Metastasen eines Verbrechens. Christoph Wagner

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Metastasen eines Verbrechens - Christoph Wagner Heidelbergkrimi

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Frantek hat neues Fahrrad. Antek wunderte sich sehr, hatte doch Frantek kein Geld. ‚Woher hast du Fahrrad?‘, fragte er. ‚Das ist wunderbare Geschichte‘, antwortete Frantek. ‚Hab ich getroffen Mädel, wunderschön. Sind wir zusammen gegangen in Wald. Also, ich bin gegangen, Mädel ist gefahren auf Fahrrad. Sind wir gekommen an schöne einsame Wiese. Sonne hat geschienen, Vögelein haben gezwitschert. Da haben wir uns gelegt in frisches Gras, Mädel hat Arm um mich gelegt und gesagt: Frantek, du kannst dir nehmen, was du willst. Da hab ich mir genommen Fahrrad.‘ “

      Der Bann war gebrochen und viele erzählten ihre Witze, es wurde sehr viel gelacht und dabei noch so mancher Wein getrunken. Schließlich meldete sich ganz hinten am Tisch, unmittelbar vor den Ritterrüstungen und Schwertern, ein Mann zu Wort. Der war ziemlich groß, hatte kurzgeschnittenes weißes Haar und wirkte noch sehr rüstig. Sicher war er noch weit von den Achtzig entfernt. Er schien schon einige Viertel Wein getrunken zu haben, denn er war nicht mehr ganz sicher auf den Beinen.

      „Also, liebe Freunde, mein Name ist Siegfried Nemecek. Mein Witz spielt kurz nach dem Krieg, da war ich so sechs Jahre alt. …Also, da sitzen zwei Männer in einer Bar und trinken Whisky. Der eine sagt zum anderen: ‚Soll ich dir einen Judenwitz erzählen?‘

      Darauf erwidert der andere: ‚Nein, bitte nicht. Mein Vater ist in Auschwitz umgekommen.‘

      ‚Oh, das tut mir schrecklich leid! Wurde er vergast?‘

      ‚Nein, er ist betrunken vom Wachtturm gefallen!‘ “

      Nemecek selbst lachte am lautesten. Viele lachten mit, aber einige saßen mit versteinerten Mienen da. So auch Hannah Lewandowski und Hedwig Fahrenkopf.

      Da stand Fries auf und rief zu dem Erzähler hinüber: „Herr Nemecek, ich finde es unerhört, dass Sie so einen Witz erzählen! Hier sitzen auch Menschen, die damals schwer unter Hitler gelitten haben. Ich fordere Sie auf, sich auf der Stelle zu entschuldigen!“

      „Wieso entschuldigen?“, erwiderte der andere lachend. „Man kann über alles Witze machen. Viele fanden es ja offensichtlich lustig. Sie sind wohl einer von diesen überempfindlichen Juden, die mit der Auschwitzkeule durchs Land laufen, um überall Entschädigung abzukassieren.“

      Für einen Moment war es vollkommen still. Frank Winterhorst suchte vergeblich nach einem Weg, um die unerträgliche Spannung aufzulösen.

      „Aha, jetzt zeigen Sie, wes Geistes Kind Sie sind!“, fuhr Fries fort. „Ich fordere Sie noch einmal auf, sich zu entschuldigen!“

      Unter den übrigen Gästen entstand jetzt mehr und mehr Unruhe. Es ergriff zwar niemand offen Partei, aber es war zu spüren, dass sich zwei Lager bildeten.

      „Machen Sie sich nicht lächerlich! Ich lasse mir nicht von einem Juden diktieren, was ich zu tun habe. Sie hat man seinerzeit offenbar vergessen zu vergasen!“

      „Herr Nemecek! Herr Fries!“, griff jetzt Winterhorst doch noch ein, „Ich glaube, Ihre Auseinandersetzung wollen wir alle nicht weiter hören. Beenden Sie das jetzt bitte!“

      Fries reagierte nicht auf diesen Einwurf, sondern stand auf und ging langsam auf Nemecek zu. Der hatte sich inzwischen wieder gesetzt. Als Fries neben ihm stand, sprach er ihn noch einmal mit Nachdruck an: „Herr Nemecek, Sie entschuldigen sich jetzt, sofort!“

      Der wandte sich ihm zu und sagte lachend: „Wollen Sie mir drohen? Herr Winterhorst, greifen Sie bitte ein. Der will …“

      Viel schneller, als man es dem alten Mann zugetraut hätte, hob Fries die rechte Hand und schlug Nemecek links und rechts ins Gesicht. Sodann wandte er sich um und ging ganz ruhig zu seinem Platz zurück.

