Nachrichten aus dem Garten Eden. Beate Morgenstern
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In der Siebenten hatten wir den Unterricht in der Schule neben der Kirche oben auf dem Berg. Margarete musste gerade die Kirche halb umrunden, vom Kircheneingang ein paar Meter entfernt, da war der Schulhof. Sie dann allerdings immer eine der Letzten. Trotzdem oder grad deschertwejen.
Der Tag hatte wie jeder Werktag angefangen. Noch hatten die Hähne nicht gekräht, da warteten die Walzwerker auf ihren Bus vier Uhr, der sie zur Frühschicht nach Hettstedt brachte. Und dann standen die Bauern auf, je nachdem, wie lange sie fürs Melken brauchten. Denn zwischen sechs und sieben Uhr wurden die Zehn- und Zwanzigliter-Milchkannen abgeholt, die an bestimmten Stellen auf hohen Bänken standen. Und die anderen, die wo in der Stadt arbeiteten, waren auch auf den Beinen, die, die den Sechs-Uhr-Bus nach Aserschlehm nahmen und den Halb-sieben-Uhr-Bus nach Hettstedt. Stoppevoll waren die Busse. Das Dorf frühs also schon im Jange, als mich unse Oma aus dem Bett holte. Wach war ich. Aber Wachsein und Aufstehn zweierlei. Weil Sommer war, wusch ich mich unterm Born, kriegte von unse Oma Marmeladenbummen und Muckefuck mits Milich und für die Schule eine Doppelbumme mits Rotworscht. Denn ging ich.
Am Torweg, am Eingang von Schickedanzens Hof, blieb ich stehen, wartete auf Jerard.
Ich lasse mich als dreizehnjährigen Bengel noch ein bisschen in der Toreinfahrt stehen und denken, der Jerard soll nun mal kommen. Währenddessen habe ich Zeit, euch zu erklären, wie das damals bei uns mits dem Land und den Höfen war. Körber der größte Hof. Mits 90 Morgen Land Großbauer. Morgen ist übrigens eine bei uns übliche Maßeinheit und soll sagen, was ein Pferdegespann pro Morgen, also Vormittag, an mitteltiefer Pflugfurche leisten kann. In Sachsen und Thüringen, ob da überall, weiß ich nicht, misst man wiederum nach einer ganzen Tagesarbeit. Im Chemnitzer Land sagt man ein Acker und meint 0,50 Hektar, und ein Dorf weiter, im Thüringischen, misst ein Acker 0,60 Hektar. Entweder sind die Thüringer fleißiger oder nehmen das Maul sehr voll. Bei uns sind vier Morgen ein Hektar. In Ostzeiten galt als Großbauer, wer über 20 Hektar, also über 80 Morgen Land besaß. Wer mehr als 100 Hektar sein eigen nannte, nannte es dann schon nicht mehr sein eigen, weil es bei der Bodenreform enteignet und verteilt worden war unter die, wo nichts hatten, die aus Not heraus aus den Städten kamen, an Landlose auf dem Dorf und vor allem an die Ostler, die Flüchtlinge aus den östlichen Gebieten, die wir Umsiedler heißen sollten. Auch die, wo aktive Nazis und Kriegsverbrecher waren, wurden enteignet. Das verteilte Land durfte aber weder verkauft, verpachtet noch geteilt, noch verpfändet werden, sodass ein Unterschied war zu dem ererbten Land. Da war der Bodenreform-Gedanke in der Hinsicht wirksam, dass Land nicht mehr als Spekulationsobjekt dienen sollte. Woran was Überlegenswertes ist, was ich zu der Zeit damals aber noch nicht sahk. Wir in Sylken hatten bloß ein Pachtgut, das die Familie Strandis bewirtschaftete. Nach 45 ist die Jnädije, wie man Frau Strandis anredete und man nachhert noch von ihr sprach, und ihre Familie, was von ihr über war, in den Westen gemacht. Gab son Spruch, den ich von unse Tante Ruth habe: JnädicheJnaden, Sie ham an jnädijen Faden am jnädijen Ursch!
