Treppe zum Licht. Silke May
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»Beeil dich aber, wir warten auf dich«, sagte die Mutter und verließ dann den Raum.
Solana beendete ihre Körperpflege und zog sich eine Leinenhose und das dazugehörige kurzärmelige Hemd darüber – das ihr Mata gebracht hatte. Dieses band sie in der Taille mit einem Leinengürtel zusammen. Sie kämmte ihr Haar mit einem großen Holzkamm, den ihr Onkel geschnitzt hatte. Anschließend verließ sie ihr Zimmer und lief durch die spärlich beleuchteten Gänge in den tiefen Gewölben, zum großen Gemeinschaftssaal.
Als Solana ihn betrat, saßen schon alle an den zwei großen Tischen in der Saalmitte – Frauen und Mädchen an einem, die Männer mit ihren Söhnen am anderen. Sie hatten sich streng getrennt gruppiert, so wie es die Etikette verlangte.
Während Solana auf den Frauentisch zusteuerte, musste sie unmittelbar am Tisch der Männer vorbeigehen und ihrem Vater einen guten Morgen wünschen. Sie trat direkt auf ihn zu und grüßte im Vorbeigehen auch alle anderen am Tisch Sitzenden.
»Guten Morgen Vater«, sagte sie, reichte ihm die Hand und machte zugleich eine tiefe Verbeugung, denn Sota war der Stammesvater und somit eine große Respektsperson.
Neben ihm saß Janis, ihr zukünftiger Mann, und musterte sie leicht schmunzelnd von oben bis unten.
Solana sah ihn giftig an, denn sie wusste, dass er sicherlich schon informiert worden war. Ab jetzt würde er es als selbstverständlich ansehen, seiner Pflicht nachkommen zu müssen.
Eilig ging Solana weiter zu ihrem Tisch, wo sie ebenfalls alle laut begrüßte. Die jüngeren Mädchen kicherten albern und tuschelten, als sie sich setzte. Solana platzte fast vor Wut: Offenbar wussten auch sie alle schon darüber Bescheid, dass sie am Vortag zur Frau geworden war. Sie würgte ihr Frühstück so schnell es ging hinunter, obwohl sie wusste, dass sie den Tisch ohnehin nicht verlassen durfte, ehe alle fertig waren. Janis warf ihr immer wieder Blicke zu und grinste sie frech an.
Eigentlich war sie mit ihm stets sehr gut ausgekommen und bis jetzt war er ein treuer Freund gewesen. Doch seit gestern hatte sich alles verändert. Nun sah er sie plötzlich nicht mehr wie ein Freund an, sondern irgendwie anders … so schien es ihr wenigstens.
Als alle mit dem Frühstück fertig waren, wollten sich die Ersten erheben – auch Solana.
»Bleibt noch einen kurzen Moment sitzen, ich habe eine Mitteilung an euch zu machen«, sagte da ihr Vater mit donnernder Stimme und erhob sich.
»Wie ihr wisst, ist meine Tochter jetzt eine Frau.«
Alle Köpfe drehten sich zu Solana und sie wäre am liebsten im Boden versunken.
»Somit habe ich gemeinsam mit meiner Frau und meinem Bruder Folgendes beschlossen: In der elften Nacht von jetzt an … werde ich Solana zusammen mit Janis für dreißig Tage in eines der Zimmer zur Verschmelzung geben. Dort werden die beiden – wie auch alle anderen Paare bisher, dreißig Tage und Nächte getrennt von uns leben. Und wie es der Tochter eines Anführers gebührt, werden wir nach ihrer Rückkehr bald Zuwachs bekommen.«
Solana spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, und senkte ihren Blick. Es war ihr sehr peinlich, was ihr Vater mit lauter Stimme von sich gab.
Sie wäre am liebsten aufgestanden und aus dem Raum gelaufen.
Sota sah seine Tochter mit einem zuversichtlichen Lächeln an, und auch auf den Mienen aller anderen formte sich ein hoffnungsvoller Gesichtsausdruck.
