DAS GESCHENK. Michael Stuhr
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Er wollte mehr davon. Seine Arme umschlangen das Mädchen fester. Es gab nach und es war, als würde der Fluss der Energie zu einem gewaltigen Strom anschwellen. Er schloss die Augen. Machtvoll und unaufhaltsam ergoss sich dieses neue, unglaubliche Gefühl in seinen Körper, und er wollte mehr davon, immer mehr. Um nichts in der Welt wollte er dieses Mädchen je wieder loslassen.
Langsam ebbte der gewaltige Strom ab, wurde zu einem Fluss, einem Bach, einem Rinnsal, aber es war immer noch erregend und schön.
Er verstand es nicht, als er plötzlich Hände auf seinen Schultern spürte, die versuchten, ihn gewaltsam von dem Mädchen zu trennen. Er wehrte sich und hielt weiter fest. Er wollte auch noch den letzten Tropfen aus dieser wunderbaren Quelle genießen. Er spürte, wie etwas in seinen Armen zerbrach. Es fühlte sich an, als habe er ein dürres Bündel Holz zu stark an sich gepresst. Er öffnete die Augen und ließ los. Das Mädchen glitt zu Boden. Eine kräftige Hand schloss sich um seinen Oberarm und riss ihn von der Kleinen fort, bevor er sie noch einmal hatte ansehen können.
Es war sein Cousin Adriano, und er ging alles andere als sanft mit ihm um. Schnell und gewaltsam wurde er zum Haus geschleift, so sehr er sich auch wehrte, aber auf der Schwelle zum Salon gelang es ihm doch, sich noch einmal kurz umzudrehen.
Seine Mutter hatte sich auf den Rasen gekniet und die Hände vor das Gesicht gelegt, während sein Vater sich auf ein Knie herabgelassen hatte und fassungslos auf das aschgraue Bündel starrte, das zwischen ihm und seiner Frau lag.
Was konnte das sein, und wo war nur das Mädchen geblieben? Es war fort, und da war nur dieses kleine, dürre Etwas auf dem Rasen, das eine entfernte Ähnlichkeit mit einer menschlichen Gestalt hatte.
Der Vater sah zum Haus herüber. Rasch stand er auf und versuchte das, was da auf dem Rasen lag, vor dem Blick des Jungen zu verbergen, aber der hatte schon genug gesehen. Es war der völlig ausgedörrt wirkende Körper des kleinen Mädchens, der in seiner grotesk verrenkten Stellung wie eine zerbrochene Mumie wirkte. Das orangerote Bikinihöschen spannte sich immer noch um die grau und faltig gewordenen Hüften. Es leuchtete in der Sonne und sandte ihm ein letztes, höhnisches Signal der Lebensfreude und der Unbeschwertheit hinterher; aber das Letzte, was er mit seinem kurzen Blick wahrnahm, war der kleine, graugesichtige Schädel, um den herum ganze Büschel ausgefallener, schwarzer Haare lagen. Das Gesicht war nach oben gewandt, und es war die Maske des Todes, die da mit blicklosen Augen in den makellos blauen Himmel starrte.
Keuchend wachte er auf.
Früher war er oft schreiend aus seinem Bett hochgefahren, wenn der Traum ihn wieder mal ereilt hatte. aber mittlerweile war er älter und hatte sich fast an den Schrecken gewöhnt. Trotzdem raste sein Herz wie wahnsinnig und er merkte, dass seine Hand zitterte, als er das Deckbett zur Seite schlug und aufstand. Die grünen Leuchtziffern auf dem Wecker zeigten drei Uhr an.
Einige Minuten stand er am offenen Fenster und sah über die Küstenstraße auf das Meer hinaus. Weit draußen konnte er einige Lichter erkennen. Dort, weit vor Port Grimaud, lagen die wirklich großen Yachten auf Reede, die im Hafen niemals Platz gefunden hätten. Wie immer waren auch einige dabei, die Mitgliedern des Alten Bundes gehörten.
Die Unruhe in ihm hatte sich noch nicht gelegt. Er wandte sich vom Fenster ab und zog sich an, um das Hotel zu verlassen. Er musste hinab zum Strand. Nur das Meer konnte die alte Schuld von ihm abwaschen. – Für eine Weile wenigstens.
01 CAMPING NEPTUNE
Wir haben Aix en Provence gerade verlassen und alles klebt an mir, das Top, meine Bikinihose, die Hotpants. Schweißtropfen laufen kitzelnd in meinen Ausschnitt. Das Buch, mit dem ich bei unserer Abfahrt angefangen habe, steckt in dem Netz hinter dem Beifahrersitz. Paris liegt mittlerweile gut 700 Kilometer hinter uns und in spätestens einer Stunde werden wir in Port Grimaud sein.
