Jagd auf Cosima. Bärbel Junker
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ERPRESSUNG
Die ersten Takte des Boleros von Ravel vermischen sich mit dem leisen Rauschen eines Flusses. Der großformatige Flachbildschirm zeigt das Panorama des im milden Abendlicht glitzernden Bodensees. Späte Sonnenstrahlen überziehen das Wasser mit diamantenem Schimmer. Die weißen Segel der schnittigen Boote erglühen orangerot, faszinierend schön wie auf einem exquisiten Ölgemälde.
Ravels Bolero gewinnt an Substanz. Die Musik schwillt an. Das idyllische Bild des Bodensees vergeht.
Farbige, sich ekstatisch windende Kreise huschen über den Bildschirm. Die Musik spielt Fortissimo. Ein Tusch und ... ein Entsetzensschrei aus rauen Männerkehlen.
„Mein Gott! Was ist das?!“, stöhnt der Innenminister Randolph Stein.
Ravels Bolero verklingt, das Entsetzen bleibt, manifestiert sich in dem Bild auf dem Monitor.
Ein INSEKT!
Doch was für eine Scheußlichkeit! Größer als zwei Riesenschildkröten zusammen, aber chitingepanzert wie ein Insekt. Und dann der abscheuliche Kopf, auf dem die nach allen Seiten beweglichen Augen auf Stielen sitzen. Und das bizarre Geschöpf bewegt sich behände auf sechs stämmigen Beinen.
„Und das ist C O S I M A!“,
sagt eine elektronisch verzerrte Stimme in die atemlose Stille hinein. „Sie ist die Mutter meiner Wasservernichtungswanzen, die Sie gleich sehen werden. Danach gebe ich Ihnen meine Forderungen bekannt. Und nun viel Vergnügen, meine Herren.“
Wieder Cosima. Doch diesmal hockt sie in einem riesigen Aquarium. Eine behandschuhte Hand schiebt sich ins Bild und stellt eine Schale gefüllt mit einem undefinierbaren Brei vor das Insekt. Cosima macht sich darüber her und noch während sie frisst, werden aus ihrem Hinterteil wie am Fließband wallnussgroße Insekten gedrückt. Nachdem sie die Schale leer gefressen hat, schließt Cosima die Augen und schläft ein.
Eine Glasscheibe senkt sich zwischen sie und die walnussgroßen Insekten herunter die munter werden, als Wasser in ihre Aquariumhälfte sprudelt. Sie saugen es ein und stoßen es als Sand aus einer Öffnung am hinteren Ende ihres Körpers wieder aus.
Und sie arbeiten schnell! Sehr schnell!
Die Zuschauer sehen sprachlos zu wie sich Leben spendendes Wasser vor ihren Augen in Sand verwandelt.
Abrupter Szenenwechsel.
Das zauberhafte Panorama des Bodensees vertreibt die Wasser vertilgenden Scheußlichkeiten vom Monitor. Die Insel Mainau in ihrer ganzen Schönheit nimmt ihre Stelle ein. Sanft sich wiegende Palmenwedel im lauen Wind; Sonnenstrahlen vergolden das sich sanft kräuselnde Wasser. „Wie schön“, flüstert eine Stimme. Im Hintergrund ertönt leise Musik.
Ein gewaltiger Paukenschlag beendet jäh die Idylle! Gläser fallen aus zitternden Händen und zerschellen am Boden. Eine erschreckende Computersimulation vertreibt die eben noch dargebotene heile Welt.
Sandhügel schieben sich auf die Mitte des Sees zu, nehmen die Insel in Besitz, die jetzt inmitten mumifizierter Felchen und Forellen, Hechte und Barben liegt.
Abgestorbene Palmenwedel bewegen sich raschelnd wie altes Pergament im heißen Luftstrom des Windes. Birken und Eichen, Akazien und Linden, Ulmen und Eiben strecken ihre verdorrten Äste anklagend dem Himmel entgegen. Aus vertrocknetem Laub ist der Teppich, der die trockene, rissige Erde bedeckt.
Die sechs Männer starren entsetzt auf das unglaubliche Bild. Schreckliche Bilder verdurstender Menschenmassen, verendender Tiere und zerstörter Landschaften drängen sich ihnen auf. Könnte so etwas wirklich geschehen? Gab es wirklich eine so zerstörerische Macht?