Als Großbauer war man bis Juni 53 regelrecht verfemt, aus allen landwirtschaftlichen Interessenverbänden wie Vorständen von Molkereigenossenschaften, dem Verein der gegenseitigen Bauernhilfe – VdgB – entfernt, kriegte keine Kohlenkarte und wurde mits einem Soll belegt, dass man kaum noch hochkam. Ein Abgabesoll gab es schon im Krieg zu Adolfs Zaitn, wie die Leute zu den Zeiten vor 45 sagen. Das haben die Kommunisten bloß weitergeführt wegen dem Mangel und nachhert aus dem bekannten System der Planwirtschaft heraus, das dardarzu dienen sollte, die Produktion zu steigern bis hin zum Überfluss und Export. Ist aber Überfluss wenig geworden, wie sich nachhert herausstellte. Da konnten wir leicht solche Sünden wie Kaffeeverbrennen in Südamerika und Weizen-Wegschütten geißeln. Nach der Wende, wo denn wirklich unse Ernten überflüssig wurden, haben die Bauern in unse Gegend sich auch nicht entschließen können, die Ernte unterzupflügen, trotzdem es Prämie dafür gab. Aber versündigt haben wir uns in Ostzeiten auch, indem wir seit Ende der Fünfzigerjahre subventioniertes billiges Brot an Vieh verfütterten, das man individuell hielt, weil das gutes Geld brachte, trotzdem zehn Jahre vorher noch Brot etwas war, was man gegen Bettzeug und Silber dubelte, tauschte. Ein Soll war also unter Adolf schon. Aber dass man die Großen drückte, damits alle Menschen gleicher wurden, das woll noch nicht. Das Abgabesoll war nach sieben Kategorien eingeteilt, wobei man die jeweilige Bodenqualität berücksichtigte. Am meisten begünstigte man die mits dem wenigsten Land. Vielleicht sind auch wegen der schlechten Aussichten die Töchter von Großbauer Körber in den Westen. Die Söhne waren im Krieg geblieben. Körber saß mits seiner Frau ganz allein in Sylken und hatte sein Land an seine ehemaligen Knechte verpachtet. Zu der Zeit, von der ich erzähle, hatten Körbers alles schon an die LPG Typ III übergeben.
Nach dem Aufstand 53 war die Behandlung der Großbauern dann besser. Man hat sie anderscht veranlagt, Steuerbescheide revidiert.
Man könnte meinen, die Arbeiter hätten am 17. Juni in Berlin denn auch für uns angeblich Verbündete, die Bauern, was getan. Trotzdem man heute hört, der 17. Juni soll gar nichts dardarmit zu tun gehabt haben. Die Reformen waren alle schon vorher beschlossen. Bloß: Man hätte die Arbeiter vergessen, zu sagen, man hätte eingesehen, die Normen wären zu hoch. Hätte man den Arbeitern ihre Norm rungergesetzt, da wäre kein Aufstand gewesen. Vielleicht wurden die Arbeiter auch absichtlich vergessen von Leuten, die den Neuen Kurs, wie man ihn nannte, sabotierten. Vielleicht hatten Ulbricht und Mielke seine Hand im Spiel. Denn klar sei gewesen, der Ulbricht sollte weg von der Macht und wahrscheinlich dafür der Sozi Grotewohl ran und der Kurs auf die Einheit hin gefahren werden. Das war von Berija vorgesehen, vom Nachfolger von Stalin. So ne Theorie habe ich aus dem Fernsehen. Muss also nicht stimmen. Ziel sei gewesen, die Herstellung der Einheit von Deutschland. So war wieder mal eine Chance vertan. Demnach soll der 17. Juni dem Ulbricht wie dem Adenauer genau in die Hände gespielt haben. Wenn das wahr wäre, müsste man heute den 17. Juni ganz anderscht bewerten. Da haben Adenauer und die auf seiner Linie waren, bloß Krokodilstränen geweint, wenns wieder mal den Aufstand zu würdigen galt. So geht es ehmt. Wieviel Attentate waren ganz umsonst auf den Hitler. Und Angebote vom Großen Bruder und auch von unsem Staat, damits Deutschland einig wurde, solls gegeben haben. Hätte klappen können. Hat aber ehmt nicht. So mussten wir als Splitterstaat man so recht und schlecht rumkommen. Aber ich bin vom Thema weg: 54 hat der Ulbricht denn gesagt, dass auch die Großbauern eine Perspektive in der Arbeiter-und-Bauern-Republik hätten. Es zeigte sich nämlich an den ersten LPG, dass die Erfahrung der Großbauern, ihr Fachverstand bei der Organisation der Arbeit gebraucht wurden und andererseits, dass man mit dem Wirtschaften klein-klein in einzelnen Gehöften nicht zu den Ergebnissen kam. Die Bodenreform hat ehmt nicht die erhofften Ergebnisse gezeitigt. In Westdeutschland herrschte das »Bauernlegen«, wie unse Zeitung berichtete. Und bei uns wurden Genossenschaften hundertprozentig verkündet, trotzdem gar nicht das Fachpersonal da war, außer ehmt bei den wenigen, die mehr Land hatten. Aber sich freiwillig von seinem Land trennen, in das so mancher Tropfen Schweiß geflossen war! War was anderschtest, als wenn du dich ehmt ums Verrecken nicht dardarmit ernähren konntest und es zur Zwangsversteigerung kam. Sahk wie eine einzige Willkür des terroristischen Staates aus, was es auch war. Aber ehmt, es gab ökonomische Gründe, sage ich mal heute so.
Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften entstanden ab 1952. Merschtens vom Land der Bauern, die wo ohne Erben verstarben oder die in den Westen geflüchtet waren, und Neubauern, die wo sich aufs Wirtschaften doch nicht so verstanden und sich Vorteile von dem Eintritt in die LPG versprachen. Vergünstigungen gab es ja eine Menge. Aber war kein guter Kopf dabei, gings da erst mal gar nicht vorwärts, dass die werktätigen Einzelbauern, wie man uns Klein- und Mittelbauern nannte, keinen Anreiz hatten, einzutreten. Es gab das Wort von der »LPG Hohe Melde«, worüber ihr