Eigentlich lohnt es sich kaum noch; trotzdem versuche ich irgendwie zu schlafen. Schwierig, denn ich bin zwischen Gepäckstücken und einer Kühlbox zusammengequetscht, die zwischen mir und meinem Bruder steht. Ich könnte Didier verfluchen. Das meiste von dem Zeug, das den Fußraum hinten in unserem Kombi blockiert, gehört meinem Bruder. Nur wegen seinem dämlichen, aufblasbaren Kinderkanuboot hab ich die Knie fast am Kinn, wenn ich mich mal gerade hinsetzten will.
„Der Wohnwagen braucht ein Gegengewicht“, hat mein Vater mir wie jedes Jahr erklärt, als ich wieder mal protestierte. „Der Wagen muss auch was wiegen, sonst schlingerts.“
- Klar, so nen großen Peugeot kann man ja auch auf einer Hand wegtragen, wenn kein Kanu drin ist. - Bullshit!
Mein Vater hat wohl mitgekriegt, dass ich mich bewegt habe. „Ihr Lieben, den größten Teil der Fahrt haben wir geschafft“, erklärt er gut gelaunt. Kein Wunder. Sein Sitzplatz ist ja auch bequem.
Leise fluchend verlagere ich mein Gewicht auf die rechte Pobacke und ziehe meine Knie in Richtung Seitenfenster. Zwar sind wir wirklich bald da, aber dafür hab ich jetzt von Aix an bis zur Abfahrt in Richtung Meer das zweifelhafte Vergnügen, die knallheiße Nachmittagssonne auf meiner Haut zu spüren. Verzweifelt versuche ich, mir mein Handtuch zum Schutz über Kopf und Schultern zu ziehen. Da ich das Seitenfenster bis zum Anschlag runtergekurbelt habe, um nicht komplett zu ersticken, flattert mir das Handtuch aber immer wieder davon und ich muss kämpfen, damit es sich nicht vollends aus dem Staub macht. - Warum haben wir eigentlich immer noch kein Auto mit Klimaanlage?
Schließlich gebe ich auf und setze mich wieder gerade hin, so sind wenigstens ein Teil meiner Schultern und mein Kopf im Schatten. Der warme Fahrtwind streift meine zu einem Pferdeschwanz hochgebundenen Haare und lässt sie mir um die Ohren wehen. Ich schaue zum Fenster hinaus auf die an mir vorbeiziehende Landschaft. Die Häuser, die Bäume, die hier und dort aufblitzenden Pools in den Gärten flirren und glitzern im heißen Sonnenlicht. Ein Haus ohne Pool ist hier einfach nicht komplett. Ich liebe diese Gegend!
„Lana, Chérie, gibst zu mir bitte die Limonade aus der Kühlbox? Hier vorne das Wasser ist total warm.“
Mühsam mache ich mich ans Werk, die Kühlbox von Didiers Schmusekissen und seinem Dickschädel zu befreien, um sie öffnen zu können. „Was ist denn? Lass mich doch!“ murrt mein Bruder verschlafen, „Oder sind wir schon da?“
„Nein, sind wir noch nicht!“ fauche ich ihn an, während ich Maman die Limonade nach vorne reiche. „Penn du ruhig weiter, du hast ja Platz genug, während ich mich hier mit deinem blöden Boot abquäle!“
„Was kann ich denn dafür, dass du so ein Storch bist“, mault mein Bruder zurück, „außerdem liegt bei mir auch Zeug rum.“
„Ja klar“, gebe ich genervt zurück, „Dein aufblasbarer Riesenschwimmreifen, deine Luftmatratze, dein ganzes blödes Sandspielzeug. Soll ich weiter aufzählen?“
„Nun sei aber mal nicht ungerecht“, mischt sich meine Mutter ein, „Was blockiert denn unseren kompletten Wohnwagen? Deine Blaue Elise!“
„Weil ich damit immer alle Einkäufe machen muss!“, halte ich dagegen. „Chérie, hol doch mal drei rote Paprika, Chérie, ich brauche Zwiebeln, Chérie, das Wasser geht zur Neige.“
„Na, ja ...“ Mehr fällt meiner Mutter dazu nicht ein. – Treffer! Versenkt!
Bevor ich den Punkt verschenke, ziehe mich lieber in eine schweigende Schmollphase zurück.
Didier fängt es diesmal richtig listig an. „Wenn du es nicht