Animus oder Die Seele eines Stärkeren. Nik Morgen

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Animus oder Die Seele eines Stärkeren - Nik Morgen

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      Auf der rechten Seite des Todes

      Man sah ihn jetzt nur selten mehr. Und die direkte Begegnung blieb aus, weil sie inzwischen – sprich: seit dem letzten Zwischenfall – unmöglich war. Aber es war auch unbestritten, dass er die Billets alle las.

      Wie er sie empfand, dachte man, war nicht wesentlich, nur dass… Sie würden diesen Menschen verändern. Das war das Aufregende.

      Aber man trug auch andre Nöte und glaubte oft nicht, dass sich etwas tat; zumindest nichts, was einen rückbetraf.

      So lebte man im Zimmer jenes Turmes fort.

      Es war nun einmal eine fixe Regel bei dem Spiel – Spiel konnte man’s im Ernst

       nicht nennen – dass sein Reich für einen selber ganz unzugänglich war.

      Man hatte ja gesehen, was passiert, wenn man’s betrat: Das Leben wurde ausgehaucht, kein Resten blieb zurück von all der Fülle und dem Adel. Die Grenzen waren fix, Einlass nicht gewährt, und einer Missachtung drohte Gewalt.

      Ihn im Fall des Zwischenfalls zu stützen wurde einem als Fehler

       spätenstens deutlich, da man diesen Übertritt mit einem blutigen Aug einsehen musste.

      Und die Bahn blieb frei, eingefahren zu werden;

       die Mittel und alle Wege offen, es zu tun,

       wie immer er sich dazu entschied.

      Wie immer, falls die Fortsetzung folgte – man glaubte nicht daran – dann konnte nur er auf einen zugehn…

      Der Tod kam in das Haus und drang in das Zimmer vom Torhüter im oberen Stock.

       Alles ging zur Beerdigung im Friedhof bei der Kirche.

      Der Morgen war kalt, dunkel und neblig.

      Man sah oder hörte kaum den Nächsten neben sich, sah oder hörte nur das Grab, in das der Sarg verschwand; fühlt sich allein und verschleiert, denn der Nebel drang, wenn nicht in alle, dann besonders in des einen Augen, so dass man den Körper dem Gefühl gemäss hinzusetzen wagte und gegen den Grabhügel um die Öffnung in die Erde kniete und unablässig tränte.

      Es ging einem nicht um den Tod, der banal war wie ein Handschuh,

       und nicht um den Verstorbenen, den man kaum liebte, sondern man war an das lichte Leben erinnert, und das verursachte die gesamte Trauer.

      Ihn konnte man nicht sehen; man suchte ihn auch nicht, denn das ging ihn nichts an. Es war das eigene, das einem alleingehörend, einz-elendig Verzweifelte.

      Doch dann war die rechte Hand auf dem Kopf.

       Ebenmässig ging es durch beide Körperhälften.

      Man musste sich nicht umdrehen fürs Erkennen, und das Haar, der Kopf war Widerstand genug für das Entgegnen.

      So waren beide in der Gemeinschaft aufgehoben;

       der Prozess des Trauerns schloss den Kreis.

       Jetzt fand das Leid eine Richtung und versickerte tief in des Grabes

       Erde, wo nachher viele Blumenkränze lagen.

      Es war das erste Mal, da man verstand, VERSTAND OHNE NACHZUDENKEN, und da die Trauer zu dem grössten Tröster wurde.

      Darauf würd man sich noch oft berufen: Man hatte einmal Bedeutung gelebt.

      Er, der in der einen Nacht Verwünschungen sprach, stand heut´ auf der rechten Seit des Todes. Er, der Captain, der seine Hand am Metallgerüst vom Torhüter seines Teams geschnitten, hat sie aufgelegt und einen Toten lebend gerettet, der auf dem Grabhügel schon vornüberneigte.

      Nach diesem Morgen durft man alles wagen, Weil einem nichts Gravierenderes passieren konnte.

