Allah und die Klavierspielerin. Till Angersbrecht

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Allah und die Klavierspielerin - Till Angersbrecht

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Was ist wirklich an dieser Welt? Ist das etwa realer als ein Fernsehbild? Alles huscht an dir vorüber, Erscheinung des Augenblicks, Gespenster und Nebel und aus dem Nebel düstere Massen von Stein und Beton.

       Woher kommen diese Gedanken? Sie waren doch früher nie da? Du bist krank hätte ich mich damals gescholten und sie mit einer Bewegung der Hand von mir gescheucht. Aber jetzt nützt keine Bewegung, sie kommen wieder, irgendwo aus dem Nebel oder dem Dunkel und lauern mir auf. Vielleicht bin ich jetzt fortwährend krank, obwohl mir organisch nichts fehlt und mich meine Umgebung nach wie vor für ganz kerngesund und noch dazu für tüchtig hält. Irgendetwas ist mit mir geschehen. Das Fliegen und ich, alles zusammen hat sich geändert. Damals war ich ein Held, so wie Saint Exupéry. Jeder natürlich auf seine eigene Weise, ich will keine falschen Vergleiche ziehen. Aber ich fühlte mich als ein Held, und darauf kommt es ja schließlich an. Und jetzt, was ist von dem Helden übrig geblieben? Jetzt bin ich nur noch ein Arbeitssklave, der statt am Fließband zu sitzen an den Sessel im Cockpit gefesselt ist. Ein Arbeitssklave erlebt und entdeckt nichts mehr, für ihn ist jeder Tag wie der andere. Selbst den Sonnenschein erlebt er als Nebel und Nieselregen. Für mich stehen noch zehn weitere Jahre bevor - zehn lange, unendliche Jahre nichts als Nebel und Nieselregen.

       Zehn Jahre lang werde ich auf diesem Sessel wie ein Roboter sitzen und meine Pflicht erfüllen. Die Leute, die mich hier sehen, werden mich als Kapitän Behrends begrüßen, ganz wie in der Vergangenheit. Sie werden nicht einmal merken, dass ich in Wirklichkeit längst ein Roboter bin.

       Ob das jedem einmal passiert? Ob Saint Exupéry plötzlich auch genau diese schrecklich Ahnung hatte, und sich dann dazu entschloss, die Maschine mit dem Bug auf den Himmel zu richten, bis sie senkrecht nach oben zeigte, denn da wollte er ja hin? So könnte das schon gewesen sein. Jedenfalls ist ja bis heute nicht klar, warum sein Flieger über dem Mittelmeer abgestürzt ist.

       Wenn Norbert Behrends in diesem Augenblick innerlich lacht, eine Regung, die er sich natürlich nach außen nicht anmerken lässt, dann deshalb weil er sich diese merkwürdige Frage stellt. Vielleicht werde ja auch ich, bevor die zehn Jahre um sind, das Ding einmal direkt in den Himmel fliegen.

      Mit flüchtigem Blick streift Behrends den schweigend neben ihm sitzenden Kroschke, so als befiele ihn plötzlich die Befürchtung, dass die absurden Gedankenmäander in seinem Kopf auf den Kopiloten überspringen und ihn verraten könnten.

       Ob der Mann auch bisweilen von so verrückten Gedanken geplagt wird? Behrends beruhigte sich augenblicklich. Er war sich sicher, dass Kroschke in aller Regel wohl überhaupt nichts denkt, schon gar nichts Gefährliches.

      11 Uhr 9

      Man muss es als eine Glück oder eine wohlerwogene Strategie der Vorsehung betrachten, dass die beunruhigenden Gedanken eines alternden Flugkapitäns nicht anders als die aller anderen Menschen von einer mehrere Millimeter starken Schädeldecke gegen die Außenwelt abgeschirmt sind. Diese Kopfwand scheint absichtlich so eingerichtet, dass normalerweise kein Gedanke nach außen dringt, ausgenommen natürlich so seltene und von vielen überhaupt bestrittene Ausreißer wie Gedankenübertragungen durch Telepathie, die aber bei einem Mann wie Kroschke gewiss nicht in Frage kommen.

