Metastasen eines Verbrechens. Christoph Wagner

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Metastasen eines Verbrechens - Christoph Wagner Heidelbergkrimi

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„Wenn wir Sie schon nicht schützen konnten, dann können wir Ihnen wenigstens da entgegenkommen.“

      *

      „Wie sieht das denn hier zurzeit mit Neonazis aus?“, fragte Travniczek seinen Kollegen, als sie wieder in ihrem Wagen saßen. „Ich bin seit knapp einem Jahr in Heidelberg. Vorfälle dieser Art hat es in dieser Zeit meines Wissens nicht gegeben.“

      „Wir hatten jetzt auch ziemlich lange einigermaßen Ruhe. Aber die Szene scheint in dem Moment aufgewacht zu sein, als die Bundesregierung bekanntgab, sie würde 5000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Das war jetzt aber die erste massive Aktion.“

      „Und wie organisiert ist die Szene?“

      „Dann hoffen wir mal, dass die Spusi was Brauchbares findet. Und zurück in der Direktion knöpf ich mir erst mal den Brehme von der Verkehrspolizei vor. Wenn die die Sache mit den zu schnellen Motorrädern ernst genommen hätten, wäre das heute wahrscheinlich nicht passiert.“

      Dienstag, 12. April 2011

      Es war morgens kurz nach neun. Die Sonne schien vom blauen Himmel, aber weit hinten über der Rheinebene kündigten dicke dunkle Wolken schon den nächsten Regenschauer an. Ein heftiger kalter Westwind blies durch die noch jungen hellgrünen Blätter der umstehenden Bäume.

      Am Parkplatz vor dem Michaelistift, einer Seniorenwohnanlage im Emmertsgrund, hielt ein dunkelroter, nicht mehr ganz neuer VW-Passat. Ein Mann mittleren Alters stieg aus. Er war nicht sehr groß gewachsen, und von seinem früher wohl blonden Haar war nur noch ein schmaler aschgrauer Kranz um eine blank polierte Glatze geblieben, in merkwürdigem Gegensatz zu seinem dichten Vollbart. Mit seinen freundlichen hellblauen Augen hinter kleinen runden Brillengläsern konnte er fast jedermann sofort für sich einnehmen.

      Er warf einen kurzen Blick auf die große Wohnanlage, öffnete dann auf der Fahrerseite die hintere Wagentür und rief nach drinnen: „So, die Damen, jetzt bitte aussteigen. Euer neues Heim erwartet euch schon.“

      Während er die Hecktür des Wagens aufklappte, um einen Rollator herauszuholen, stieg eine kleine alte Dame sehr mühsam aus. Es war seine Schwiegermutter, Hedwig Fahrenkopf. Ihr Rücken war tief gebeugt, das krausgelockte schneeweiße Haar so schütter, dass schon überall die Kopfhaut durchschimmerte. Tiefe Furchen durchzogen ihr Gesicht. Die Augen waren hinter dicken goldgefassten Brillengläsern kaum zu erkennen.

      Auf der anderen Wagenseite war eine zweite alte Dame ausgestiegen, seine Mutter, die emeritierte Mathematikprofessorin Hannah Lewandowski. Sie war schlank und noch ungebeugt, das lange weiße Haar hinten zu einem festen Knoten hochgesteckt, der Blick ihrer glänzenden dunkelbraunen Augen verriet Kraft: eine ehrfurchtgebietende, ja majestätische Erscheinung.

      „Dann wollen wir“, sagte der Mann und sie gingen langsam in Richtung Haupteingang. Der Weg führte vorbei an mehreren bis zu fünfzehnstöckigen Wohngebäuden, über eine breite Terrasse, in deren Steingeländer durchgängig Blumenkästen eingelassen waren. Verschiedenste Pflanzen, liebevoll gepflegt, blühten in allen erdenklichen Farben und verwöhnten das Auge. Kurz vor dem Eingang erregte die bronzene Skulptur eines Elefanten die Aufmerksamkeit der Besucher.

