Das Mädchen Ida. Maya Khoury

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Das Mädchen Ida - Maya Khoury

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besonders Ida freute sich. Dann war sie nicht mehr so allein, sondern hatte Gesellschaft und nette noch dazu.

      Rolf erschien schon am nächsten Tag. Ida hatte ihn schon von weitem erspäht, denn

      sie wartete bereits ungeduldig auf ihren neuen Freund.

      Dieses Mal kam er auf einem blauen Herrenfahrrad angebraust, das Ida sofort bewunderte, weil es so schön in der Sonne glänzte.

      „Woher hast du denn ein so schönes Fahrrad?“ staunte sie.

      „Tja,“ meinte Rolf. Ida musste sich wohl mit der Antwort – die eigentlich keine war – zufrieden geben, denn er äußerte sich dazu nicht weiter. Und im Grunde genommen war es ihr auch egal. Hauptsache er war wieder da.

      Rolf machte es sich im Gras bequem und streckte seine langen Beine aus.

      „Ich kann dich ja mal mitnehmen,“ schlug Rolf nach einer kleinen Weile vor.

      „Wir fahren am Deich entlang bis zum nächsten Ort.“

      Ida war sichtlich beeindruckt und blickte ihn unsicher an. In den Osterferien war sie auch mit ihrer Mutter den Deich entlang gefahren. Sie saß hinten auf dem Gepäckträger. Mit Topfkuchen und Zitronensaft für unterwegs. Rolf bemerkte Idas plötzliche Unentschlossenheit.

      „Das meine ich im Ernst,“ setzte er nachdrücklich hinzu. „Wir fahren gemeinsam. Schon bald. Wie wäre es mit morgen?“

      Ida dachte nach. Musste sie nicht zuerst ihre Mutter fragen?

      Rolf stand auf und setzte sich auf einen der alten schmiedeeisernen Stühle, die vor dem Haus standen und deren weiße Farbe teilweise schon abblätterte.

      „Die müssten wohl einmal gestrichen werden,“ stellte er fachmännisch fest.

      „Ich werde weiße Farbe besorgen.“

      Ida horchte erfreut auf. Das klang irgendwie nach Zukunft. Als ob sich Rolf hier einrichten wollte. Das würde sicher auch ihre Mutter freuen.

      Dann beförderte Rolf aus seiner Aktentasche eine ganze Tafel Schokolade. Das Mädchen bekam große Augen.

      Die Schokolade hatte unter der heißen Temperatur gelitten und war fast geschmolzen. Aber schmecken tat sie trotzdem.

      Später, als sie mit Rolf im Gras unter dem Apfelbaum lag, bekam sie Bauchschmerzen. Er strich ihr vorsichtig über den Bauch.

      „Das hilft bestimmt,“ meinte Rolf. „Davon gehen deine Bauchschmerzen im Nu weg.“

      Ida fand das zwar übertrieben, hielt aber still, um ihn nicht zu kränken, denn er meinte es doch so gut mir ihr.

      Und tatsächlich waren ihre Bauchschmerzen bald verschwunden.

      Rolf blieb den ganzen Tag. Er konnte lustige Geschichten erzählen, die er sich ausgedacht hatte.

      Als Idas Mutter heim kam, freute sie sich über seinen Besuch. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, ein paar Minuten auszuspannen. Das tat sie sonst immer nach der anstrengenden Akkordarbeit in der Fabrik. Sie ging zuerst in die Schlafkammer und zog sich eines von ihren drei Kleidern an.

      Idas Mutter hatte von Bauer Harms, der in unmittelbarer Nähe einen kleinen Bauernhof betrieb, einen Sack mit Kartoffeln und eine Scheibe geräucherten Speck geschenkt bekommen. Bauer Harms half ihr öfter über die Runden, denn er mochte sie sehr gern. Seine Frau war vor drei Jahren an Diphtherie gestorben.

      Nun stand sie an dem alten gusseisernen Ofen und briet Bratkartoffeln mit Speck und Zwiebeln. Ida kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ihre Mutter hatte sich noch nie in einem Kleid ohne Kittelschürze an den Herd gestellt und Speisen zubereitet. Sicher wollte sie Rolf gefallen. Der hatte Dosen mit Ananas, Corned beef und eine Tüte mit Bohnenkaffee mitgebracht. Idas Mutter freute sich auf den Kaffee. Sonst gab es nur den unvermeidlichen Muckefuck, den Ersatzkaffee aus der blauweißgepunkteten Tüte von Linde.

