Wien!. Till Angersbrecht
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wien! - Till Angersbrecht страница 6
Diese dummen und kleinlichen Überlegungen schießen mir durch den Kopf – ich habe größte Mühe, sie jetzt wahrheitsgemäß zu verzeichnen. Wahr ist aber auch, dass sie mich gleich danach über die Maßen geärgert haben. Aber so ist es eben: Ein Wartender verliert alle Kontrolle über den eigenen Kopf. Die Unruhe fährt ihm wie eine Lähmung in die Glieder, alles was sich im Mülleimer seiner Seele über die Jahre an gedanklichem Unrat so angesammelt und abgesetzt hat, spritzt, wenn Du einen solchen Menschen auf das Folterrad des Wartens spannst, unkontrolliert aus dem Bauch in die Höhe und breitet sich wie ein schillernder Ölteppich in seinem Bewusstsein aus.
Bitte sehr, möchte ich deshalb sagen: Das allein ist doch schon ein ausreichender Grund, warum eine Frau ihren Liebhaber niemals so quälen sollte!
Zum Beispiel gehen mir in diesem Augenblick die Helden durch den Kopf und auf die Nerven; ich meine die Helden des benachbarten Platzes gleichen Namens. Unsere demokratische Zeit liebt keine Helden, poppen die Gedanken aufgescheucht in mir auf. Die erinnern uns auf peinliche Art immer nur daran, dass wir selbst keine sind. Ihre bloße Existenz ist eine Demütigung.
Ich warte und brechen die Gedanken in meinem Kopf so aus wie eine Schar Schuljungen, wenn es zur Pause läutet.
Helden? Da werden doch nur die armseligen Dummen nachträglich verklärt, die sich für das Vaterland abschlachten ließen, genauer gesagt für den Kaiser und seine Spielzeuggeneräle, die, gleichmütig lächelnd über das Schachbrett der Macht gebeugt, die kleinen Leute an den Fronten verheizten. Welcher Triumph wurde da denn eigentlich gefeiert? Na ja, im Zweifelsfall war Prinz Eugen am Werk, der in Wien für die meisten Heldentaten zuständig ist. Nein, das wird wohl doch nicht stimmen. Wenn ich mich recht entsinne, geht es um den Sieg Erzherzog Karls über Napoleon.
Ich warte Elli, ich warte. In aller Freundschaft möchte ich dir sagen: Eine halbe Stunde Verspätung, das ist Gift für die Gefühle. Ich liebe dich, aber wenn du mich als Spielzeug missbrauchst, dann ...
Heldenplatz! Wenn man die vermeintlichen Helden doch wenigstens ins Leben zurückrufen könnte, damit wir wissen, wie es zu ihrer Zeit wirklich war.
Aber Schluss damit! Die Vergangenheit geht mich nichts an. Nur die Gegenwart zählt. Ich schreibe über Leute, die ich sehen und die ich berühren kann. Geschichte interessiert doch heute niemanden mehr.
Elli, ich begreife ja, dass sich eine Schauspielerin nicht um die pedantische Botschaft von einem Ziffernblatt kümmern muss. Die Kunst steht über der Zeit. Das wissen wir. Aber wenn du schon weißt, dass der Regisseur absoluter Herr über deine Terminplanung ist, warum bestellst du mich dann in den Rosengarten? Soll ich denn gleich zu Anfang die Grundlektion lernen: Liebe ist Schönheit plus Dornen?
Warten, warten und warten - das ist wie ein Rühren im Gedankenschlamm des Gehirns. Alles wird aufgewirbelt, selbst der übelste Argwohn und der dümmste Verdacht. Jetzt stelle ich mir doch tatsächlich die Frage, ob ich der Frau Schauspielerin etwa nicht gut genug bin? Habe ich vielleicht eine schlechte Figur gemacht, als ich Dr. Brohh gegenübersaß? Ja, es stimmt: Ich war die meiste Zeit über stumm, gelähmt von Bewunderung für die Frau an meiner Seite. Aber sie hat mir doch vor der Tür des Griensteidl sogleich das Du angeboten, sie ging bereitwillig auf meinen Vorschlag zu einem Treffen ein! Deswegen, nur deswegen steh ich hier.
Da spricht die verletzte Eitelkeit, sagt mir mein anderes, mein besseres Ich. Das Dümmste, was dir jetzt einfallen kann, ist Vergangenheitsforschung, ob du vielleicht in diesem oder in einem anderen Moment dieses oder jenes unbeholfene Wort von dir gabst.
Reiß dich zusammen! Immerhin hast du ihren Auftritt in Horvaths Wiener Geschichten voller Enthusiasmus geschildert. Natürlich bist du dabei nicht ganz ehrlich gewesen, gib das nur zu. Dafür aber hast du dich ja auch längst gehörig gegeißelt. Du warst hingerissen von ihrer Figur, von ihren Bewegungen, von ihrer Stimme – jedenfalls wenn sie zwischendurch einmal leise sprach. Aber das hat sie leider eher selten getan.
