Diebsgrund. Gitte Loew
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Diebsgrund - Gitte Loew страница 6
„Morgen, Annemarie“, murmelte er mit trockenem Mund.
„Na, ohne Schuhe auf Traumpfaden gewandelt?“, spöttelte sie und sah ihn dabei resigniert an.
Valentin gab ihre keine Antwort, sondern richtete sich auf und schlurfte auf wackeligen Beinen ins Bad. Wusch sich die Hände und spritzte kaltes Wasser ins Gesicht. Versuchte den schalen Geschmack aus dem Mund zu spülen und trocknete sich langsam ab. Das kalte Wasser erfrischte ihn nur wenig, und er sah nicht nur im Spiegel erbärmlich aus, er fühlte sich auch so. Seine Haut spannte sich dünn wie Pergament über den Schädel. Venen schimmerten rötlichblau hervor, und die Augen lagen dunkel in tiefen Höhlen. Kopfschüttelnd verließ er das Badezimmer. Als er in die Küche zurückkam, trat er auf Annemarie zu, gab ihr einen Kuss und wollte sie umarmen. Sie wehrte ihn ab.
„Ach, hör auf, Valentin, das ist lange vorbei.
Er sah sie enttäuscht an.
„Wir haben uns doch immer gut verstanden.“
„Ja, ja, aber du weißt, was los ist. Ich will mein Leben ändern. Versteh doch, ich muss allein neu anfangen.“
Er verstand sie nicht. Was hatte das mit ihm zu tun?
Annemarie redete weiter, ohne auf ihn zu achten: „Ich kämpfe jeden Tag gegen den Schnaps, und trotzdem wirft mich das Zeug immer wieder aus der Bahn. Aber seit Januar stehe ich morgens auf und gehe zur Arbeit. Egal, wie mein Kopf schmerzt, verstehst du? Ich will davon loskommen und ohne Schnaps leben.“
Er nickte: „Ich weiß, was du meinst.“
„Wir hatten eine schöne Zeit zusammen, aber ich hab kapiert, dass ich dir nicht helfen kann.“
„Es wird zu viel für dich“, fügte er hinzu.
Annemarie sah ihn mit einem Ausdruck von Verzweiflung an, während sie die Arme vor ihrer Brust verschränkte.
„Es geht nicht nur um dich, sondern auch darum, was aus mir wird. Ich habe unzählige Male versucht aufzuhören. Jetzt muss Schluss sein. Seit Januar gehe ich zu einem Arzt, der mir hilft. Er ist der Erste, der mich nicht wie den letzten Dreck behandelt.“
Aufgewühlt lief sie zum Tisch, griff nach dem Tabak und drehte sich eine Zigarette.
„Ich weiß, bei dir gibt es Hoffnung“, meinte Valentin müde und setzte sich auf einen Stuhl.
„Es gibt immer Hoffnung“, erwiderte sie.
„Ach Annemarie, ich bin zu alt und hab nicht nur den Schnaps am Hals. Das Gift ist viel schlimmer. Und mal ehrlich, welche Aussichten hätte ich denn? Glaubst du, dass ich Arbeit finden würde? Oder soll ich bis ans Lebensende zum Sozialamt rennen? Nein, danke.“
„Ich glaube, das wäre letzten Endes besser für dich, als von einem Unglück ins nächste zu stürzen. Du wirst im Gefängnis landen, wenn du so weitermachst. Oder sie finden dich irgendwann tot in einer dunklen Ecke.“
Sie sah weg, wollte ihn nicht ansehen. Valentin schwieg. Das wusste er selbst, aber es gab für ihn keinen Weg zurück. Außerdem, in seinem Alter jammerte man nicht mehr. Annemarie füllte Kaffee in eine Tasse und reichte sie ihm.
„Hier, trink was, du siehst furchtbar aus“, und schob mit diesen Worten den dampfenden Kaffee vor ihn hin.
Er griff aber nicht danach, sondern tastete über den Krimskrams, der auf dem Tisch lag, fand aber nicht, wonach er suchte. Sie beobachtete ihn, nahm die Schachtel aus der Schublade und drehte ihm wortlos eine Kippe. Valentin verzog das Gesicht zu einem Lächeln, griff nach der Zigarette und zündete sie an.
„Du musst verschwinden, länger als eine Nacht halte ich das nicht mehr aus. Ich bin geschafft, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, dann brauche ich meine Ruhe“, fing sie wieder an.
Valentin verstand und begriff, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie hatte ihm immer geholfen, aber jetzt war Schluss. Er trank mit kleinen Schlucken den heißen Kaffee und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Sie rauchten beide und blieben eine Weile wortlos am Tisch in der Küche sitzen.
„Annemarie, lass uns trotzdem Freunde bleiben. In meiner Situation ist es wichtig, wenigstens einen zu kennen, der mich nicht bescheißt. Auf alle anderen ist kein Verlass.“
Das hatte er so leise gesagt, dass es kaum zu hören war.
„Ist ja gut, Valentin, aber du musst mich in Frieden lassen. Ich kann mir nicht noch dein Elend ansehen. Das zieht mich noch mehr runter. Was ist denn mit deiner Familie? Deiner Frau?“
Valentin schüttelte sich und ließ den Kopf noch mehr hängen.
„Seit der Sache mit der Russin will meine Frau nichts mehr mit mir zu tun haben.“
„Was für eine Russin?“ Annemarie horchte auf.
Er blickte verlegen nach und begann nur zögerlich zu reden:
„Na ja, ich hatte was mit einer Russin. Es war nichts Ernstes. Meine Frau ging mir damals mit ihrer Nörgelei auf die Nerven. Sie hat geglaubt, wir kommen in den Westen, und alles ist gut.“
„Und weil du Ärger mit deiner Frau hattest, bis du gleich fremdgegangen?“
„Ach komm, du weißt doch, wie das ist. Ich wollte halt mal was anderes hören.“
Annemarie schüttelte ungläubig den Kopf: „Und deine Frau sollte das verstehen. Typisch Mann.“
„Es war nicht nur das Fremdgehen“, druckste er herum.
„Was denn noch?“
Er wollte nicht darüber reden und schwieg.
„Jetzt sag schon, was war los?“, bohrte Annemarie weiter.
Valentin fühlte sich unbehaglich. Das war eine Angelegenheit, die Frauen nicht verstanden. Unruhig rutsche er auf dem Stuhl hin und her.
„Ich hab die Russin erwischt, wie sie mit meinem Geld abhauen wollte.“
„Du hast sie geschlagen?“
Valentin schüttelte stumm den Kopf.
„Was denn?“, Annemarie wurde langsam ungeduldig.
„Ich habe ihr eine gelangt und sie aufs Bett geworfen.“
„Und dann hat sie dich angezeigt?“
Es ging nicht. Wie sollte er so eine Sache einer Frau erklären?
„Ja, sie hat mich angezeigt, aber nicht wegen der Ohrfeige, sondern wegen Vergewaltigung.“
Jetzt war es raus.
Annemarie konnte nicht glauben, was sie gehört hatte.
„Was hast du gemacht?“