„Können Sie sich vorstellen, meine Herren, was meine Wasservernichtungswanzen aus unserem blühenden Land machen können?“, fragt die Computerstimme spöttisch.
„Genau! Eine gewaltige Sandwüste bar jeglichen Lebens. Durch Cosima stehen mir jede Menge Wasservernichtungswanzen zur Verfügung. Mit ihnen könnte ich Flüsse und Seen und natürlich auch die Wasserversorgungssysteme in Deutschland und den Anrainerstaaten vernichten.
Sie glauben mir nicht und denken an die Milliarden von Wanzen, die dazu erforderlich wären? Ja und? Kein Problem. Schauen sie wie einfach das für mich ist. Ja, schauen Sie auf den Monitor! Sehen sie es?“
Die Wasservernichtungswanzen verändern sich! Sie dehnen sich, ziehen sich wieder zusammen und – teilen sich wieder und immer wieder, bis die erforderliche Anzahl für die jeweilige Wassermenge erreicht ist.
„Dieses System ist perfekter als alles, was Menschen jemals erschaffen haben“, sagt der Erpresser.
„Der Kerl ist verrückt! Völlig verrückt!“, keucht der Innenminister. „Mit diesen grauenhaften Viechern könnte alles Leben vernichtet werden. Und dieser Wahnsinnige ist davon auch noch begeistert! Ich glaube ...“
Die Stimme des Erpressers unterbricht ihn, als hätte er zugehört:
„Ja, meine Insekten wurden erschaffen, um zu vernichten. Aber ist der Mensch denn anders? Der Unterschied besteht doch letztendlich nur im Abwägen des Vorteils.
Meine Wanzen machen Wasser zu Sand, ohne dadurch einen Vorteil zu erringen. Im Gegenteil! Sie vergehen mit dem Wasser, kaum etwas bleibt von ihnen übrig.
Der Mensch jedoch vernichtet um des eigenen Vorteils wegen. Die Geschichte lehrt uns das ja zur Genüge. Von jeher war die Gier nach Reichtum und Macht die Triebfeder für unglaubliche Gräueltaten.
Unter dem Mäntelchen Gutes fürs Volk tun zu wollen wurden und werden die Menschen in Kriege und Hungersnöte, Armut und Verzweiflung getrieben, wobei der wirkliche Grund, der wahre Auslöser für all diese Scheußlichkeiten immer wieder die Machtbesessenheit einiger weniger ist.
Sie bereichern sich, saugen das Volk aus wie Vampire und wenn nichts mehr zu holen ist und alles zusammenzubrechen droht, verschwinden sie und lassen ihr Land ausgeblutet zurück.
Für mich gibt es keine gewissenlosere Kreatur als den Menschen“, zischt die Stimme voller Hass. „Dagegen ist meine Cosima ein Juwel an Reinheit, innerer Schönheit und Güte! Doch was soll´s. Sie, als Politiker, wissen das alles ja aus eigener Anschauung viel besser als ich.
Oder ist auch nur einer unter Ihnen, der ein ganz normales Leben in einer der üblichen, dem einfachen Volk vorbehaltenen Gegend, in einer schlichten Mietwohnung, mit durchschnittlichem Einkommen, führt?
Wohl kaum, meine Herren.
Unter einem feudalen Haus in bester Lage und anderen, lukrativen Vergünstigungen macht es doch keiner von Ihrer Sorte. Sie sind intelligent, clever und sehr gerissen. Sie besitzen die richtigen Verbindungen und Beziehungen und verstehen sie zu nutzen. Das Volk kann sehen wo es bleibt. Im Grunde ist es Ihnen sogar lästig.
Aber zum Zahlen und zum Wählen wird es benötigt. Deshalb muss es wohl oder übel einigermaßen gut behandelt, von Zeit zu Zeit eingelullt, beschäftigt und abgelenkt werden. Manipulation ist wichtig! Und auf die Intelligenz im Lande hat man ein waches Auge. Möglichst das Volk dumm halten, heißt die Parole. Solange es den Menschen nicht zu schlecht geht, halten sie still.
Allerdings