       Auch Ute Dalz, die dem Kapitän kurz zuvor den heißen und süßen Kaffee servierte, ahnt glücklicherweise nichts von dessen melancholischer Geistesverfassung. Niemand ahnt etwas von Behrends reichlich vernebelten und verdüsterten Gedanken, für die das Hamburger Wetter vermutlich einen wesentlichen Teil der Verantwortung trägt. Die Passagiere, die sich dem heutigen Flug wie einem beliebigen anderen bereitwillig überlassen, betrachten den Airbus als eine wohl geprüfte und tausendfach bewährte Maschine, nicht anders als eine beliebige Eisenbahn oder Fähre. Maschinen haben die Gesetze der Physik zu erfüllen, die bekanntlich im ganzen Universum die gleichen sind. Deshalb rechnet natürlich auch jeder vorbehaltlos damit, dass der Airbus mit absoluter Verlässlichkeit den Vorschriften des ihm von oben zugeteilten Fahrplans gehorcht. Dass diese Maschine sich den Fingern eines Menschen zu fügen hat und womöglich gar seinen Launen, derart verstörende Überlegungen bleiben den Passagieren erspart und den meisten von ihnen überhaupt ganz verborgen. Schon gar nicht denken sie darüber nach, dass der Mensch in der Pilotenkabine seinerseits ein höchst komplexes Gebilde ist, dessen geistige Befindlichkeit schwankenden hormonalen und neurologischen Vorgängen unterliegt, wie sie sich in seinem Nervensystem an Millionen höchst störanfälliger Synapsen ereignen. Nein, die Leute, die da ihre Sitze in dem silbernen Leib eines Airbus einnehmen, denken, wenn überhaupt, dann ausschließlich an die Naturgesetze. Der Mensch, der sich ihrer nicht bloß bedient, sondern sie wie Saint Exupéry sogar zu eigenen Zwecken zu manipulieren vermag – ein solcher Mensch spielt in ihren Überlegungen keine Rolle.

      11 Uhr 10, Startzeit

      Die Passagiere von Flug 3201 haben ihre Sitze inzwischen eingenommen. Herr Meierdom, der Senior mit Glatze und weißen Haarbüscheln um die Schläfen, ist mit seiner reichlich fülligen Frau zu einer Tagung der Vier Pfoten unterwegs in die Stadt an der Isar, noch im Sitzen kämpft er vergebens gegen die in ihm fortschwelende Empörung.

       „So ein totaler Unsinn“ hören die Nächstsitzenden ihn schimpfen und schnauben. Der Titel vom ratenweisen Verzehr eines Herrn durch seinen eigenen Hund will ihm einfach nicht aus dem Kopf.

       Und so etwas muss er in einer Zeitung entdecken, die er nun schon so viele Jahre liest! Wenn Schreiberlinge von so niedriger Denkungsart bei diesem Blatt tätig sind, dann wird er sich in Zukunft genau überlegen müssen, ob er sie weiterhin liest und bezieht. Bei Hunden kennt Herr Meierdom sich aus, sie sind seine wirklichen Freunde. Wenn man ihn auf diesem Gebiet hinters Licht führt, dann ist ja überhaupt nichts mehr auszuschließen. Dann muss er ja damit rechnen, dass man ihn auch vorher betrogen hat!

       Mit dieser Meinung steht der leicht erregbare, zu Rötungen neigende Mann freilich allein da. Die meisten Passagiere finden den Titel und erst recht den dazugehörigen Artikel aufregend interessant. Ihre erste Reaktion besteht darin, Mitleid mit dem Tier zu empfinden. Natürlich wird es erschossen, das ist ja wohl unumgänglich. Aber wie sehr muss der Hund vorher gequält worden sein, um sich so bestialisch zur Wehr zu setzen! Schweigend hatten sie nach dem am Eingang ausliegenden Blatt gegriffen, manche warfen schon im Gehen einen Blick hinein, während sie sich über die beiden parallelen Gänge des weiträumigen Flugkörpers verteilten und – angelangt am Platz ihrer Bestimmung - Taschen und Mäntel hinter den Klappen der Abstellfächer verstauten. Ohne die entsprechende Aufforderung durch das blinkende Licht abzuwarten, fixierten sie den physischen Teil ihrer Persönlichkeit mit dem dazu vorgesehenen Gurt und stürzten sich in die Lektüre. Man wollte doch gar zu gerne wissen, was das wohl für ein Herr gewesen sein muss, an dem sich die Dogge Bossi auf derart grausame Weise verging.

       Als eine der ersten war eine Stewardess, einen Jungen an ihrer Hand, zu Platz elf H an der rechten Seite des Fliegers geeilt. Von den insgesamt acht Sitzen, die durch zwei parallele Gänge zerschnitten jeweils eine Reihe ausmachen, ist dies der am weitesten rechts befindliche. Zwei Sitzreihen weiter vorn als die Meierdoms und durch den Gang von ihnen getrennt, hatte sie dem etwa Sechsjährigen einen Fensterplatz zugewiesen, gurtete ihn eigenhändig gleich an den Sitz, bevor sie sich mit einem aufmunternden Lächeln zurückließ.

       Offenbar reist der Kleine allein. Zunächst bleibt der Sitz neben ihm leer. Dann setzt sich ein vielleicht zwanzigjähriges Mädchen neben ihn auf den freien Platz. Ein Herr mittleren Alters bezieht auf gleicher Höhe den Sitz auf der anderen Seite des Gangs. Wir werden sehen, dass es sich bei den beiden um Herrn Wondrich und seine Tochter, Inge Wondrich, handelt.

       In der Reihe hinter den beiden waren eben noch zwei dunkelhaarige Gestalten damit beschäftigt, die Nummern der Sitze mit ihren Flugtickets zu vergleichen. Sie könnten aus Nordafrika stammen. Als Herr Meierdom einen flüchtigen Blick zu den Leuten hinüberwirft,

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