Wien!. Till Angersbrecht

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Wien! - Till Angersbrecht

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dieser Stil, man wird ja regelrecht durch die Mangel gedreht! Der hämmert dir jeden einzelnen seiner Wahngedanken mit einem Keil in den Kopf. Damals, im Burgtheater habe ich das Stück gesehen, weil man halt gehen musste, jeder ging damals hin. Es war ein Riesenskandal. Wie hieß es doch? Heldenplatz, richtig, obwohl es da gar keine Helden gibt. Am liebsten hätte der Mensch uns alle nackt ausgezogen, seelisch gesprochen, und uns dann mit der Peitsche weggeprügelt. Einigen Masochisten gefällt eine solche Behandlung, mir aber nicht. Ich bin eine Kinsky, da habe ich glücklicherweise eine gewisse Erziehung genossen.

      Ich wusste, es hat keinen Sinn, mit ihr über Literatur zu reden. Ja, sie ist eine Kinsky und dazu noch eine tolle Frau, soviel ist richtig. Aber mit Elefanten, die einem das Familienporzellan zertreten, gibt man sich in solchen Kreisen nicht ab.

      Mein Blick wird in diesem Moment von einem Männchen abgelenkt, das soeben das Café Bräuner betritt. Spärliche Haare, die einen Kranz um die Glatze bilden, spreizen sich widerspenstig vom Kopf, der Rücken ist mehr als bei anderen gerundet, offenbar leidet der Mann an einem Buckel. Man könnte an einen Hippie aus längst vergangenen Zeiten glauben, wüsste ich nicht, dass es sich um einen Physiker handelt, einen Mensch der strikten Ordnung also, der die ganze ihn umgebende physische Welt in eine Zwangsjacke aus Gesetzen steckt. Seltsam, wie sich das Männchen selbst aber außerhalb der Gesetze stellt! Auf eine das Auge geradezu beleidigende Weise vernachlässigt der kleine Mann die äußere Person. Die Jacke ist an den Ärmeln mit abgewetzten Schonern versehen und an mehreren Stellen geflickt, die Schuhe sind ungeputzt.

      Es ist wirklich ein Skandal, dass ich mich vor Thorbrecht Tannenberg, der kleinen Tanne, wirklich nirgendwo retten kann. Liesls Bruder, Albert, hat ihm vermutlich einen Hinweis auf meine Besuche bei seiner Schwester gegeben. Wie sollte er sonst davon wissen, dass ich mich um diese Zeit im Café Bräuner aufhalte?

      Andererseits tut er mir leid, zumal er sich solche Mühe gibt, die eigentliche Absicht seines Besuches zu verschleiern. Beim Betreten des Cafés tut er nämlich zunächst einmal so, als würde er meine Anwesenheit überhaupt nicht bemerken. Zielstrebig eilt Tannenberg zum Zeitungsständer, als ginge es ihm um die abendliche Lektüre. Doch in Wahrheit ist das natürlich nichts anderes als ein leicht zu durchschauendes Theater: Im Bräuner lauert er mir jetzt schon das zweite Mal auf.

      Und schließlich ist es dann auch so weit: Während er sich anschickt, einen Platz am nächstgelegenen Tisch einzunehmen, schweifen seine Augen wie zufällig nach links und nach rechts, scheinbar absichtslos blickt er in meine Richtung, streift dabei mit den Augen meine Person, stößt einen kurzen Schrei gespielter Begeisterung aus, schwenkt beide Hände mitsamt dem Zeitungsblatt und stürzt auf mich zu.

      Das war zu erwarten! Diesem Mann gegenüber bin ich einfach wehrlos. Wenn man mit einer solchen Physis gestraft ist - Thorbrecht ist ja beinahe ein Zwerg – dann darf man natürlich auf Mitleid spekulieren.

      Servus Carsten, welch ein glücklicher Zufall, Dich hier anzutreffen! Das tut einem Physiker gut: die beruhigende Nähe eines Philosophen. Ihr Deutschen seid doch alle die geborenen Denker. Nach jedem Gespräch mit Dir trete ich der Wirklichkeit innerlich gestärkt gegenüber.

      Ich zwinge mich zu einem gutmütigen Lächeln. Natürlich ist das nichts als das übliche Salongesäusel, das fast jeder hier mühelos beherrscht. In Wahrheit ist Tannenberg ein Getriebener, manchmal kommt er mir wie ein manischer Schwätzer vor, ein ewig spottender Thersites, der sich mit Sarkasmus, Gespött und Zynismus in einem fort an der Schöpfung für die stiefmütterliche Ausstattung rächt, mit der sie ihn strafte. Meine Nähe ist ihm vermutlich nur deshalb lieb, weil er in mir ein wehrloses Opfer für sein unbefriedigtes Mitteilungsbedürfnis entdeckte. Er weiß ja, dass ich in dieser halben Stunde, bevor ich nach oben zu Liesl gehe, einfach nicht weglaufen kann. Ich sitze in der Falle, ich bin ihm ausgeliefert.

