Die Vergessenen. Eckhard Lange
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Da stand der Grauhaarige auf und trat nach vorn: „Ich glaube, daß ihr recht habt, daß der Christus wirklich gekommen ist und uns retten will. Darum möchte ich getauft werden. Das werdet ihr doch tun, nicht wahr?“ Nun meldeten sich auch noch drei, vier andere Männer, und nach einer Weile trat auch eine Frau vor: „Ich bin nur eine Freigelassene, werdet ihr mich dennoch taufen?“ Junia fasste sie an beiden Händen: „Gott macht keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen seinem erwählten Volk und den anderen Völkern. Wie sollte er da Unterschiede machen, ob jemand frei ist oder Sklave, von hohem Ansehen oder niederem Stand? Wenn du dich dem Herrn anvertraust, Schwester, wird dir niemand die Taufe verweigern.“
Die vielen anderen Zuhörer zögerten noch, und die drei Antiochener bedrängten sie nicht. „Ihr seid alle herzlich eingeladen, wiederzukommen,“ sagte Andronikus, „es ist in Ordnung, wenn ihr erst bedenken wollt, was wir euch gesagt haben, und wenn ihr noch manche Fragen habt. Wir werden euch antworten, so gut wir können, damit ihr euch vielleicht später entscheiden könnt. Unser Haus steht euch jedenfalls offen.“
8
Der Sommer neigte sich inzwischen seinem Ende zu. Die junge Christengemeinde war nun nicht nur stetig gewachsen, sondern auch gefestigt im Glauben. Zwar gab es durchaus noch einige Unentschlossene, die sowohl die Sabbatfeier am siebenten Wochentag als auch die Versammlungen bei Junia und Andronikus am ersten Tag, dem Tag der Auferstehung des Herrn, besuchten, aber die meisten hatten sich inzwischen taufen lassen, feierten das Mahl und stärkten sich gegenseitig in ihrem Vertrauen auf den Christus Jesus.
Andronikus und Junia hatten Älteste eingesetzt, die die Versammlungen leiteten und auch die Taufen vollzogen. Zwar waren die meisten Angehörigen der Gemeinde noch jüdischer Herkunft, aber es gab immer häufiger auch Heiden, Angehörige der anderen Religionen in der Stadt, die zu den Versammlungen kamen, zuhörten und um Aufnahme baten.
Andronikus hatte seit längerem seine Kenntnisse als Schreiber in einem kleinen Ladenlokal angeboten und verdient damit genug, um die drei Antiochener zu ernähren, Junia hatte ihre schöne zierliche Handschrift ebenfalls genutzt, um die von Andronikus entworfenen Briefe und Verträge auf edles Pergament zu übertragen. Fast schien es, als wollten die drei hier in Miletene sesshaft werden, doch war es nur eine Frage der Zeit, wann sie weiterziehen würden. Eines Tages mahnte deshalb Marcius die beiden: „Es wird nicht mehr lange dauern, bis oben in den Bergen der erste Schnee fällt und das Reisen unmöglich macht. Wir werden uns bald entscheiden müssen, ob wir den Winter noch hier verbringen wollen oder weiterwandern.“ „Wir wollen den Herrn um ein Zeichen bitten,“ antwortete Junia. „Wenn es sein Wille ist, werden wir die Stadt noch im Herbst verlassen.“
Und das Zeichen kam rascher als erwartet: Am nächsten Morgen erschien einer der Ältesten der Gemeinde mit einem Brief in der Hand: „Ich habe eine Ladung zum Statthalter in Caesarea erhalten,“ sagte er, „der Proconsul wünscht Auskunft über die neue Religion, die wir hier in Miletene vertreten.“ „Dann werden wir dich begleiten,“ sagte Andronikus, „es sollte unsere Sache sein, den Glauben an den Christus Jesus zu verteidigen.“ In nur wenigen Tagen hatten die drei alles erledigt, was vor einer Abreise getan werden mußte. Der Abschied von der Gemeinde fiel ihnen schwer, waren ihnen doch viele der Brüder und Schwestern ans Herz gewachsen. Aber die Zeit drängte, Marcius hatte eine kleine Karawane ausgemacht, die in die Provinzhauptstadt ziehen wollte und der sie sich anschließen konnten. Vorsorglich hatte er auch ein Maultier erworben, für ihre Habseligkeiten und notfalls auch für einen von ihnen, wenn es erforderlich sein sollte.
Es erwies sich bald, daß seine Fürsorge berechtigt war. Schon am zweiten Tag ihrer Wanderung durch die Bergketten des Taurus trat Junia auf einen lockeren Stein und stürzte. Zwar trug sie nur einige Hautabschürfungen davon, doch der linke Knöchel schwoll derart stark an, daß jeder Tritt mit Schmerzen verbunden war. Fast eine Woche saß sie so auf dem Tier, Andronikus kühlte ihren Fuß mit einem Tuch, das er hier und da in das eiskalte Wasser eines herabstürzenden Baches tauchte.