      *

      Am Abend saßen Hannah und Hedwig in ihrem Wohnzimmer. Auf dem Tisch stand ein Fläschchen Kirschlikör und es brannten zwei Kerzen.

      „Dann trinken wir auf Fritjof, unseren Helden“, meinte da Hedwig, „so viel Zivilcourage hätte ich ihm nicht zugetraut.“

      „Ich auch nicht“, entgegnete Hannah. „Aber hast du gemerkt, wie wenig Unterstützung er bei den anderen fand? Die meisten waren doch über sein Vorgehen ehrlich empört.“

      „Hannah, damit müssen wir leben. Es gibt halt immer noch viel zu viele, die einfach nichts begriffen haben.“

      „Es ist schon unerträglich, mit solchen Leuten unter einem Dach leben zu müssen. Am liebsten würde ich wieder weggehen von hier.“

      Hedwig nickte nur stumm und seufzte.

      „Aber ich weiß ja, dass das nicht geht. In anderen Häusern dieser Art wird es nicht besser sein. Benni kann nun mal nicht für uns sorgen, er hat einfach zu viel zu tun. Und deine Renate – sie ist viel zu früh gestorben.“

      Hedwig antwortete nicht. Ihre Trauer hatte sie wieder eingeholt. Irgendwann kam ganz leise: „Mein einziges Kind, meine kleine Renate. Ich kann einfach nicht verwinden, dass sie nicht mehr da ist.“

      Wieder sprachen sie lange kein Wort.

      Schließlich meinte Hannah: „Aber wenigstens können wir jetzt sicher sein: Fritjof ist in Ordnung. Meine Bedenken waren unbegründet. Wir müssen das unbedingt sofort Benni erzählen. Er hat Fritjof ja auch nicht getraut.“

      Donnerstag, 16. August 2013

      Es war kurz nach 15 Uhr. Im Büro der Mordkommission Heidelberg surrten drei Ventilatoren. Viel brachte das aber nicht. Es war unerträglich heiß. Schon seit Tagen ließ sich keine Wolke mehr am Himmel sehen und das Thermometer kletterte nachmittags auf über 35°. Der Wetterbericht hatte für die nächste Zeit keine Besserung angekündigt. Mindestens zweimal am Tag musste Melissa Siebert, Sekretärin und Mädchen für alles in der Mordkommission, die Pflanzen gießen.

      „Verdammte Hitze!“, fluchte Oberkommissar Michael Brombach vor sich hin. „Und das immer, wenn man arbeiten muss. Letzten Monat im Urlaub war es kalt und es hat fast zwei Wochen lang geregnet. Oben am Feldberg war sogar ein paarmal Schnee dabei.“

      „Musst du eben wie ich auf die Seychellen fahren“, entgegnete seine Kollegin Martina Lange lachend. „Da bist du auf der sicheren Seite.“

      „Kann man auf den Seychellen Drachen fliegen?“

      „Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber ehrlich gesagt, ich glaub eher nicht.“

      „Aber ich brauch das im Urlaub. Wenigstens einmal im Jahr muss ich diese absolute Freiheit da oben erleben, sonst halt ich den Job hier nicht aus.“

      Hier verebbte das Gespräch wieder. Lediglich die PC-Keyboards klapperten vor sich hin. Es mussten noch viele Berichte von Zeugenaussagen geschrieben werden. Denn der Fall eines Tötungsdelikts war gerade abgeschlossen. Ein Tankstellenpächter war erschlagen worden. Der Täter war sehr schnell durch die Überwachungskameras überführt. Ein Junkie. Er wollte eigentlich nur das Geld. Der Totschlag war fast ein Unfall. Der Täter geriet in Panik, weil er fürchtete, nicht mehr aus der Tankstelle herauszukommen.

      Da öffnete sich die Tür und Hauptkommissar Grundmann trat ein, offenbar ziemlich schlechtgelaunt.

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