Allah und die Klavierspielerin. Till Angersbrecht

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Allah und die Klavierspielerin - Till Angersbrecht страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
Allah und die Klavierspielerin - Till Angersbrecht

Скачать книгу

Wetter sein, dieser verdammte Nieselregen, der einem das Gemüt auf den Boden drückt. In Hamburg ist es eben die meiste Zeit nass. Das ist schon merkwürdig, wenn man bedenkt, dass auf die Stadt an der Elbe insgesamt nicht mehr Regen fällt als zum Beispiel auf Rom. Das hat Behrends vor kurzem in einer Zeitung gelesen. Nicht mehr Regen im ganzen Jahr als in Rom! Man stelle sich vor, wie schön es in Hamburg sein könnte! Doch leider hat ein launischer Wettergott Hamburg und seine Bewohner bestrafen wollen - für irgendein unbekanntes Vergehen vermutlich. Er hat es so eingerichtet, dass der Regen seine Fracht an wenigen Tagen auf die heilige Stadt entlädt, in Hamburg dagegen ist er zu einem Sprühnebel aufgefächert. Ohne eine bestimmte Vorliebe für besondere Tage verteilt der sich gleichmäßig über alle dreihundertfünfundsechzig von ihnen.

       Es ist wohl der verdammte Regen, aber vielleicht bin ich auch einfach nur schlechter Laune, gesteht sich Kapitän Behrends. In letzter Zeit kommt das öfter vor, eigentlich bin ich ja schon permanent schlechter Laune. Als ob man nicht auch Grund genug dazu hätte! Es braucht ja auch gar kein schlechtes Wetter, keinen Nieselregen, damit einem die üble Laune auf das Gemüt drückt. Die feinen Herren der Direktion sind daran schuld. Die haben sich doch schon wieder etwas einfallen lassen, womit sie uns ärgern können. Soeben haben sie die Einstiegsgehälter für die Piloten um ganze zehn Prozent hinuntergeschraubt. So geht das nun schon seit Jahren, und auch die Festangestellten kriegen keine Zulagen mehr. Bei sich selbst sparen die da oben natürlich gar nicht. Es heißt, der Diefenstein habe sich schon wieder eine zehnprozentige Zulage gegönnt, während er uns die finanzielle Abmagerung verordnet, aus der am Ende noch eine Schwindsucht wird.

       Wie soll denn das weitergehen? Ist das etwa kein Grund, um alle Freude an diesem Beruf zu verlieren? Seit zehn Jahren behandelt man unsere Gehälter wie eine Salamiwurst - scheibchenweise wird davon ein Stück nach dem anderen herunter geschnippelt. Nur weiter so, dann werde ich hier in zehn Jahren nur noch ehrenamtlich tätig sein dürfen – oder auch gar nicht. Es dauert nicht mehr lange, dann verdient der Pilot eines Airbus gerade mal so viel wie ein fleißiger Taxichauffeur. Bei den Billigfluglinien sind sie ja jetzt schon soweit.

       Verflucht noch mal! Das war doch einmal ganz anders. Damals, wenn ich zurückdenke, wie es damals war, als ich mit dreiundzwanzig zum ersten Mal als Kopilot im Cockpit saß! Damals war man noch etwas, die Frauen liefen einem Piloten noch in jedes Hotelzimmer nach. Geld hatte man in Hülle und Fülle. Jedenfalls glaubte das jeder, wenn er einen Flugkapitän vor sich sah, und wir selbst waren damals wirklich zufrieden. Wir waren ja etwas. Als Kapitän eines Großflugzeuges stellte man etwas dar. Man wurde bewundert.

       Ja, so habe ich mich gefühlt – wie ein Formel-1-Rennfahrer der Lüfte. Was waren das noch für Zeiten, als es genügte, einer schönen Stewardess – und es gab damals jede Menge davon – einen etwas längeren Blick zuzuwerfen. Jeden Abend wurde gefeiert, wir waren lustig, und die Umarmungen benannten wir nach dem Flughafen, in dem wir gerade Halt gemacht hatten. Die schöne Maria I. von Rom oder Antoinette, die Prächtige, von Paris; auf diese Weise prägten wir uns die Städte erst richtig ein. Selten musste eine Drohung nachhelfen, dass ich die Maschine aus Verzweiflung abstürzen ließe, wenn nicht ...

       Die Masche hatte allerdings schon Saint-Exupery aus der Trickkiste geholt. Er drohte einfach: Madame, entweder Sie küssen mich oder ich schalte auf der Stelle den Motor ab. Natürlich küsste sie ihn. Es blieb ihr ja gar nichts anderes übrig. Saint Exupéry war freilich noch ein Kavalier der alten Schule. Nach dieser Drohung und ihrer Einwilligung hat er die Dame sogar noch geehelicht, so war das damals, die reine Romantik. Zu meiner Zeit genügte es, wenn man den jungen Frauen gefiel.