Schade, dass unsere heutigen Schauspieler nur noch in Ausnahmefällen leise sprechen, etwa dann, wenn sie heiser sind oder physisch leidend. Im Normalfall wird auf sämtlichen deutschen Bühnen gebelfert, gekrächzt, gebrüllt und gekreischt - was die Lunge eines Schauspielers nur so hergibt. Die Leidenschaft wird bei uns durchwegs in Dezibel gemessen. Gefühle müssen eimerweise ausgegossen werden, sonst nimmt man sie nicht mehr wahr.
Das hast du in deiner Kritik unterschlagen, und deswegen war deinem Lob eben auch ein Quäntchen Unehrlichkeit beigemischt. Aber, bitte, kein Kritiker hat Elli Koschinsky so auf den Podest der großen Kunst gehoben. Deinen Artikel kann sie sich zu Hause einrahmen und an die Wand anheften, wie man eine Ehrenurkunde aufbewahrt. Ist es denn nichts, in einer führenden deutschen Tageszeitung so in den Himmel gelobt zu werden?
Mein Selbstgespräch wird zur Selbstquälerei, weil jetzt schon dreißig Minuten vergangen sind, dreißig Minuten im Rosengarten mit Blick auf den Heldenplatz nebenan.
Sei still, Carsten, rede ich auf mich ein. Ich weiß schon, was du sagen willst, hast es mir ja schon zum x-ten Mal unter die Nase gerieben. Die Liebe einer Frau lässt sich nicht kaufen. Wenn ihr deine Person missfällt, kannst du noch so gute Artikel schreiben, sie wird dich allenfalls wie ein Schoßhündchen an der Schnur mit sich führen.
Auch das noch!
Servus Carsten!
Nein, das ist jetzt nicht mehr meine eigene innere Stimme, das ist auch nicht die Stimme Ellis, sondern das ist die Stimme von Thorbrecht Tannenberg.
Das auch noch! Ich schrecke zusammen. Um ehrlich zu sein, würde ich den Mann am liebsten löschen, ich meine so löschen, wie ich gewohnt bin, am Computer eine unpassende oder überflüssige Textstelle nachträglich zu entfernen. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, bin ich tatsächlich unschlüssig, ob ich Thorbrecht Tannenberg an dieser Stelle überhaupt nennen soll. Hätte ich einen frei erdichteten Roman zu verfassen, nun, dann würde ich dem Mann hier gewiss keinen Platz einräumen, jedenfalls nicht an dieser Stelle im Volksgarten, während ich auf Elli Koschinsky warte. Ich müsste ja langatmig erklären, dass er ein Physiker und Freund von Albert Kinsky, dem Bruder von Lisa, ist. Und natürlich müsste ich mich schon hier dafür rechtfertigen, dass ich zu Lisa – ich will es einmal ganz allgemein ausdrücken - ein besonderes Verhältnis besitze.
Also, in einem frei erfundenen Roman würde Tannenberg, die ‚kleine Tanne’, wie ihn seine Freunde nennen, an dieser Stelle ganz einfach stören, da ich ja auch noch ein Wort über seine physische Erscheinung, nämlich seine auffällige Kleinwüchsigkeit, den unübersehbaren Ansatz zu einem Buckel und über seinen Charakter hinzufügen müsste, damit der Leser überhaupt weiß, wen er vor sich hat.
Ich schreibe allerdings keinen Roman, sondern eine Chronik der Stadt Wien in einem ihrer historisch bedeutsamsten Momente, nämlich während der „dritten Belagerung“. Deshalb bin ich den Tatsachen und der Wahrheit verpflichtet und kann den Mann nicht einfach wegretuschieren. Ich muss ihn in meiner Nähe dulden, ich muss sogar im Einzelnen wiedergeben, was er mir sagt, obwohl es mich wirklich die größte Mühe kostet. Natürlich weiß er nicht, dass ich mich keinesfalls zufällig im Rosengarten befinde.
Carsten, hast Du das Neueste über den Fall Kowatsch gehört, den ehemaligen Kugelwerfer, angeblich mitten im Witzereißen verstorben? Ein Hexenzirkus, sage ich Dir, eine unglaubliche Geschichte. So etwas Tolles kann nur in Wien passieren. Du kennst ja unsere Götter in Weiß, nicht wahr?
Na, ich weiß, du bist eine treudeutsche Seele, unschuldig und naiv. Da wirst Du Dir gar nicht vorstellen können, wie schnell sich diese Götter in die ärgsten Teufel verwandeln. Nein, du hast wirklich noch keine Ahnung von