Nachrichten aus dem Garten Eden. Beate Morgenstern
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Читать онлайн книгу Nachrichten aus dem Garten Eden - Beate Morgenstern страница 5
Die Lippen bibberten, die Zähne klapperten, und die Knie schlenkerten gummiweich, so sehr war mir zum Ferchten, als ich ins Haus ging. Aber siehe da, ich hatte mich ganz umsonst gefercht. Da war nichts. Außer niemand da. Als ob man die Familie grad mal weggerufen hätte von einem sehr späten Abendbrot oder frühen Frühstück. In den Tassen noch Reste von Lorke und auf den Tellern Krümel. Ich untersuchte die ganze Wohnung. Im Schlafzimmer die Schrankschübe offen. Das Schließen war anscheins nicht mehr ihre Sache gewesen. Da würden sowieso welche kommen und die Schubladen aufreißen. Die Gute Stube mits ihren schweren schwarzen Möbeln hatte mir immer den Atem weggenommen wegen der Gewaltigkeit de Möbel. Auch da sah ich nach, damits ich dem Vater sagen konnte: Iche hab miche werklich umjesehn. Da wor niemand, jor niemand! Offn janzen Hoff niche! Un im Hause aach niche! Das Vertikot ebenfalls offen, als solle sich jeder am schönen Kristall bedienen. Hatte der Knecht vielleicht auch etwas mitgehen lassen? Auf sein Fehlen machte ich mir jetzt einen Reim. Er war ausgerissen, als er seinen Bauern nicht fand, wollte in die Sache nicht reingezogen werden. Sicher hatte er nichts mitgehen lassen, obwohl er als erster ein Recht auf Beerbung hatte. Zu groß sein Respekt vor dem Schandarmen, Astel-Knastel, dem elendigen Krepel. Der verlachte wie verhasste blau-uniformierte, jähzornige Mann trachtete, den Leuten Schaden zuzufügen, wie er nur konnte. Der würde sicher eine Hausdurchsuchung anordnen und den Knecht der Mitwisserschaft bezichtigen.
Warum hatten die Schickedanzens alles stehen- und liegenlassen? Vorins sagte ich schon, wir konnten uns keinen Reim darauf machen. Dass man in die LPG sollte, Typ III oder wenigstens Typ I, deschertwejen ist niemand sonst von uns weg. Zugegeben, es war schwer, dass man alles zusammenschmeißen sollte mits anderen und seins nicht mehr rauserkennen. Aber anderscht als wie der Paschter gemeint hat, Mietlinge sind die Sylkener auch in der Genossenschaft nicht geworden. Woanderschert vielleicht. Aber die Sylkener nicht. Feige Misthunde kann man sie schimpen. Doch an ihren Höfen krallten sie sich fest, selbst wenn zeitweilig kein Land mehr dran hing.
Ich ging vom Schickedanzschen Hof die breite Straße zurück zu unsem. Der Vater beim Ausmisten. Alwin und Juste nicht da, unse Jäule, unse Pfäre, unse Zotten. Nur die Lotte. Was die Dreie in ihrem Leben getreckt haben! Traben jetzt frei durch den Jäule-Himmel, hoffe ich mal, denn entweder jiwets für alle einen Himmel oder für gar keinen.
Schwere Pfäre, Zotten, hatten wir in unse Gegend wegen dem schweren Boden. Zugkraft ist verlangt, dass man mitunter auch mal drei Zotten anspannt. Leichte Pfäre haben die Ostler mitgebracht von ihren Trecks, die Schwarzmeerflüchtlinge und die, die Adolf in Polen angesiedelt hat und die dann auch da wieder raus mussten, und maniche brachten gleich viere mit, schöne Füchse von bester Züchtung, sahen herrlich aus. Wo sie die herhatten! Vom Schwarzmeer unten sicher nicht. Man sahk doch, dass das Polenpferde waren! Doch wenn ich dran denke, dass nach der Wende auf den Staatsgütern in Mecklenburg/Vorpommern Zuchtkühe abgeschlachtet wurden, weil es den unbeleckten westlichen Eigentümern so gefiel! 40 Jahre Arbeit wurden zunichte. Die Angestellten konnten nichts machen, trotzdem sie sich alle Mühe gaben, die Staatsgüter in eigener Regie zu führen. Aber ihre Pläne wurden bei der Treuhand für null und nichtig erklärt. Dagegen sind die deutschen Ostler damals noch sorgsam mits dem umgegangen, was ihnen unter die Finger kam, haben sich nicht so gegen menschliche Arbeit versündigt. Sie haben ehmt nicht den Hochmut gehabt, in dem Land, das sie besetzten, wäre bloß das gut, was von ihnen selber kommt. Konnten sich ja auch gar keinen Hochmut leisten, waren doch bloß Flüchtlinge.
