Das Mädchen Ida. Maya Khoury
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„Für dich,“ sagte er überflüssigerweise. Er hatte nun auch die Mutter wieder versöhnlich gestimmt. Dann zauberte er eine wundervolle kleine Armbanduhr, verziert mit bunten Schmetterlingen, für Ida aus seiner Aktentasche. Und zwei rote Zopfspangen, auf dem jeweils ein kleines Vogelpärchen saß. Ida machte begeisterte Luftsprünge und freute sich unbändig.
„Woher hast du die Sachen?“ fragte Erika später, als sie allein waren und Ida in ihrem Bett lag.
„Geschäfte,“ erwiderte Rolf ungehalten und wollte nicht darüber sprechen. Er war der Meinung, das würde sie nichts angehen. Später aßen sie den Inhalt von Rolfs mitgebrachten Konserven: Wurst, Pfirsiche und Rindfleisch. Und Erdnussbutter. Davon hatte Erika noch nie etwas gehört. Doch Ida mochte die Butter nicht.
„Die isst man in Amerika täglich," klärte Rolf die beiden auf. Schließlich verabschiedete er sich von Mutter und Tochter und versprach, übermorgen wieder zu kommen. Ida war trotzdem enttäuscht. Wieder zwei ganze Tage ohne ihn! Wieder gähnende Langeweile. Aber sie freute sich unbändig auf das versprochene Fahrrad. Und die Vorfreude ließ sie die Enttäuschung schnell vergessen.
Das Verbrechen
August 1952 bis März 1953
Er erschien schon vormittags in strahlender Laune und Ida strahlte. Sie gingen erst einmal ins Haus, denn Rolf gab vor, müde zu sein. Er wirkte ein wenig erschöpft und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Erika würde erst am Abend von der Arbeit heim kommen.
Rolf setzte sich auf das Sofa. „Setz dich neben mich,“ bat er lächelnd und seine Müdigkeit flog wie ein Vogelschwarm davon, als er seine kleine Nachtigall anblickte. Das ließ sich Ida nicht zweimal sagen.
Sie kuschelte sich sogleich an Rolf, der sie zart an sich zog. So saßen sie einträchtig
eine ganze Weile beieinander, bis er, nun ein wenig kurzatmig, sagte:
„Es ist so warm hier, warum ziehst du nicht dein Kleid aus?“ Und er verschlang sie gierig mit seinen Augen.
Ida stutzte, tat aber wie geheißen. Sie wollte doch nicht schon wieder so ein langes Fernbleiben von Rolf in Kauf nehmen. Etwas eigenartig fand sie seine Verhaltensweise schon, als er sie mit seinen Blicken abtastete. Aber Ida war zu jung, um sein Mienenspiel und sein Gebaren deuten zu können.
„Sag nur nicht deiner Mutter, dass du dein Kleid ausgezogen hast. Hörst du? Sonst passiert etwas ganz Schlimmes,“ bat Rolf eindringlich. „Und das willst du doch sicher nicht. Du wirst mich doch nicht enttäuschen?“
Er sah sie abwartend und ein wenig unschlüssig an. „Weißt du, du würdest mir sehr, sehr weh tun, Ida,“ gab er ihr zu verstehen. „Das soll doch unser Geheimnis bleiben. Es wird uns für immer verbinden.“
Ida blieb stumm.
„Und sicher werde ich dann nicht mehr wieder kommen. Nie mehr.“
Bei diesen Worten erschrak Ida fürchterlich.
Natürlich wollte sie das nicht. Nur das nicht. Sie würde niemandem ein Sterbenswörtchen verraten, auch ihrer Mutter nicht, versprach sie ihm hoch und heilig. Nun war Rolf zufrieden und wurde ein wenig fordernder, jedoch Ida hielt immer noch still. So schlimm war das auch wieder nicht. Väter müssen wohl so sein. Irgendwann hatte sie aufgeschnappt, dass Rolf ihrer Mutter gegenüber eine Heirat erwähnt hatte und dann würde sie, Ida, doch seine Tochter sein. Und er wollte ihr doch ein funkelnagelneues Fahrrad schenken! Und Ida klammerte sich an diese beiden Gedanken. Was könnte sie alles mit einem Fahrrad unternehmen. Sie könnte fahren, wohin sie wollte. Kein Ort war mehr zu weit. Auch ihre Großeltern würde sie nun öfter besuchen können.