      Balkonszene

      In diesem Augenblick packte ihn tatsächlich eine Böe. Wir befanden uns auf einer Balkonterrasse der Hochschule. Der Wind fuhr ihm mit geschickten Bewegungen in den Blazer, und rang ihm zuerst den einen, und wie er danach zu greifen versuchte, den andern Ärmel ab und trug das Kleidungsstück in die unsichtbare Dunkelheit. Selber überrascht von dieser Attacke der Natur gewahrte ich ihn für einen Augenblick entblösst. Durch Licht- und Schatteneinwirkung zeichnete sich auf der senkrechten Mittellinie seiner Brust eine dicke, schwarze Böschung, die gegen unten breiter und üppiger wurde.

      Die Böe, die ihm den Blazer fortgetragen hatte, hatte ihn so gewaltsam ergriffen, dass er die gesamte Kleidung korrigieren musste. Er knöpfte sein Hemd zu und schloss den Reissverschluss. Es wirkte so, als würde er Wolle verpacken. Die Wolle eines Wolfspelz.

      Obwohl mich der Windstoss nicht direkt tangiert hatte, fühlte ich mich nach der Pause heiter und belebt, statt grüblerisch und ernst wie vorher. Ich hatte das Gefühl, als sei mir in dieser Pause das Wesen des Menschen um einen bedeutsamen Aspekt klarer geworden. Immer hatte ich um den Einfluss von Licht und Schatten auf das Innere des Menschen gewusst, aber die unmittelbare Nähe, in der beides nebeneinanderlag, war mir auf diese eigentümliche Art und Weise offenbar geworden. Ich fühlte mich persönlich betroffen.

      Bart

      Vielleicht, so versuchte ich gemäss den Regeln der psychischen Gesetzlichkeiten zu folgern, war der Mann mit diesem Bart schon früh und dennoch nicht früh genug seiner Mutterbindung Herr geworden, vielleicht hat ihn der Bart vor seinem Anwalt-Vater grad stehen lassen, vielleicht konnte er sich mit Hilfe des Bartes gegenüber Kamaraden vor dem zarteren Geschlecht durchsetzen. Der Bart, so sagte ich mir in der Betrachtung, dieser schöne Bart ist eine tragische Heldengestalt.

      Der Bart konnte singen; ein tragender Tenor, der mitten im Verband weit über den Chor hinauswuchs und als Solo-Stimme jene Hörer durchdrang, die ihn nicht durch einen Willensentschluss – sei’s aus Gründen der Rivalität oder aus Furcht vor Betörung – zurückwiesen. Aus der Bartöffnung drang die Stimme des Schwanenkönigs, der dank seiner Krone um den Mund gar als weisse und schmerzempfindliche Seele den See, die Seelen-Landschaft Musik regieren konnte und so auch in musischer Disziplin der Premier war; wenn auch immer als beides: als Beherrscher und Beherrschter, denn auch der Wunsch, die eigene Freiheit und Sensibilität auszudrücken, die in jedem Gesangsbedürfnis liegt, durfte sich nie anders ausdrücken als im Überragen der andern und in der Bestleistung, durfte nie Spiel sein oder Liebesgeständnis.

      Der Bart konnte auch boxen und ringen und war in allen Wettkämpfen in der ersten Kategorie anzutreffen. Aber er war auch Geist, er konnte reden, betonen und auf gewinnende Weise vortragen, bilderreich und weise, denn der Bart war ehrgeizig und begabt und wollte in jeder Disziplin siegen. Doch nur Gott durfte sehen, wie der Bart auch weinte und wie das Gebet immer wieder über seine langen Stoppeln strauchelte. So konnte der Bart auch lieben, nur eben nach Bartes Art. Und auch umgekehrt wurde der Bart geliebt oder gehasst wie es dem Barte zukam, aber nicht dem Menschen, der ihn trug. Ich weiss es, weil auch für mich dieser Bart Heimat war oder mich zumindest an mein

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