Nachhert sind die Ostler von den Füchsen abgekommen. Einige Nachkommen gaben sie zur Zucht weg.
Der Hermann also mits die Jäule auf dem Acker. So musste ich all meinen Mut zusammennehmen um vor meinen Vater zu treten.
Schule schon aus?, sagte mein Vater.
Das niche, antwortete ich.
Schon saß seine Hand mir mitten im Gesicht. Eine jeschallert kriegte ich, dass ich mitten am hellen Sommermorgen Sterne blitzen sahk.
Erzähle mer niche, dass de krank bist!, kommentierte der Vater seinen Schlag. Solange de noch offstehn kannst, kannste aach loofn. Un wer loofn kann, der schert sich vormiddachs beim Kanter.
Kanter, also Kantor, sagte unser Vater, meinte aber die Schule, was für ihn eins war. Unser Vater also sehr aufgebracht und mich falsch beschuldigend, warum ich mich eilends aus der Reichweite seiner Hände begab und schrie: Se sin fortjemacht! Ich großer Junge begann zu flennen und gab meinem Herzeweh Ausdruck über die Ungerechtigkeit auf dieser Welt, die mir an diesem Morgen den Freund geraubt und mir eine prächtige, mir gar nicht schmeckende Feige des Vaters auf mein Ohr eingebracht hatte.
Flenne niche, schrie der Vater. Was saachste?
De Schiggedanzens sin fort. Janz bestimmt sin se innen Westen rüwwer! Wettich!, schrie ich, näherte mich dem Vater um weniges. Gleich würde sich dessen Zorn in Kummer verwandeln. Mir sin de anzijen noch, Pappa. Jetz blaibts an uns klehm. Jetz werd mer uns schigganiern!
Se sind abjehaun? Biste sicher?, fragte der Vater.
Ich nickte.
Jloob iche niche. Allehoope?
Allehoope!, bestätigte ich.
Ganz schlecht, also ganz böse, wurde der Vater. Und weil er stehen blieb, mits beiden Händen umschloss er die Mistforke, als könne die ihm jetzt als Stütze dienen, redete ich weiter, ganz sachte wie zu einem kranken Jaul. Ob mer auch fortmachn, Pappa?
In dem Augenblick hatte ich nur eins im Kopf, dem Jerard nach! Verlassen, verraten fühlte ich mich. Wenn einer geht, will der andere nach, egal wohin. Ist erst mal ein Anfang von einem Auszug! Hat man ja im Revolutionsjahr miterleben dürfen. Selbst als unser Vater gestorben ist, habe ich so ein Gefühl gehabt. Wollte ihm nach, als ginge es ihm jetzt besser als mir, als verpasse ich was, wo wir doch alle sterben müssen! Neid empfand ich gegen Jerard und Abenteuerlust. Und dann: Solange die Schickedanzens da waren, haben wir uns hinter der ihren Rücken versteckt. Abgesehen von den alten Bauern, die sowieso in ein, zwei Jahren in Rente gingen wie unser Großonkel Ernst oben auf dem Barch, die man deshalb nicht belatscherte, waren wir außer Schickedanz die letzten, die noch nicht unterschriehm hatten, wie man bei uns dardarzu sagte, wenn man seinen Friedrich Willem unter die Erklärung malte, dass man in die LPG eintrat. Wir würden keine Ruhe mehr kriegen, wenn sonntags die Agitprop-Truppen aus der Stadt kamen.
Bei uns allerdings ging es nicht zu, wie man mancherorts hörte, wo in einem Dorf in einer Woche über 80 Agitatoren aus städtischen Betrieben und Organen des Kreises einfielen, sich sieben Tage rund um die Uhr über die Bauern hermachten, je zwei Agitatoren über einen Bauern. Frühs und mittags trafen sich die für den »Sozialistischen Frühling« auf den Dörfern Beauftragten zum Essen in der Gaststätte und zur Bekanntgabe wichtiger Argumente und Ergebnisse. Zuerst versuchten sie sich an den am meisten angesehenen Bauern. Wobei nicht unbedingt die Größe des Hofes im Dorf galt, sondern die Tüchtigkeit, mits der einer wirtschaftete. Fiel zum Beispiel der »Milchkönig«, so warfen auch weitere das Handtuch. Wie beim Domino-Spiel. Und die Letzten, die sich immer noch nicht zum Schritt Vom Ich zum Wir entschließen konnten, wurden zu einer Veranstaltung geladen, wo sämtliche eingetretenen Bauern und dardarzu noch die Agitatoren und noch weitere Arbeiter aus Betrieben versammelt waren. Dem Druck standzuhalten! Sollen sich dann manichmal bloß drei, vier Bauern zu einer LPG Typ I zusammengeschlossen haben, weil sie partout mits andere Bauern nicht zusammen sein wollten. Da gab