Wien!. Till Angersbrecht
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Also, die steile Karriere des Dr. Dombrowsky und sein gewaltiger Erfolg waren seinen weniger begabten Kommilitonen und Konkurrenten schon längst ein Dorn im Auge. Ein geringfügiger Anlass genügte, um diesen Neid zu einem lodernden Brand zu entfachen.
Das hat sich so abgespielt. Die kleine Tanne tritt so nahe an mich heran, dass ich dem Mann auf die Glatze und den sich unterhalb der Schultern leicht vorwölbenden Buckel schaue, er ist ja einen ganzen Kopf kleiner als ich. Während er mir auf diese Art die letzten Nachrichten kredenzt, wundere ich mich über den seltsamen Gegensatz zwischen seinem redseligen Mund und den trübseligen Augen. Beide haben offenbar versäumt, sich miteinander abzustimmen.
Also, kaum hatte einer der Kollegen Dombrowskys von der ehrlichen aber herausfordernden Feststellung Kenntnis erhalten, dass der Tod von Boris Kowatsch in dessen Gutachten als unerklärlich bezeichnet wird, als dieser Kollege - wie sagt man? – ein Erweckungserlebnis hatte. So eine Äußerung, na servus, das war doch ein gefundenes Fressen! Das ließ sich doch prächtig gegen Dombrowsky verwenden! Daraus ließ sich doch ein Strick drehen, an dem man den Mann vor der gesammelten Ärzteschaft aufhängen kann!
Der Kollege machte sich umgehend daran, den führenden medizinischen Kapazitäten der Stadt den unglaublichen Fehltritt zur Kenntnis zu bringen.
Und es kam, wie es kommen musste. In der Professorenschaft röhrte es nur so vor wahrhaft homerischem Gelächter. Hat man jemals gehört, dass ein kerngesunder Mann auf unerklärliche Art von der Bühne tritt? Auf Anhieb war allen klar: Mit diesem einzigen Wort hatte Dombrowsky seine Karriere, seinen Ruf, seine wissenschaftliche Reputation, seine Zukunft verspielt. Das Lachen fraß sich im Nu durch die ganze höhere Medizin und langte selbst bei den Wiener Allgemeinärzten an. Natürlich wurde der Befund sogleich als völlig unwissenschaftlich, lächerlich laienhaft und unprofessionell gebrandmarkt.
Umgehend wendete man sich an Professor Ehrenreich. Dessen Spezialgebiet ist das unüberschaubare Feld der verschlungenen Wechselwirkungen zwischen der Physis und der Psyche des Menschen. Du kannst Dir vorstellen, wie ungehemmt sich da schwafeln lässt.
Ehrenreich wurde also gebeten, die Fehldiagnose Dombrowskys zu korrigieren. Das gelang dieser Koryphäe nach einer knappen und, wie es scheint, ganz mühelosen Überprüfung. Auch wenn er an den Ergebnissen Dombrowskys nichts zu ändern fand, so rückte er sie doch in ein völlig anderes Licht. Kowatsch, stellte er fest, sei zwar physisch gesund gewesen, aber offenkundig habe er unter einer übergroßen psychischen Spannung gelitten, einer Spannung so gewaltig, dass sie sogar auf seine Begleiterin übersprang. Die hätte ja wortwörtlich von 380 000 Volt gesprochen. Zwar habe der Sportler versucht, den inneren Aufruhr mit einem Männerwitz zu entkrampfen – wir alle kennen ja solche typischen Übersprungreaktionen - aber der innere Aufruhr habe ihn überwältigt. Das sei die eigentliche Ursache seines plötzlichen Todes gewesen.
Der große Ehrenreich ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, seine Expertise mit einem Seitenhieb auf den glücklosen Dombrowsky zu schließen.
Leider, so hielt er in seinem Gutachten fest, sei selbst unter sogenannten Experten ein fundiertes Wissen um die psychophysischen Vorgänge beklagenswert selten. Das müsse sich ändern. Ein in der ganzheitlichen Medizin gut ausgebildeter Arzt würde niemals die unsinnige Meinung verbreiten, dass ein Mensch grundlos sterben könne. Wer so etwas behaupte, diskreditiere die Wissenschaft. Diese kenne nun einmal keine grundlosen Vorfälle.
Ich weiß nicht, wie weit Du das bisherige Geschehen verfolgt hast, schließt Tannenberg seinen Vortrag. In Wien hat der Tod von Boris Kowatsch jedenfalls jede Menge Staub aufgewirbelt. Der Mann ist schließlich nicht irgendwer. Der war einmal Olympiasieger im Kugelwerfen.
Aber ich sehe schon, die Sache interessiert dich gar nicht. Na gut, ich muss ja dringend ins Physikalische Institut. Also, bis zum nächsten Mal!