      Was gibt es Neues, Thorbrecht? frage ich resigniert.

      Gute Frage! Na, was soll es schon Neues geben? Das Bräuner steht noch, und der Schatten von Thomas Bernhardt irrt nach wie vor heimatlos durch seine Mauern. In ganz Wien, was sage ich, in ganz Österreich, findet er keinen Unterschlupf. Ein armer irrender Geist. Bei uns hätte er es übrigens nie zu etwas gebracht. Wäre nicht ein Deutscher gekommen, der ihn im Burgtheater die höheren Weihen verleiht und es auch noch wagt, die Wiener Jahre lang mit seinen Stücken zu drangsalieren, dann wäre er in diesem Lande nach wie vor unbekannt. Allerdings hat dieser Deutsche noch manches andere angerichtet.

      Wie ist das zu verstehen, frage ich, um nicht ganz desinteressiert zu erscheinen?

      Er hat uns modern und demokratisch gemacht, indem er die Proleten auf die Bühne holte und die Elite zum Teufel jagte, die bis dahin die Burg besetzte.

      Ach so? Verstehe ich nicht.

      Das kannst Du als Deutscher auch nicht verstehen. Es gibt bei uns zwei Arten von Menschen, man könnte sie geradezu als zwei verschiedene Spezies der Evolution ansehen. Da hast du einerseits das üppig wuchernde Unkraut der Wiener Vorstädte zwischen Favoriten und Brigittenau. Und andererseits hast du die piekfeinen Lilien, die in den Palazzi des Ersten Bezirks gedeihen. Die einen sprechen ein saftiges, ordinäres Deutsch, ein Deutsch wie ausgelatschte Pantoffeln, das nicht selten auch ebenso stinkt. Ich sage Dir, das schmeckt vulgär bis brutal, auch wenn der Kenner dieser Sprache eine gewisse kraftstrotzende Saftigkeit nicht absprechen kann. Hör sie dir einmal an, die Wilden aus Favoriten, wenn sie sich keine Hemmungen auferlegen, dann sträuben sich dir die Haare. Mit Abstand das vulgärste Deutsch in ganz Mitteleuropa wird hier gesprochen. Da brechen wir einen Guinness-Rekord.

      Davon weißt du natürlich nichts. Was gehen dich unsere Vorstädte an? Du bist Feuilletonist. Da hast du es fast nur mit der hochnäsigen Truppe aus den Palazzi zu tun, dem vornehmen Österreich!

      Also erholen wir uns einen Augenblick im Ersten Wiener Bezirk, wo die piekfeinen Lilien gedeihen. So vornehm und so fein! Davon habt ihr in eurem deutschen Kleinbürgerparadies gar keine Ahnung. Nur bei uns in Wien findest du solche Paradiesvögel, solche Eleganz und einen so gehobenen Ton. Leute mit blütenweißer Sprache, die mit einem Timbre reden, das jeden erschauern macht, der es früher einmal im Burgtheater von Oskar Werner oder seinen Nachfolgern hörte.

      Lass es dir von einem Eingeborenen sagen: Erst wenn die Wiener Hochsprache dir Wonneschauer über den Rücken jagt, hast du die Seele der Stadt wirklich begriffen.

      Das glatzköpfige Männchen bedrängt mich, aber ich kann nicht leugnen, dass seine stürmisch auf mich einprasselnden Worte mir nach jeder Begegnung immer noch eine ganze Zeit im Kopf rumoren. Es stimmt ja, dass man dich in dieser Stadt mit dem hässlichsten Deutsch überfällt und dass du deine Seele nach dieser Misshandlung nirgendwo so wie in Wien am schönsten Deutsch wieder aufrichten und gesundbaden kannst.

      Liesl Kinsky zum Beispiel ist ein Geschöpf der vornehmen Welt. Sie macht gar kein Hehl daraus. Wenn du mit ihr sprichst, dann klingt dieses helle, klare Deutsch an dein Ohr. Es hat mich von Anfang an gefesselt. Ihr lichtes Deutsch war der Grund, warum ich ihr nicht widerstehend konnte. Du glaubst einen lichten Raum zu betreten, ganz durchflutet von Helligkeit. Alles in Liesls Umgebung ist Klarheit und Pünktlichkeit. Es herrscht eine Ordnung, die meinem Naturell leider nicht in die Wiege gelegt worden ist; Liesl ist sozusagen der Gegenwurf zu meinem eigenen reichlich chaotischen Charakter. Ob das der Grund ist, warum ich mich nach wie vor nicht von ihr losreißen kann, obwohl wir doch geistig keinerlei Gemeinsamkeiten besitzen und sozusagen auf verschiedenen Planeten beheimatet sind?

      Warum, frage ich Tannenberg, liegen die Extreme in Wien so weit auseinander?

      Eigentlich stelle ich diese Frage nur widerstrebend. Auf diese Weise bestärke ich ihn natürlich darin, mir auch weiterhin aufzulauern.

      Siehst du, auf diese Frage habe ich gewartet. Sie beweist mir, dass

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