Allah und die Klavierspielerin. Till Angersbrecht

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Allah und die Klavierspielerin - Till Angersbrecht

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Herr Meierdom blickt schnell zu Boden. Auch ohne sein grundsätzliches Misstrauen Ausländern gegenüber würde er in diesem Augenblick keinem Menschen einen freundlichen Blick zuwerfen können, dazu sitzt ihm der Ärger über den unverschämten Zeitungsartikel noch zu tief in den Knochen. So aber entzündet sich sein schwelender Ärger gleich wieder an diesem Blick.

       Bei uns, keine drei Häuser weiter, sind doch auch schon wieder Ausländer eingezogen! Weiß der Teufel, woher sie kommen. Ist mir auch völlig egal. Aber die laden gleich zwanzig Leute zu sich in den Garten und dann machen sie einen Krach, dass man bis spät in die Nacht nicht schlafen kann. Die fühlen sich hier wie zu Hause, das war es, was ihn am meisten erboste.

       Auch er hat inzwischen den Gurt fest gezogen – die Aufforderung dazu leuchtet gerade über den Sitzen auf.

       Jetzt, wo Herr Meierdom endlich ruhig an seinem Platz sitzt, ist endlich die Zeit gekommen, seinem Zorn wegen der Hundesache ein Ventil zu öffnen. Da der einzige Mensch, der dafür in Frage kommt, sich an seiner Seite befindet, wird seine Frau ihn erdulden müssen. Er wendet sich zu ihr und sucht nach Worten. Herr Meierdom ist wenig beredt, deshalb sucht er erst noch nach den richtigen Worten.

       Doch eher er sie findet, beginnen die Motoren schon aufzuheulen und die Maschine am ganzen Leib zu erbeben. Wer eben noch etwas sagen wollte, dem bleibt vorerst einmal das Wort in der Kehle stecken. Je mehr der Lärm außen dröhnt, umso ruhiger wird es im Inneren der Maschine. Es ist ja auch keine Kleinigkeit, wenn alle vier Turbinen eines Airbus 340-300 zur gleichen Zeit zu voller Stärke aufdrehen. Selbst der routinierte Viel- und Dauerflieger spürt dann noch dieses erdbebenartige Zittern, dieses Brummen und Dröhnen, das ihm vom Bauch bis in jene archaischen Hirnteile dringt, wo die Nervenimpulse für die Ausschüttung von Hormonen abgeschickt werden - Hormone für Kampfbereitschaft und hellhörige Vorsicht.

       Nichts von diesen inneren Vorgängen verraten allerdings die äußerlich völlig unbeteiligt blickenden Gesichter. Nur der Junge ist wirklich und sichtbar aufgeregt. Er presst sein Gesicht mit großen Augen ganz nah an das kleine Bullaugenfenster, so gern würde er alles sehen, aber tatsächlich blickt er, gleich ob er nach vorn oder zurück schaut, nur auf den unförmigen Schattenriss eines Flügels, den Rest der Wirklichkeit verwischt der Nebel. Aufgeregt hin und her blickend sucht der kleine Georg trotzdem nach Schatten und Lichtern und nach Bewegung. Die anderen Passagiere aber schulden es ihrem Alter und ihrer Würde, mit gleichgültig unbewegtem Gesicht dazusitzen. Man muss schon sorgfältig auf ihr Minenspiel und ihre unwillkürlichen Bewegungen achten, um bei ihnen Hinweise auf die Wirkung dieses Dröhnens und Bebens zu finden, das den ganzen gewaltigen Leib der Maschine erschüttert. Dem einen sinkt die eben noch aufmerksam gelesene Zeitung auf die Knie, der andere bricht einen Satz in der Mitte ab, während ein Dritter sich grundlos über den Kopf streicht.

       Und dann beginnt auf einmal das sich verstärkende Rumpeln über die Bahn, bei dem der mächtige Rumpf erst recht zu stampfen und sogar etwas zu schlingern beginnt. Die gewaltige Masse, im Ruhezustand durch die Gravitation wie ein Betonklotz an den Boden gepresst, wird von den vier wahnsinnig röhrenden Motoren mit äußerster Kraftanstrengung über eine glatte, wenn auch keineswegs spiegelebene Fläche gejagt. Ein kleiner Stein, eine mit dem Augen kaum sichtbare Delle in der Betonhaut genügen, um den Rädern auf ihrer immer schnelleren Fahrt einen Hieb und dann wieder einen neuen Hieb zu versetzen. So vergeht fast ein Dutzend beängstigender Sekunden mit Schlägen und Stößen, bis die von vorn gegen die Flügel peitschende Luft einen so mächtigen Druck ausübt, dass auch die letzten dem Rumpf von unten her zugeteilten Püffe mit einem Mal leiser und leiser werden und plötzlich ganz verebben.

       Welch ein erlösender Übergang - von einem Augenblick auf den anderen wird aus dem Tosen im Inneren des Rumpfes die lautere, köstliche, reine Stille. Die Muskeln entkrampfen sich, das unterbrochene Wort wird wieder aufgenommen. Man blickt zu Fenstern und Nachbarn hin. Die Hände langen neuerlich nach den Zeitungen aus, während die Maschine, erst jetzt von aller Bodenhaftung befreit, sich zielstrebig in den Himmel bohrt.