Es brodelt in meinem Kopf
Diese Begegnung ist mir nicht gut bekommen. Jetzt sind schon vierzig Minuten vergangen, ich fühle mich wie ein Fakir, der das erste Mal versucht, auf einem Nagelbett zu schlafen. Die Begegnung mit Tannenberg hat mich noch zusätzlich aufgerührt. Im Grunde ein lieber Kerl, nur leider zu klein geraten und auch nicht gerade schön, da ist man wohl von Natur aus mit Ressentiments voll gestopft.
Aber jetzt reicht es. Keine Sekunde warte ich länger, nicht einmal für die schönste, geistreichste und bezauberndste Frau dieser Welt. Immerhin müsste sie wissen, dass unsereins seine Tage nicht als Müßiggänger verbringt. Ich stehe unter der Fuchtel einer Redaktion, die mich für komprimierten Geist bezahlt, und zwar zeilenweise, nicht für stundenlange Ausflüge zum Heldenplatz und Umgebung.
Na ja, all diese verrückten Sprüche, die einem bei solcher Gelegenheit unzensiert durch den Schädel jagen. Eine Frau, die man liebt, sei wie ein drittes Auge, ein Auge, mit dem man neue Welten erblickt, so habe ich einmal gelesen. Aber das ist nicht wahr. Eine Frau, auf die man wartet, gleicht eher einem Tumor, den man möglichst schnell wegoperieren sollte, bevor er einem das Hirn vergiftet.
Elli, ich gehe.
Im selben Augenblick, da ich mich entschlossen zum Fortgehen wende, weiß ich, dass ich meinen Vorsatz nicht durchhalten werde. Ich bin ja einfältig genug, diese Frau immer noch zu lieben. Schon taucht ihr Gesicht vor meinen Augen auf, schon sehe ich ihr Lächeln. Ich weiß, so sehr ich mich dagegen sträube, werde ich doch weiterhin jede ihrer Vorstellungen besuchen und weitere Artikel über sie schreiben.
Und dann? Nein, so leicht wimmelt man einen Carsten Reddlich nicht ab. Tumor oder drittes Augen, ganz gleich. Ich werde mich unersetzbar machen. Du wirst begreifen, Elli, dass niemand anders so gute Kritiken über dich schreibt wie der tumbe Tor aus Frankfurt am Main.
Es klingelt. Das Handy. Na also. Ich wusste es doch, dass all diese aufgescheuchten Gedanken nichts taugen. Sie wird sich entschuldigen, dass sie sich leider verspäten muss. Schon gut. Ich sehe ja ein, dass es in ihrem Beruf nicht ganz einfach ist, Vereinbarungen einzuhalten. Regisseure zählen heutzutage zu den letzten Monarchen. Herrscher sind das, absolute Herrscher. Gibt es sonst nur noch im Vatikan. Pünktlichkeit, die gilt nur für uns, für Journalisten. Journalismus ist Pünktlichkeit plus Faktenhuberei und eine deftige Portion Sprachalchemie.
„Sorry, Carsten, im letzten Moment ist der Handaufleger dazwischengekommen. Schicke Dir später noch eine Nachricht. Brauche Hilfe fürs Internet. Seltsame Ausfälle. Tschau.“
Also doch eine Abfuhr, habe ich mir fast schon gedacht. Handaufleger? Was hat der Handaufleger mit unserer Verabredung zu tun? Das kann doch nur eine Ausrede sein! Kann mir schon denken, wo dieser Mensch bei Schauspielerinnen gerne die Hand auflegt: Auf die Weichteile natürlich. Wie kann ein Engel wie Elli Koschinsky sich von einem Handaufleger beeindrucken lassen? Sie ist doch intelligent, in ihrer Rolle als Marianne zwischendurch auch böse, sarkastisch und skeptisch. Den Mann werde ich mir aus der Nähe betrachten, möglichst ohne dass sie davon Wind bekommt. Eine gute Gelegenheit sollte das jedenfalls sein, über den Tsunami an esoterischem Geschwätz, der die Köpfe in Wien verdunkelt, selbst den von Hieronymus Brohh, ein paar wirklich ätzende Zeilen zu schreiben. Habe den Titel schon ungefähr im Kopf: „Meister der Finsternis – wie man mit Handauflegen Geld aus der Tasche und die Vernunft aus den Köpfen zieht. “
Jetzt bricht die schlechte Laune vollends über mich herein. Ich würde am liebsten über die Beete mit der ganzen überflüssigen Blütenpracht laufen und sie zertreten.
Lasst mich doch in Ruh mit eurem täuschenden Rosenfrieden! Ich weiß, ihr seid