Wien!. Till Angersbrecht
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wien! - Till Angersbrecht страница 13
Na ja, mein lieber Chef hat da wohl auf seine notorisch grimmige Art übertrieben. Bisher komme ich mit den Einheimischen ganz gut zu Recht, und in die dunkelsten Abgründe der Wiener Seele möchte ich ohnehin nicht hinuntersteigen.
In seiner notorisch mäkelnden Art setzt mein Chef dann noch die folgenden, recht bösen Bemerkungen hinzu, die ich nun wirklich nicht billigen kann:
„Im Grunde leiden die Österreicher unter einem nie ausgeheilten Deutschen-Komplex, seit sie ihre Kriege gegen die Preußen zweimal verloren haben. Insgeheim bewundern und beneiden sie uns, weil sie zum Zwergstaat schrumpften, während dieses Schicksal den Deutschen trotz zeitweiser Teilung erspart blieb. Die Glorie Österreichs lebt nur noch in der Erinnerung fort, in den Palästen, Kirchen und Gärten der großen Stadt Wien; wir dagegen spielen immer noch eine Rolle. Mittlerweile macht sich der Piefke sogar auf der großen Weltbühne breit.
Welch Wunder, dass Ihre Bewunderung stets mit einer kräftigen Prise Missgunst gewürzt ist. Sie betrachten uns als komische Parvenüs, über die sie sich aristokratisch herablassend amüsieren. In ihren Augen sind wir schrecklich jung und naiv, unsere direkte, gerade Art gefällt ihnen schon gar nicht. In Wien ist man niemals direkt. Man verabscheut es, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen, man verpackt sie stattdessen in Geburtstag oder Weihnachtspapier. Vor der Wirklichkeit empfindet man überhaupt einen Horror, weil sie ja meistens hässlich und jedenfalls schwer erträglich ist. Deshalb zieht man es vor, sie in einen schönen Schein wie in einen Festmantel einzuhüllen. Ganz Wien erstrahlt in diesem barocken Schein, keine andere deutsche Stadt ist in so viel funkelnden Festglanz gekleidet.
So gesehen, ist Wien wirklich anders. Wenn du ein gehetzter, von den Tatsachen getriebener, allzu nüchterner Deutscher bist, dann wirkt Wien wie ein Sedativ auf Deine Seele. Dein ständig rotierendes Selbst wird auf wundersame Art ruhig gestellt, während du über den Graben schlenderst, deine Zeit in einem Caféhaus vertust oder im Stadtpark über Sandler und Tauben sinnierst. Wenn die Mittagsonne dann gnädig über der Stadt liegt, wird es Momente geben, wo du dich voller Verwunderung fragst, ob die Welt nicht am Ende doch heil, vernünftig und überhaupt die beste aller möglichen sei. Weil viele dies wirklich glauben, fühlt sich die Generation der grauen und silbernen Haare nirgendwo so wohl wie in Wien. Was man auch durchaus begreift: Angesichts des nahenden Endes braucht diese Generation nichts so sehr wie Beruhigung.
Eher schwer haben es aber die jungen Leute in dieser Stadt. Die wollen ja gar nicht beschwichtigt, beruhigt und eingelullt werden! Die Jungen blicken im Gegenteil voller Beklemmung auf die großartigen Fassaden der alten Palazzi, die so herablassend lächeln und sie immer nur mit ein und derselben Botschaft bedrängen: Schaut her und schämt euch. So großartig wie wir werdet ihr niemals sein!
Hier in Wien blickt die ganze Vergangenheit auf dich herab und lässt dich spüren, dass du ein Nichts bist und dich zwischen all dem ehrwürdigen Gemäuer wie ein verirrter Alien bewegst. Wie klein und unbedeutend ihr doch seid, flüstern längst verstorbene Mumien hinter den Fenstern, wie schäbig und drittrangig im Vergleich zu all den unsterblichen Ahnen, die aus der Vergangenheit auf dich blicken.
Man muss das aushalten können, diese Gegenwart all der Untoten in den Prachtgassen des ersten Wiener Bezirks. Die Wiener selbst halten das keineswegs ohne seelische Beschädigung aus. Im Grunde zieht es die Lebenden mächtig zu den Toten, zu all den ehrwürdigen Vorbildern. In Wien gibt es eine Todessehnsucht, die nichts anderes ist als eine Verhexung durch die eigene, pompöse Vergangenheit. Nur wenn man eine ‚schöne Leich’ hinter sich hat, gehört man wirklich dazu, erst dann ist man selbst so ein barockes Gespenst, das böse Worte voll Ironie und Sarkasmus in die Ohren der Vorbeieilenden flüstert, um sich voller Schadenfreude an deren Verstörung zu weiden.“
Vielleicht hat mein Chef ja doch einen Nagel auf den Kopf getroffen. Er schlägt für meine Begriff aber immer zu heftig zu. Es tut mir einfach weh, wie er seine Urteile von ganz oben aus der dünnen Luft der Vogelperspektive fällt. Mein Chef ist ein alter Mann, der hat diesen Röntgenblick alter Leute, mit dem er die Menschen in durchsichtige Gespenster verwandelt.
