Wien!. Till Angersbrecht
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Die Frau verstummte nun ebenso und begann still zu schluchzen.
Nun fahr doch endlich, habe sie ihren Freund gedrängt. Die Ampel sei längst auf Grün gesprungen, und die Fahrer in ihrem Rücken hätten schon wild zu hupen begonnen. Aber er fuhr nicht, saß einfach da. Sie hätte ihm einen Puff in die Rippen versetzt, und dann, ja dann sei sein Kopf einfach so nach vorne gekippt.
Erneut musste die Polizei ihr Schluchzen abwarten, bis sie am Ende hervorstieß:
Wissen Sie, ich kann es einfach nicht fassen, das ist so unbegreiflich!
Und Sie selbst haben überhaupt nichts bemerkt, fragte einer der Polizisten.
Doch, es sei ganz eigenartig gewesen. Während er seinen Witz erzählte – wir befanden uns da schon fast in der Mitte des Gürtels – hätte sie plötzlich ein seltsames Kribbeln am ganzen Körper verspürt. So etwas habe sie schon einmal erlebt, damals auf einem Ferienaufenthalt in der Nähe von Barcelona, als der Weg unter einer summenden und reichlich tief hängenden Hochspannungsleitung verlief. 380 000 Volt, ein seltsames Gefühl. So ähnlich sei es auch auf der Kreuzung gewesen.
Dombrowsky hatte den Akt sorgfältig gelesen. Als er auf die Stelle mit dem Kribbeln stieß, konnte er sich eines Lächelns nicht erwehren. Typisch weiblich, dachte er. Was die Frauen sich so zusammenreimen! Mitten in Wien Hochspannung auf einer viel befahrenen Kreuzung. Absurd! Der Mann hatte einen Schaden, das war alles, und er, Dombrowsky, würde diesen Schaden aufgrund seiner langen Erfahrung als Gerichtsmediziner alsbald ermitteln und mit vorschriftsgemäßer Ausführlichkeit beschreiben.
Zu diesem Zwecke wurde der ehemalige Kugelwerfer nach allen Regeln der ärztlichen Kunst in seine sämtlichen Teile zerlegt: das Herz, die Lungen, die Milz und die Leber, natürlich auch das Stammhirn und die Nebenhirne. Dieser Arbeit vermochte Dombrowsky gerade dann mit besonderer Genugtuung zu obliegen, wenn sie einen jung Verstorbenen betraf, denn dann konnte man noch das großartige Werk der Evolution bewundern, die in allerhöchster Präzision und ohne Scheu vor einem unglaublichen Aufwand an Komplexität das perfekte Uhrwerk eines lebenden Organismus erschuf.
Eine schöne Leich, murmelte Dombrowsky immer wieder und bewies damit auf seine besondere Art, wie groß die Ehrfurcht des Wieners vor dem Tode in seiner erhabenen Schönheit ist. Natürlich ließ Dombrowsky diesmal keinen einzigen Schritt der üblichen Prozedur außer Acht. Die einzelnen Organe wurden fein säuberlich abgetrennt, zerlegt, abgelichtet und physiologisch wie nach dem Augenschein der sorgfältigsten Begutachtung unterworfen, Gewebeproben entnommen und an die einschlägigen Institute zur genaueren Untersuchung verschickt.
Das Ergebnis war dann freilich auf schmerzliche Art enttäuschend – zumindest für einen so gewissenhaften Gutachter wie Dombrowsky. Man muss sogar sagen, es war sehr enttäuschend, denn schließlich ging es dabei um seine ärztliche Reputation. Ein Mensch stirbt ja nicht einfach so, von einem Moment auf den anderen und noch dazu mitten beim Erzählen eines deftigen Herrenwitzes. Eine Wirkung muss ihre Ursache haben, ihren nachweisbaren Grund - das war und ist ein Grundsatz der Medizin, an dem nur Schwachsinnige und Esoteriker zu rütteln oder zu zweifeln wagen. Doch Dombrowsky, einer der angesehensten Spürhunde seiner Zunft, dem auch der kleinste Webfehler eines menschlichen Körpers nicht zu entgehen vermochte, entdeckte zwar, dass die Leberwerte des Mannes aufgrund einer zehn Jahre zuvor ausgeheilten Hepatitis – unerfreuliche Nachwirkung eines vormaligen Indienbesuchs - den Normwert nicht völlig erreichten, doch in jeder sonstigen Hinsicht war der Mann kerngesund, ja strotzte geradezu vor Gesundheit. Dombrowsky musste sich eingestehen, dass es keinen Grund für sein Ableben gab, oder dass - genauer gesagt, denn einen Grund musste es ja geben, da nichts auf dieser Welt grundlos geschieht - dass er, Dombrowsky, diesen Grund nicht zu finden vermochte. Das wurmte ihn schrecklich, bereitete ihm geradezu geistige Pein. Andererseits war Dombrowsky ein von Grund auf ehrlicher Mann, ehrlich genug jedenfalls, genau das in seinem Befund zu vermerken.