       James Bond der Lüfte nannten sie mich, weil ich dem Mann irgendwie ähnlich sah. Hat meiner Eitelkeit doch geschmeichelt. Und dabei habe ich früher doch wesentlich kleinere Maschinen geflogen. Heute steuere ich im Vergleich dazu einen Riesen und bin dennoch der vorletzte Dreck. Der Diefenstein und die übrigen Herrn der Direktion, die sacken das Geld ein, das wir verdienen, obwohl sie nur an Bürotischen hocken und dabei nichts als Buchstaben malen. Wir hier oben, wir leisten doch die wirkliche Arbeit. Wir in der Luft sind für die Menschen tatsächlich verantwortlich. Wir sorgen für ihre Sicherheit, dafür bürgen wir mit unserem eigenen Leben.

       Wofür bürgen denn die von der Direktion? Die bürgen nur für ihr eigenes Gehalt, ihre Pension und die vielen Extras, die sie sich außerdem noch verschaffen. Selbst wenn die uns alle nach Hause schicken und die ganze Linie zum Teufel geht, haben sie immer noch die Auszahlungen ihrer Versicherungen, die ihnen einen vergoldeten Lebensabend bescheren. Die können alles falsch machen und alles versauen, und es passiert ihnen trotzdem nichts. Die fallen in seidene Kissen. Wenn wir was Falsches machen, stürzt die Maschine ab.

       Und diese Möglichkeit ist doch nie absolut auszuschalten. Natürlich ist so ein Flug längst schon Routine, aber ein einziger falscher Griff und der Kasten knallt mit dreihundert Menschen auf den Boden.

       Wer macht eigentlich die geldgierigen Herren in der Direktion so sicher, dass ein frustrierter Flugkapitän nicht mal mit Absicht einen falschen Hebel betätigt? Selbstmord in dreihundertfacher Besetzung - ich kenne Leute, die sich gerade eine solche Himmelfahrt wünschen. Glaubt der Diefenstein etwa, dass dieser schmächtige Kopilot, dieser lispelnde Kroschke, mich im Ernst davon abhalten könnte? Die werden sich noch wundern, was in Zukunft alles passiert, wenn sie uns weiter wie die Rikschafahrer behandeln. Das ewige Gejammer von der Konkurrenzfähigkeit, das glaubt ihnen doch schon längst keiner mehr. Wenn sie es ernst damit meinten, müssten sie doch bei sich selbst anfangen! Warum schnallen denn die den eigenen Gürtel nicht enger? Fangt doch erst einmal bei den eigenen Gürteln an, dann sind wir vielleicht bereit, es euch nachzumachen!

       Aber davon kann natürlich gar keine Rede sein. Die Leute von der Direktion leben in Saus und Braus und fangen sich auch noch unsere Stewardessen ein. Ja, auch die kleine Ute, ich weiß es, der Güssing hat es mir neulich beim Bier gesagt. Die hat etwas mit dem dritten Vorstand, dem Häusler. Dem sagt sie gewiss nicht, dass sie verheiratet sei.

       Es ist immer dasselbe. Wenn Kapitän Behrends warten und warten muss, bis endlich das Signal aus dem Kontrollturm kommt, dass er zum Start klarmachen darf, und wenn er dann noch zusätzlich neben einem stummen und steifen Fisch von Kopilot sitzt, überfallen ihn Gedanken wie diese. Ungute, aufsässige oder quälende Gedanken, das weiß er ja selbst. Gedanken, die ihm seine Laune noch zusätzlich vermiesen. Sie gehen ihm wie ein Rad durch den Kopf, das sich dreht und dreht, und er merkt, wie er dabei Tag um Tag etwas müder wird.

      11 Uhr

      Im Grunde, sagt sich Kapitän Behrends, während er dem wartenden Schlepper endlich das Zeichen zum Fortziehen der Maschine erteilt, geht mich das alles doch längst nichts mehr an.

       Die Maschine ist bis vor die Startbahn hinausgeschleppt worden. Mechanisch bedient Behrends die Hebel, lässt die vier Motoren der Maschine aufheulen, die den schweren Leib des Airbus sanft nach vorne in die Startposition drängen, so dass er mit dem Bug jetzt gerade auf die Lichter zuhält, die sich schon nach zwanzig Metern im Nebel verlieren. Dann schaltet er volle Kraft voraus. Einige Sekunden lang drücken die vier Turbinen mit ganzer Schubkraft nach vorn, aber ohne dass sie die Maschine vom Fleck bewegen. Noch ketten die Bremsen sie an den Boden. Dann gibt Behrends mit einer kleinen Handbewegung die Räder frei.

       Dies ist der wunderbare, immer wieder einzigartige Moment, in dem er den Vogel sozusagen aus seinem Käfig entlässt, ihm die Freiheit gibt, ihn seiner eigenen Kraft überlässt. Die Motoren drücken den mächtigen Körper mit so gewaltigem Schub die Rollbahn entlang, dass der dabei entstehende Druck seinen und die Körper der Reisenden nach hinten an ihre Sitze presst. Früher hat ihn dabei jedes Mal dieses Gefühl überkommen, dem er bis heute keinen Namen zu geben vermag. Vielleicht ein Gefühl, das außer einem Flugkapitän nur die Zauberer kennen, wenn sie vor einem ungläubig staunenden Publikum ein Seil in die Höhe werfen, daran in die Höhe klettern, von oben winken und schließlich mit einem Zungenschnalzen den Blicken entschwinden. Es

Скачать книгу