Animus oder Die Seele eines Stärkeren. Nik Morgen
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Читать онлайн книгу Animus oder Die Seele eines Stärkeren - Nik Morgen страница 12
EINER: Lass mich sehen! Ah, wie das blendet. Als wäre die Wunde aus Kristall. (Zu sich.) Wie teuer ist wohl dieser Schrein? (Zum Brustkasten.) Deine Arbeit kommt dich teuer zu stehen. Wenn jedesmal Metall da hineingeht.
BRUST: Ja, sie mussten mir den ganzen Korb versilbern und vernieten. Kannst du mir die Steine entfernen?
EINER: Ja. Ich halte die Pincette von blosser Hand. Diese Kristalle sind wie Reliquien.
BRUST: Jeder Stein, den du wegnimmst, nimmt mir wie durch einen Nadelstich den Schmerz.
EINER: (Zu sich.) Ich bin wie benommen. Mir scheint, als tue ich zum ersten Mal etwas Sinnerfülltes. Noch nie bin ich der Quelle so nahe gestanden. (Zum Brustkasten.) So. Das war der letzte.
BRUST: Da, ich schenke dir den Schrein.
ERZÄHLER: Er fasst seinen Brustkorb an den Seiten und stösst ihn ruckartig von sich ab und gibt ihm den schweren Kasten.
EINER: Der Tresor wiegt Tonnen. Ich stell ihn hier mitten aufs Pult. Was soll ich sagen, wenn jemand fragt, wem er gehört.
BRUST: Sag, es sei deiner.
EINER: Ich war in meinem Leben noch nie so zerrissen. Die Flammen aus deiner Brust stieben auch aus mir.
BRUST: Denke daran: Unten wird der Feuerstrauss gebündelt. Und die Dornen schützten die Schönheit der Rosen. Du wirst an deiner Liebe gesund werden.
EINER: Ich werde jeden Tag deinen Korb öffnen. Gott behüte dich!
Brustöffnung
Ich fing daher an, Fensterchen zu öffnen, um den Erfolgreichen und Mächtigen und zwar den Sympathischen unter ihnen, denn das war die Voraussetzung, mit ein wenig Mystik Tief-, bzw. Wellenhochgang beizubringen. Das Leben ist doch keine Schnur!
Jedem, der den Anschein machte, er könnte es verkraften (und eine besondere Begabung zu haben schien) öffnete ich auf der linken Brusthäfte das Fensterchen. Im Tram, auf Plätzen oder an Haltestellen, wo ich die Menschen beobachten konnte, ging ich als Art Taschendieb und Strassenkünstler durch die Reihen und schob das kleine Scharnier, dessen Stelle ich mikrobiologisch genau kannte, einen Fingerbreit zurück und täuschte dabei vor, ich hätte eine kleine Münze aus der Brusttasche des Betroffenen gezogen, was gar nicht gelogen war. Die meisten nahmen mir den Spass willig, ein paar auch unwillig ab, denn ich war offensichtlich harmlos.
Die Konsequenz meiner Handlung entdeckten sie erst, wenn sie sich auf dem Bett liegend wieder einmal richtig wahrnahmen. Ihr Atem hatte jetzt etwas Existentielles. Sie griffen sich an die Brust und sahen mit inneren Augen, dass ihr Zeigefinger wie über eine kleine Bildschirmfläche fuhr, über ein touch-pad sozusagen, der aber empfindliche Hautoberfläche war, und unter der sich Dinge bewegten.
cancer
ein bulliger Grossvater aus dem Ostblock wurde
aufgrund mangelnden Benehmens
zur Adoption freigegeben
und weil ich mit 46 endlich ein Kind haben wollte
nahm ich den Kleinen auf
er war Kettenraucher, spuckte in alle Ecken
und hatte einen Ausschlag im Gesicht
den ich mit der Zeit zum Teil behandeln konnte
die Zigaretten stellte ich ihm ab
er konnte nämlich noch nicht Treppen laufen
und sich welche kaufen gehen
weil er dann so tobte
musste ich eine Zimmerecke ganz weich einrichten
und ihn ein paar Mal auf den Boden werfen
bis er wieder friedlich war
es gab auch einen Abfluss in der Ecke und eine demontierbare Schüssel
manchmal urinierte er aus Protest
sowie eine Gitterschranke mit farbigem Schaumgummi
über diese Freiheitsentzugsmassnahmen
war ich gar nicht glücklich
und ich freute mich, wenn ich ihm seinen kleinen roten Krebs aus der Badewanne bringen konnte
dann strahlte er mich an, dass mir die Tränen kamen
ich scheute mich vor dem Krebs, weil er mir am ersten Tag
in die Nase gebissen hat
und ein Nasenflügel seitdem gespalten war
aber das war mein Fehler: ich hatte gemeint er sei aus Plastik
nach dem Entzug sass er bei schönem Wetter auf dem Balkon
und spukte über das Geländer
das war erlaubt
auch wenn sie seinetwegen die Autos von der Garage
umparkieren mussten
bei schlechtem Wetter sass er beim Fenster im Korridor
und schaukelte hin und her
ich hatte ihm eine grosse Zielscheibe mit bunten Kreisen unmittelbar vor das Stuhlbein gestellt
er traf in den meisten Fällen, denn er sah gern
wie die Spuke durch die Farben lief
ich lernte einige Brocken Yugoslavisch
und brachte ihm dann die erlernten Sätze bei
denn selber brummelte er nur “dobro”
was ein angenehmes Wort war, denn es bedeutete “gut”
einmal polterte er solang an die Wohnungstür, dass ich sie aufschloss und ihn zur Treppe führte
er wollte, dass ich ihn hinuntertrage
aber er war doppelt so schwer
da setze er sich protestiv auf den Hintern
und begann hinunterzurutschen
eilends brachte ich ihm ein Kissen
denn ich dachte an seine alten Knochen
inzwischen alarmierte ich die Zügelfirma für einen Flaschenzug
mit dem er damals bei mir eingezogen war
ein Treppenlift gestattete die Verwaltung nicht