Was glaubten sie eigentlich alle? Sie hatte doch überhaupt keine Ahnung davon, wie man überhaupt Kinder machte!
Sie hob ihr Gesicht und sah herausfordernd zu den Gomas.
»Dazu muss ich aber erst einmal wissen, was ich tun muss!«, rief sie vorlaut in die Runde.
»Keine Sorge, das weiß Janis sehr gut! Er wird es dir schon zeigen!«, lachte dessen Vater laut und im nächsten Moment, stimmten alle Erwachsenen mit ein. Nur Janis lachte nicht, er zwinkerte ihr einfach nur zu.
Solana wurde hochrot und sprang auf, dann lief sie aus dem Saal, ohne sich noch einmal umzublicken. Sie rannte geradewegs in den Raum der Ruhe und warf sich auf eines der riesigen Sitzkissen, die überall auf dem Boden verteilt lagen.
Der Raum war nicht sehr hoch und hatte felsige Wände, an denen kleinere Rinnsale zwischen größeren Felsritzen herunterplätscherten. Das Wasser wurde durch eine Lichtquelle von oben angeleuchtet und schimmerte durch die Algenablagerungen grün. In der Mitte des Raumes trafen die Bächlein in einem runden Becken zusammen, das von kleineren Fackeln umrahmt war. Dort konnte man sich für gewöhnlich im Wasser entspannen.
Solana sah mit tränenblinden Augen in das Becken. Sie schämte sich, vor allen so bloßgestellt worden zu sein. Als sie hörte, wie sich leise Schritte näherten, blickte sie absichtlich weiterhin starr zum Becken. Jemand setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Du darfst dir nichts dabei denken – du weißt doch, dass es immer gleich abläuft«, hörte sie Janis liebevoll flüstern. Solana nickte.
»Ja, aber …«
Janis drückte sie fester an sich. Er fasste mit seiner Hand unter ihr Kinn und drehte sanft ihr Gesicht zu sich, damit er ihr in die Augen sehen konnte.
»Jetzt erwischt es eben uns beide. Wir wussten doch ohnehin, dass es irgendwann dazu kommen würde. Wir mögen uns doch beide sehr oder?« Solana nickte stumm.
»Schau Solana …, hätte mein Vater nichts dagegen gehabt, dass ich Lia liebe, dann wäre sie nicht aus Verzweiflung in den Höhlenschacht gesprungen und wäre mit Sicherheit jetzt an deiner Stelle. Dann würdest du womöglich Cyrill als Mann bekommen. So aber hätte sie mit ihm die Verschmelzung vollenden müssen.«
Bei diesem Gedanken schüttelte sich Solana.
»Brr, da steigt es mir kalt auf! Ich glaube, da würde ich auch in den Schacht springen!«
»Allerdings bin ich mir sicher, dass sie nicht selbst gesprungen ist!
Cyrill hat sie ganz bestimmt gestoßen, weil sie ihn verschmäht hatte«, gab Janis bitter von sich.
»Bist du dir sicher, dass du sie bekommen hättest, denn du warst von Anfang an mir zugesprochen?«
Kurzes Schweigen bei Janis.
»Ja, da bin ich mir ganz sicher, denn wir hätten jede Schmach ertragen. Du hättest dann als Ersatz für mich, Cyrill bekommen, denn er wäre dann an meine Stelle getreten. Wenn ich diese Hinterlist meines Vaters rechtzeitig erkannt hätte, dann wäre es nicht soweit gekommen!«
»Ihr hättet euch nie bekommen! Wie wolltet ihr das Erreichen?«
»Wir hätten heimlich das getan, was uns beiden jetzt bevorsteht, dann hätten sie unsere Liebe akzeptieren müssen, oder uns beide töten. Aber unsere Chance wäre groß gewesen. Schließlich tötet man keine werdende Mutter und ich bin mir sicher, dass sie sich in den Monaten bis zur Geburt damit abgefunden hätten.«