      11 Uhr 15

      Ein sechsjähriger Junge, in Flugzeug gesetzt, damit er eine Woche lang seinen Vater in Köln besucht, ein entfremdetes Ehepaar, das den Scheidungsanwalt aufsuchen will, eine junge Deutsche, die sich selbst als Jüdin bezeichnet, ein Vater mit seiner Tochter auf dem Weg zur Klavierspielerin, die beiden Meierdoms, die so gern in einer Welt leben würden, in der es nur Hunde und Katzen und möglichst wenige Ausländer, oder noch besser überhaupt nur ganz wenige Menschen gibt, ja, und dann noch mehrere dunkelhaarige Gestalten, von denen zwei, ein Marokkaner und ein junger Mann aus dem Jemen, durch den Gang getrennt links vor den Meierdoms sitzen, aber natürlich noch weitere nahezu 300 Passagiere, von denen jeder einzelne eine Geschichte besitzt, für welche die Kriminalisten der Vorsehung sich schon bald interessieren werden - sie alle zieht dieser jetzt nur noch unmerklich bebende, dieser mit wunderbarer Ruhe steil aufwärts strebende Aluminiumrohr zu den Wolken empor.

       Georg, der Sechsjährige aus Rissen, blickt in den Nieselregen, deutlich sieht er nur den Flügel, wenn er den Kopf nach hinten wendet, aber in dem Augenblick, als die Turbinen das ganze Flugzeug zum Schwingen bringen, glaubt er in seinem Körper denselben Antrieb und eine wunderbare Wärme zu fühlen. Er spürt, wie eine Hand ihn von unten erfasst, wie sie ihn schüttelt und dann in die Höhe bläst, als wäre er nichts als ein Taubenflaum, mit vollen Backen vom Wind zu den Wolken getrieben.

       Wie auf einem fliegenden Teppich, flüstert er. So machen es alle Zauberer. Und weil Georg durch den immer noch dichten Nebel sogar die glühenden Augen des Zauberers sieht, der den Teppich mit ihm in die Höhe schleudert, eben deshalb sieht er durch den grauen Vorhang hindurch auch alles andere, was die Erwachsenen nicht sehen - die Häuser und Straßen und Spielzeugmenschen, die alle zum Himmel blicken, um ihn auf seinem Teppich zuzuwinken. Und da unten schaut er auf die grünen Wiesen hinab mit all den lustigen Kühen und die Pferde sieht er, die bei seinem Anblick wiehernd über die Felder stieben. Und plötzlich wird er durch eine weiße Schaumwand getragen, die wie ein Schleier zerreißt. Sonne strahlt durch das runde Fenster.

       Ja, es ist die wirkliche Sonne. Eben haben sie die Wolkenschicht bis nach oben durchstoßen und gleiten nun über eine Landschaft aus Wattehügeln. Ringsumher wogen Dünen aus Schnee und überall türmen sich weiße Kissen.

       Herr und Frau Meierdom haben in ihrem Leben nicht viele Flüge gemacht, genauer gesagt, ist das exakt ihre dritte Reise in einer Höhe von zehn Kilometern über dem Boden. Zuvor waren sie nur auf einem Charterflug auf das heiße Mallorca geflogen und später zu einem Treffen von Dackelbesitzern in Frankfurt am Main. Als die Stöße vom Boden her immer sanfter werden und auf einmal völlig zur Ruhe kommen, die Spannung sich legt, weil die Maschine lautlos nach oben strebt, klopft auch bei Herrn Meierdom, von Bauch und Brust her kommend, vorsichtig ein Gefühl von Erleichterung, ja sogar von Euphorie an das Tor seines Bewusstseins. Er spürt, wie sein Blut in Wallung kommt. Doch diese aus den Tiefen stammende Regung, die den schwelenden Ärger dämpfen könnte, ist ihm irgendwie peinlich. Er fast sie als kindische Anwandlung auf und schämt sich für den merkwürdigen Vorgang. Schon bei seinem ersten Flug hatte er sich bemüht, ihn durch die strengste Sachlichkeit zu betäuben. Würde nicht jeder, der sie an ihm wahrnehmen könnte, sofort daraus schließen, dass Flugreisen für ihn etwas Ungewohntes und immer noch Aufregendes sind? Absichtlich gähnt er, und zwar durchaus hörbar für seine Nachbarn, um ein Signal zu setzen, dass das Fliegen ihm absolut nichts bedeutet.

       Da fährt auf einmal von unten her ein hörbarer Schlag durch die Maschine. Georg blickt zu seinen Nachbarn, ob die das ebenso bemerken. Jeder, der zum ersten Mal in einem Flugzeug sitzt, fühlt sich durch derartige Geräusche beunruhigt. Ist vielleicht gerade ein äußerer Gegenstand auf die Maschine geprallt? Herr Meierdom hat den Schrecken im Gesicht des Kleinen bemerkt, er lächelt ihm beruhigend zu, denn er hat in dem Gepolter das ganz normale Geräusch erkannt, mit dem der Airbus die Räder in seinen Rumpf einzieht. Gleich danach wird aus den leisen Erschütterungen ein

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