„Willst du nicht dein Höschen ausziehen, meine kleine Nachtigall?“ flüsterte Rolf ein wenig aus der Puste, wie Ida fand. Aber warum sollte sie vor ihrem künftigen Vater Geheimnisse haben? Und sie kam seinem Wunsch, wenn auch zögerlich und verwundert, nach.
Ida spann ihren Gedankengang weiter. Ob sie sich wohl die Farbe des Fahrrades aussuchen dürfte? Ich werde ihn gleich danach fragen. Ich möchte auch ein blaues haben. Und glänzen sollte es. Es würde in der Sonne funkeln.
Erika war bei ihrer Akkordarbeit unkonzentriert. Sie plagten heftige Kopfschmerzen und sie sah sich gezwungen, sich bei ihrem Vorarbeiter krank zu melden, der zwar nicht begeistert war, aber schließlich nachgab. Krankmeldungen sah er nicht so gern, zumal ein wichtiger Auftrag zu erfüllen war.
„Morgen bin ich sicher wieder auf den Beinen,“ versprach sie. Ein Versprechen, das sie nie einlösen würde.
Erika packte ihre Sachen. Unterwegs kaufte sie noch ein Roggenbrot sowie ein Pfund Mehl für die Pfannkuchen in dem kleinen Lebensmittelladen ein. Sie wusste, dass auch Rolf gerne Pfannkuchen aß, am liebsten mit Apfelmus. Genau wie Ida. Und nächste Woche würde sie Sauerkraut mit Stampfkartoffeln zubereiten. Vielleicht war es dann auch nicht mehr so heiß. Bauer Harms hatte ihr ein Stück geräucherten Kassler versprochen. Dann machte sie sich auf den Weg. Sicher freute sich Ida, dass sie ein paar Stunden früher zu Hause war. Das schlechte Gewissen plagte sie wieder. Sie musste sich wirklich mehr um ihre Tochter kümmern. Aber vielleicht würde sich ja nun alles zum Guten wenden. Und sie könnte aufhören zu arbeiten, wenn Rolf für sie alle sorgen würde. Sie würden eine richtige Familie sein. Auch gegen ein zweites Kind hätte sie nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Das wäre schön. Und während Erika langsam den Kanalweg entlang fuhr, verlor sie sich in ihren Träumen. Ob Rolf jetzt schon da war? Erika freute sich auf Zuhause und begann, ein etwas schnelleres Tempo zu fahren. Ihre Kopfschmerzen waren mit dem Wind davongeflogen.
Schon von weitem sah sie sein blaues Fahrrad an der Hecke lehnen.
Ihr Herz machte einen freudigen Sprung. Wahrscheinlich waren die beiden im Haus
und Erika bemühte sich, leise zu sein, um sie zu überraschen. Vorsichtig stellte sie ihr Fahrrad an der Hecke ab und näherte sich auf Zehenspitzen der geschlossenen Haustür. Die unnatürliche Ruhe, die von dem Haus ausging, ließ sie ein wenig verwundern. Es war kein Laut zu hören, plapperte Ida doch sonst so gerne darauf los.
Sie öffnete behutsam die Tür und blieb starr vor Schreck im Türrahmen stehen. Ihr Gesicht war plötzlich leichenblass, denn das Bild, das sich ihren Augen bot, ließ sie innerlich erzittern. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass dieser Wüstling es die ganze Zeit auf Ida abgesehen hatte. Ihr Herzschlag schien eine Sekunde lang auszusetzen, um gleich darauf im Galopp gegen ihre Rippen zu hämmern. Das Blut rauschte in ihren Ohren und sie befürchtete, auf der Stelle ohnmächtig zu werden. Das darf ich nicht. Ich darf jetzt nicht ohnmächtig werden, ich muss jetzt durchhalten. Sie wurde von einem einzigen Gedanken beherrscht: Ich muss meine kleine Tochter von diesem Monster befreien. Und Erika mobilisierte den kläglichen Rest ihrer Kräfte und nahm sich gewaltsam zusammen, um Ida zu befreien.
Bei ihrem unerwarteten Eintritt sah Rolf unwillig zur Tür. Seine Miene schwankte zwischen Erstaunen, Erschrecken und Missbilligung. Aber Ida hatte nichts mitbekommen, denn sie lag auf dem Sofa außerhalb des Blickfeldes. Ausgestreckt wie eine nackte kostbare Porzellanpuppe. Rolf trug nur seine Unterhose, die er sich kurz vor Erikas Erscheinen wieder angezogen hatte. Erika brachte zunächst keinen Ton heraus. Doch dann besann sie sich, stürmte