Wörtlich bezeichnete er das Ableben von Boris Kowatsch als unerklärlich. Das hätte er besser nicht tun sollen!
Rosen, Rosen, Rosen
Kurze Zeit nachdem Dombrowsky sich über eine ‚schöne Leich’ gebeugt hatte, wobei er sie kunstfertig in ihre nicht weniger schönen Einzelteile zerlegte, streiche ich durch den Volksgarten neben dem Heldenplatz, der seinen Besuchern zu dieser Zeit ein üppig blühendes Prachtgewand zeigt. Mein Blick schweift über die lächelnden kleinen Gesichter Tausender karmesin-, ziegel-, blut- und orangeroter, gelber und selbst einiger weißer Rosen, er streicht achtlos über die Mütter mit ihren Kinderwagen, während ich mich zwischendurch über all die kamerabewehrten Touristen wundere, die links und rechts Bilder schießen, ganz als wären in ihrer Heimat Rosen unbekannt oder gehörten einer ausgestorbenen Spezies an. Vermutlich gehorchen sie nur einer inneren Stimme, die ihnen eindringlich den Befehl zuflüstert.
Hier bist du Tourist, hier musst du’s sein!
Der Tourist als solcher hat eben nichts anderes zu tun, als links und rechts alle möglichen Bilder zu schießen. Ich hingegen fühle mich merkwürdig abgelenkt. Zwar könnte ich mir die kleinen weißen Auskunftsschilder anschauen, welche die Rosen aus ihrer namenlosen Existenz in das Bewusstsein bildungsbeflissener Betrachter katapultieren. Die geben auf Deutsch und Latein brav Auskunft über die genaue Bezeichnung einer jeden von ihnen. Doch zu dieser Erweiterung meiner Bildung geht mir die innere Ruhe ab.
Ich bin nämlich hier, um zu warten.
Ich könnte mich auch fragen, ob der Mann, der mir gerade entgegenkommt, ein Japaner oder ein Chinese sei. In jüngster Zeit sind die einen im Rückzug, während die anderen gerade im Begriff sind, das Alte Europa in Massen heimzusuchen, weil sie darin eine Art Freilichtmuseum erblicken.
Aber ich stelle mir diese Frage nicht, ich warte.
Da vorn, es ist nicht zu fassen, sehe ich eine in Pechschwarz von unten bis oben umhüllte Frau, die in ihrer Rechten ein Eis balanciert, das irgendwie durch den schwarzen Stoffpanzer zu ihrem Mund kommen will. Also hebt sie den Lappen über dem Eingang mit einem Handschlenker blitzschnell in die Höhe, um kurz an der Leckerspeise zu züngeln. Ich kann nicht umhin, dieses rote Züngeln aus schwarzer Mumifizierung im höchsten Grade aufreizend zu finden, ja geradezu obszön.
Wäre es nicht weniger aufreizend, wenn sie ihr Eis in vollständiger Nacktheit verzehren würde? Dieser Gedanke verdient es, vertieft zu werden.
Aber ich vertiefe ihn nicht, denn ich warte.
Zwanzig Minuten spaziere ich nun schon im Volksgarten auf und ab. Meine Gedanken sind im Begriff, eine unerfreuliche Wendung zu nehmen. Gewiss doch, ich weiß ja, dass Frauen seelisch darauf programmiert sind, die Zögernden, Abwartenden, Zurückhaltenden zu sein. Eine Frau hat das Recht, ihren Liebhaber auf die Folter zu spannen. Das trägt unfehlbar dazu bei, den Testoteronspiegel des Mannes zu erhöhen und sein inneres Feuer umso stärker zum Lodern zu bringen.
Aber bitte, Elli, du solltest dennoch nicht übertreiben! Bedenke doch, ich bin ein vielbeschäftigter Journalist. Ich brauche Dir nicht zu sagen, dass mein Name unter Kennern inzwischen einen gewissen