einer melancholischen Stimmung gewichen, als er sich das kurze Leben des Kindes vor Augen hielt. Sein Leben hatte doch noch nicht einmal richtig begonnen.

      Ausweispapiere oder Spuren, die über die Identität des Kindes Aufschluss geben konnten, wurden nicht gefunden, auch nicht in mittelbarer Nähe des Fundortes. Man würde wohl noch einmal gründlich suchen müssen.

      Kommissar Jansen machte sich in einem kleinen Heft Notizen. Der Leichnam des Kindes, dessen Alter man auf etwa acht Jahre schätzte, wurde später in die Pathologie des Städtischen Krankenhauses überführt. Dort würde man sie untersuchen, um die Todesursache festzustellen, die hoffentlich in ein paar Tagen vorlag.

      Der Kommissar befragte einige der Umstehenden, ob sie irgendetwas Ungewöhnliches im Zusammenhang mit dem toten Kind beobachtet hatten.

      Unter den Leuten befand sich auch ein geistesgestörter Junge von etwa fünfzehn Jahren. Hinter vorgehaltener Hand nannte man ihn nur den „Bekloppten“. Er hieß Jens und war der Sohn von den Meiers aus dem Dorf. Jens versuchte verzweifelt, sich bemerkbar zu machen. Die Umstehenden beachteten sein hektisches Gebaren jedoch nicht. Kein Mensch nahm ihn ernst. Das kannte er schon. Und Jens Meier schlich sich gekränkt davon. Jedoch so „bekloppt“ wie die Leute das glaubten, schien er nicht zu sein. Er war zwar ein wenig in seinem Kopf zurückgeblieben und in seinen Bewegungsabläufen unkontrolliert; aber seine gestrige Beobachtung hatte sich in sein Hirn eingebrannt. Doch das wusste nur er selbst. Denn niemand sonst schien sich jetzt dafür zu interessieren.

      Kein Mensch kannte das Mädchen. Seine Identität konnte ohne Ausweispapiere nicht festgestellt werden. Doch noch deutete nichts auf einen gewaltsamen Tod hin.

      Später sollte auch keine Vermisstenmeldung eingehen. Zeugen hatten sich nicht gemeldet.

      Hätten sie den geistesgestörten Jungen wahrgenommen und ihn angehört, würden sie jetzt einen kleinen Schritt weiter sein. Der Junge hatte das Mädchen einen Abend vorher von seinem Fenster aus beobachtet. Es war nicht allein gewesen.

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