      Sie betraten die weitläufige Eingangshalle. Gleich linker Hand der Empfang, schräg in eine Ecke des Raumes eingelassen. Sie mussten eine Weile warten, ehe ein junger Mann in grauem Anzug und roter Fliege sie mit professioneller Freundlichkeit ansprach: „Frank Winterhorst, was kann ich für Sie tun?“

      „Benjamin Lewandowski mein Name. Ich bringe die neuen Mieterinnen: Frau Lewandowski, meine Mutter, und ihre langjährige Freundin, Frau Fahrenkopf, meine Schwiegermutter.“

      „Es freut mich ganz besonders, Sie begrüßen zu dürfen, Frau Professor Lewandowski“, sagte Frank Winterhorst. „Es ist uns eine besondere Ehre, dass Sie Ihren Lebensabend in unserem Hause verbringen wollen. – Aber natürlich auch Sie, Frau Fahrenkopf, seien Sie herzlich gegrüßt. Ich werde eine Kollegin rufen, die Sie in Ihre Wohnung geleiten wird. Sie können so lange noch dort drüben Platz nehmen.“

      Er deutete auf eine großzügige, mit hellbraunem Leder bezogene Sitzgruppe.

      Die beiden Damen sahen sich irritiert an. Sicher, Hannah Lewandowski war hier in Heidelberg fast dreißig Jahre Professorin an der Mathematischen Fakultät gewesen und hatte sie fünfzehn Jahre lang geleitet. Sie genoss wegen ihrer vielen vor allem auch populärwissenschaftlichen Bücher immer noch internationales Ansehen. Dennoch, eine solche Begrüßung hatten sie nicht erwartet.

      „Siehst du, Mutter?“, sagte ihr Sohn. „Man kennt dich hier immer noch.“

      „Warte, bis ich gestorben bin“, entgegnete sie mit sarkastischem Unterton. „Dann kräht bald kein Hahn mehr nach mir. Vielleicht benutzen ja noch ein paar Studenten meine Bücher. Aber das ist es dann.“

      „Stell mal dein Licht nicht unter den Scheffel“, entgegnete der Sohn. Die Mutter antwortete darauf nicht mehr und das Gespräch verebbte.

      Besonders sorgte er sich um seine Schwiegermutter. Denn erst vor einem Jahr war seine Frau, ihre einzige Tochter, an Krebs gestorben. Hedwig hatte sich von diesem Schicksalsschlag bis jetzt nicht erholt. Seit langen Jahren war sie es gewesen, die den gemeinsamen Haushalt organisierte, während Hannah wissenschaftlich arbeitete und Bücher schrieb. Aber das konnte sie dann auf einmal nicht mehr. Schweren Herzens mussten die beiden ihre gewohnte Selbständigkeit aufgeben und ins Michaelistift ziehen.

      „Das ist doch prächtig hier!“, versuchte er sie etwas aufzumuntern.

      Sie sahen sich um. Die rötlichen Naturziegelwände schafften eine behaglich warme Atmosphäre. Große Fenster im Dach sorgten für ausreichend Licht. Zahlreiche Grünpflanzen, ein großes Aquarium, viele Bilder an den Wänden und Ankündigungen von Veranstaltungen aller Art zeigten, wie sehr man hier bemüht war, den Bewohnern ihren Lebensabend so angenehm wie möglich zu gestalten.

      Da kam eine junge rothaarige Frau auf sie zu. Der Blick ihrer dunklen Augen wirkte streng.

      „Annette Siegwalt“, stellte sie sich sehr förmlich vor. „Frau Fahrenkopf und Frau Professor Lewandowski?“

      Hedwig nickte, während Hannah etwas mürrisch entgegnete: „Den Professor können Sie ruhig weglassen.“

      „Dann begrüße ich Sie herzlich, auch im Namen der Leitung des Hauses. Ich bringe Sie jetzt in Ihr neues Reich.“

      Langsam

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