      Sie war sichtlich erstaunt. „Woher haben Sie das alles?“ fragte sie und schaute ihn misstrauisch an. Er wiegelte mit einer Handbewegung ab.

      „Nicht fragen, sondern essen,“ befahl er lächelnd. „Auch wenn es nicht mein Lieblingsgericht ist. Ich esse für mein Leben gern Sauerkraut mit Stampfkartoffeln.“

      Später, als Ida endlich in ihrem Bett lag, bot ihre Mutter dem netten jungen Mann das Du an.

      „Ich heiße Erika.“ Sie freute sich, dass sich Rolf um sie bemühte. Jedenfalls vermittelte er den Eindruck, Interesse an ihr zu haben. Er war etwa im gleichen Alter wie sie, vielleicht etwas älter.

      „Und ich heiße Rolf. Mit Nachnamen Schneider.“

      Sie prosteten sich mit einem Glas Leitungswasser zu, denn alkoholische Getränke konnte sich Erika nicht leisten. Sie vermisste sie jedoch auch nicht. Vermisst hatte sie die köstlichen Sachen, die Rolf zum Abendessen beigesteuert hatte. Auch Idas wegen. Das Kind kannte ja solche Sachen gar nicht. Erika sah ihren Traum näher rücken: Eine kleine Familie. Sie war so lange allein gewesen. Zuerst der Krieg, der ihr den Mann genommen hatte, und danach? Erika sehnte sich nach einer heilen Welt mit einem Ehemann. Sie betrachtete ihn nachdenklich. Rolf hielt ihrem Blick stand und lächelte ihr mit erhobenem Glas zu.

      Erika war auf dem besten Wege, sich ernsthaft zu verlieben.

      Danach kam Rolf jeden Tag, manchmal schon am Vormittag. Ida freute sich

      auf seine Besuche, unternahm sie doch mit ihm schöne Ausflüge. Ihre Mutter hatte dies erlaubt, weil Rolf so nett mit Kindern umgehen konnte. Sie durfte vorne auf der Fahrradstange sitzen und genoss den Fahrtwind, die kreischenden Möwen über der Nordsee, die Sonne und Rolfs belustigtes Lachen, als sie fast einmal den Deich hinuntergestürzt wären, weil er für Sekunden gedanklich abgelenkt war.

      Doch da war Ida ziemlich erschrocken gewesen. Aber sie hatte sich nichts anmerken lassen.

      Und seine Aktentasche beinhaltete immer leckere Sachen: Zitronensaft, Kekse, Schokolade. Er wusste, was kleine Mädchen gerne mochten. Er hatte doch schon einmal so ein kleines Mädchen. Unterwegs machten sie Halt und suchten sich eine geeignete Stelle aus, wo sie niemand störte. Dann tranken sie den Zitronensaft aus der Flasche, aßen Kekse und Schokolade. Ida gefiel das sehr und sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal so schöne Sommerferien verbracht zu haben. Es störte sie auch nicht, dass Rolf ständig ihre Haare berühren wollte. Oder ihre Beine. Sie fand das ganz normal, denn er erwähnte einmal:

      „Du bist jetzt meine kleine Tochter.“ Und Väter sind nun einmal so. Sie vergaß jedoch, dass sie ihren Vater kaum gekannt hatte und daher gar nicht wissen konnte, wie Väter „so sind“.

      Abends aßen sie gemeinsam zu Abend. Erika bekam glänzende Augen, wenn sie Rolf ansah. Auch er schien sie genauso zu mögen und lud sie einmal am Wochenende zu einem Kinobesuch ein.

      Erika zog ihr dunkelblaues Sonntagskleid mit dem großen weißen Kragen an, das eigentlich zu schade für das Fahrrad war. Aber sie besaß kein anderes – außer dem einen, das sie zuletzt beim gemeinsamen Abendessen für ihn trug und dann noch ihr Alltagskleid - und für Rolf wollte sie besonders schön sein. Zuletzt betupfte sie ihren Hals noch mit ein paar Tropfen des Duftwassers, einem Mitbringsel von Rolf. Sie hatte aufgehört zu fragen, aus welchen Quellen er seine Kostbarkeiten bezog.

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