Dann traf es ihn selber: Als er sich an einer Felswand abstützte, löste sich ein Steinbrocken oberhalb des Weges. Er konnte noch zur Seite springen, doch der Stein streifte seine Schulter, und wieder wurde das Maultier zum Retter. Alle atmeten auf, als sie endlich in der Ferne den gewaltigen Kegel eines hohen Berges erblickten, der aus der nunmehr flacheren Hügellandschaft aufragte, in der Caesarea, einst die alte Königsstadt Kappadokiens, sich ausbreitete, umgeben von salzigen Sümpfen in den Niederungen. Hier also würden sie auf den Proconsul treffen, und hier wollten sie den Winter verbringen in der Hoffnung, auch in der Provinzhauptstadt ihre Botschaft verkündigen zu können. Der letzte Teil ihres Weges führte durch ausgedehnte Weizenfelder, unterbrochen von großen Weideflächen für die Pferdezucht, ehe sie in einer Karawanserei am Rande der Stadt einkehrten.
Am kommenden Tag machten der Älteste von Miletene und Andronikus sich auf zum Palast des Statthalters. Lange mussten sie in einem Innenhof warten, ehe man sie vor den Proconsul führte. Doch der hatte wenig Zeit und noch weniger Interesse an religiösen Disputen. Es stellte sich heraus, daß Vertreter der jüdischen Gemeinde in Miletene sich dagegen verwahrt hatten, daß die neue Gemeinde sich angeblich auf die verbrieften Rechte der Juden berufen hatte. Für den Römer waren das sowieso nur Spitzfindigkeiten, Streitereien von verschiedenen Richtungen innerhalb des Judentums. Der Form halber nahm er also die Erklärung von Androklus entgegen, daß man den jüdischen Messias als Gesandten Gottes verkünde, und erklärte die Angelegenheit für erledigt. Römische Belange seien nicht betroffen. Mit der fast schon ironischen Mahnung, sie mögen mit ihren Reden keine Unruhe in der Stadt verbreiten, entließ er die beiden.
Andronikus und Junia beschlossen, am nächsten Sabbat die jüdische Gemeinde aufzusuchen, auch wenn sie nicht wussten, ob die Klagen der Miletener Juden gegen sie dort bekannt waren. Aber Gottes erwähltes Volk hatte das Recht, als erstes die Christus-Botschaft zu hören. Bis dahin wollte Andronikus in der Stadt nach einem Schreiber suchen, dem er seine Dienste anbieten konnte. Ihre letzten Denare wollte er, so weit es ging, gerne schonen.
Die nächsten Wochen und Monate verliefen, wie die drei es schon von Miletene gewohnt waren: Andronikus sprach mehrmals in der Synagoge; es fand sich ein vermögender Kaufmann, Sohn einer jüdischen Mutter und eines phrygischen Vaters, der ihnen sein Haus für die Versammlungen anbot, in denen nun auch Junia sprechen konnte; eine erste, noch kleine Gruppe bekannte sich zum Christusglauben und ließ sich taufen; ein Teil der jüdischen Gemeinde widersprach den beiden und erreichte schließlich, daß man Andronikus ausschloß, während immer häufiger auch Kappadokier, Phrygier und Griechen sich dem neuen Glauben öffneten. Das alles vollzog sich, ohne daß eine breite Öffentlichkeit in der Stadt daran Anstoß nahm, und folglich erhielt auch der Statthalter davon keine Kenntnis. Wandernde Prediger, neue Kulte oder Lehren waren schließlich keine Seltenheit hier im Osten des Imperiums, wo so viele verschiedene Kulturen nebeneinander existierten.
Als der Frühling auch auf die Hochebene Kappadokiens kam und der Schnee sich auf die Gipfel des Gebirges und des Argaeus Mons zurückgezogen hatte, gab es in Caesarea eine Gemeinde von Getauften, und mit jedem, der hinzukam, wuchs auch die Zahl derer, die sich offen zu der Botschaft bekannten und so andere neugierig machten. Junia und Androklus konnten zufrieden und dankbar sein: Was sie gesät hatten, ging nun auf und trug mannigfach Frucht. Im Sommer erreichte sie ein Brief aus Antiochia, der auch davon berichtete, daß es Streit zwischen den Jerusalemern und Paulus gegeben hatte und daß Petrus und die anderen Jünger nun endgültig zugestanden hätten, daß auch den Heiden das Evangelium verkündet werden dürfe, ohne sie auf das Gesetz zu verpflichten. In ihrem Antwortschreiben