Kein Server!
Also diesen und anderen Unfug habe ich in meinem gerade fertig gestellten Aufsatz für das Frankfurter Feuilleton eingebaut, aber so, dass die Leser sich über Rätseln den Kopf zerbrechen. Soll hier nun eine Insel der Seligen am Rande des Wienerwalds und des Wahnsinns verspottet werden, oder ist es eine Liebeserklärung an eine einzigartige Stadt?
Sollen sie rätseln! Ich habe das Rezept ja verraten, das ich in dieser Stadt lerne. In Wien darfst du niemals eindeutig sein. Die Eindeutigkeit macht dich verständlich, und Verständlichkeit macht dich gemein. Sollen sich die Leser den Kopf darüber zerbrechen, was der Autor in Wahrheit und wirklich meint! Ich habe mir Dr. Brohh zum Vorbild genommen.
Jetzt bin ich aber auch fertig. Nach dieser Anstrengung meine und denke ich absolut gar nichts mehr. Mein Kopf ist leer, gähnend leer - wie immer, wenn ich gerade einen langen Gedankenfaden bis zum Ende gesponnen habe. Dann schlage ich meinen Laptop zu, manchmal sogar mit einem Schwung.
Aus und Schluss! Ich trommle mit dem Finger auf den Tisch, um mich endlich von mir selbst loszureißen.
Aber nein doch, so schnell geht es denn auch wieder nicht. Das Ganze muss noch an die Redaktion in Frankfurt abgeschickt werden. Also die Adresse schnell eingetippt und auf das Symbol für ‚Senden’ geklickt, ganz oben am linken Rand. Dann bin ich fertig.
Fertig? Das bilde ich mir diesmal nur ein. Der Rechner überrascht mich mit einer verstörenden Meldung.
„Kein Server!“ Was heißt denn das nun wieder? Ich bin heute wohl etwas nervös. So eine Meldung wirft mich ganz aus der Bahn. Am liebsten würde ich meine Faust auf die Tasten knallen. Wenn die Technik streikt, stellen sich bei mir die Haare auf, durchdrehen könnte ich dabei. Die Technik ist für mich nichts anderes als ein Sklave, der Sklave unserer Zeit. Der hat bekanntlich aufs Wort zu gehorchen, sonst wäre er kein Sklave. Es macht mich nervös, es beleidigt mich, es ist eine unerträgliche Zumutung, wenn sich die Technik Eigenmächtigkeiten erlaubt.
„Kein Server“ – das ist doch offene Rebellion!
Ich überprüfe das Internetkabel, immerhin, da ist alles in Ordnung. Dann gehe ich auf Safari und versuche zu googeln, indem ich einen Begriff einsetze. Welchen Begriff? Irgendeinen. Seltsam, dass mir das Wort ‚Belagerung’ in die Finger gerät. Ich stutze. Warum eigentlich seltsam? Jedes Wort ist doch so gut wie das andere. Ich hätte ebenso gut ‚Honigbiene’ eintippen können, das ist ganz einerlei. Der Zufall hat nun einmal gewollt, dass es das Wort Belagerung ist.
Die Entertaste halte ich gedrückt. Das Ding reagiert – nur leider falsch. „Kein Server“ höhnt es zurück.
Jetzt wird mir so richtig heiß – und das, obwohl dieser Tag doch eben erst beginnt.
Da erinnere ich mich. Hatte Elli nicht in ihrer letzten Mail davon gesprochen, dass sie Schwierigkeiten mit dem Internet hätte?
Wien, du enttäuscht mich! Du solltest wissen: Ich komme von draußen. Ich bin Besseres gewohnt und verstehe in dieser Hinsicht absolut keinen Spaß. In dieser Stadt habt ihr die schöneren Fassaden und die höflicheren Menschen - das habe ich von Anfang an zugegeben. Aber wenn es um Technik geht, dann sind wir Deutsche euch doch haushoch überlegen. Bei uns funktioniert einfach alles - zumindest fast alles. Bei uns sitzen Heere von braven Arbeitsbienen in den Büros und sorgen dafür, dass der Geist fliegen kann,