Felsenmond. Jasmin Adam
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Latifa blickte die ältere Frau mitleidig an, aber ihre Gesprächspartnerin hatte sich nach einem tiefen Seufzer schnell wieder gefangen und legte ihre kräftige Hand auf Latifas Arm.
„Du bist ein nettes Mädchen. Und deiner Mutter sicher eine große Hilfe. Die Arme! So viele kleine Kinder. Und sieht so dünn und schwach aus. Sicher nimmst du ihr viel Arbeit ab.“
„Ja, ich helfe ihr gerne“, antwortete Latifa höflich, obwohl ihr die Bemerkung über ihre Mutter nicht gefiel. Ihre Mutter war zäh, unglaublich fleißig und alles andere als schwach! Aber, und das musste Latifa der Fremden zugutehalten, heute sah sie wirklich angegriffen aus.
„Morgens hole ich das Wasser von der Quelle im Tal und gehe dann die Ziegen hüten“, begann Latifa zu erzählen. „Nach dem Mittagessen kümmere ich mich um das Geschirr und bereite den Brotteig für das Abendessen vor. Dann wasche ich die Wäsche und hole noch mal Wasser.“ Latifas Blick fiel aus dem Fenster auf die steilen Berghänge ringsum. „Ja und im Sommer machen wir natürlich alle zusammen Heu. Ach, es gibt wirklich immer etwas zu tun.“ Mariam nickte bedauernd und Latifa fühlte sich verpflichtet, hinzuzufügen: „Aber zwischendurch habe ich immer wieder mal Zeit, meine Freundin Aischa zu besuchen, sie wohnt direkt neben uns.“
„Nun, da ist das Leben in der Stadt wesentlich einfacher“, erklärte Mariam mit wichtiger Miene. „Du wirst sicher bald einmal kommen und uns besuchen. Es wird dir bei uns gefallen!“
„Oh“, erwiderte Latifa zweifelnd, „ich glaube nicht, dass der Vater mich mit in die Stadt nimmt, das hat er noch nie getan. Und Mutter wäre dann ja ganz alleine mit den Jungen. Die sind ihr keine Hilfe: Spielen nur mit der Steinschleuder herum und machen sich dreckig. Oder fangen Streit mit den Nachbarskindern an, wenn sie nicht gerade gemeinsam irgendeinen Unsinn aushecken!“ Latifa musste über ihre eigenen Worte lachen. Denn obgleich sie sich oft über ihre fünf Brüder ärgerte, so liebte sie doch alle sehr. Besonders Ibrahim, der gerade erst Laufen gelernt hatte.
„Latifa, komm mal bitte zu deiner Mutter!“ Aischa stand an der Tür und bedeutete Latifa, ihr zu folgen.
Latifa nickte Mariam noch einmal lächelnd zu, entschuldigte sich und stand auf.
Beim Laufen musste sie das Kleid ein wenig anheben, um nicht auf den Saum zu treten. Ganz so groß, wie der Vater gesagt hat, bin ich wohl doch nicht, dachte sie und suchte Aischa, die schon wieder verschwunden war. In einem Nebenzimmer sah Latifa ihre Mutter, dort befanden sich auch Tante Fatima und einige ältere Frauen aus dem Dorf. Sie unterhielten sich angeregt und rauchten Wasserpfeife.
Als Latifa eintrat, richteten sich wieder alle Blicke erwartungsvoll auf sie.
„Ja, Mutter?“, fragte sie und überlegte, was die Mutter wohl für einen Auftrag für sie haben mochte.
Stattdessen ergriff jedoch Tante Fatima das Wort. „Komm herein, Latifa. Heute ist ein großer Tag für uns alle und insbesondere für dich! Ich darf dir gute Neuigkeiten überbringen: Die Familie Al-Husseini ist mit uns und deinem Vater hierhergekommen, weil sie dich kennenlernen wollten, denn sie möchten dich mit ihrem Sohn Zaid verloben!“
Latifa bekam augenblicklich weiche Knie. So war das also! Jetzt wurde ihr einiges klar: Die Tränen der Mutter, Aischas verstörtes Gesicht, das Kleid. Ja, das Kleid! Am liebsten hätte sie es sich auf der Stelle vom Leib gerissen! Man wollte sie bestechen! Sie versuchte ihrer Mutter in die Augen zu sehen, aber diese blickte betreten zu Boden.
Noch bevor Latifa ihre überkochenden Gefühle in Worte fassen konnte, fuhr die Tante unbeirrt fort: „Mariam ist sehr zufrieden mit dir, meine Tochter. Und, glaube mir, die Al-Husseinis sind eine hervorragende Partie für dich. Du Glückliche! Tausend Segenswünsche! Stell dir nur vor, du wirst in der Stadt wohnen, gar nicht weit von uns. Du wirst uns ständig besuchen können und viel Spaß haben! Denk nur, wie deine Cousinen sich schon auf dich freuen! Ist das nicht wunderbar?! Und natürlich brauchst du nicht mehr so hart zu arbeiten, wirst neue Kleider tragen, zu Frauenpartys gehen ... Ach, mein Liebes, ich freue mich so für dich!“
Latifa starrte ihre Tante entgeistert an. Am liebsten hätte sie geschrien: „Dann verheirate doch eine deiner Töchter mit dem Sohn von Mariam“, doch stattdessen wandte sie sich bittend an ihre Mutter und flüsterte beschwörend: „Mama!“
Nun endlich hob diese langsam den Kopf und sah Latifa ausdruckslos an. „Es ist eine beschlossene Sache, mein Kind. Dein Vater hat mit den Männern schon alles besprochen und besiegelt. Heute Abend wird die Verlobung stattfinden. Ich ...“
„Was?“, schrie Latifa dazwischen. „Das kann doch nicht sein, Mama! Das darfst du nicht zulassen! Mich hat man nicht einmal gefragt! Mama! Ich kenne diese Leute doch gar nicht, das sind Fremde! Oh Mama, ich will noch nicht weg von dir, bitte!“ Mit einem verzweifelten Satz floh Latifa zu ihrer Mutter und warf sich ihr in die Arme, zitternd, ungläubig, wie betäubt. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Warum sie? Warum jetzt? Hatte man ihre Schwestern etwa auch so überrumpelt? Schluchzend klammerte Latifa sich an ihre Mutter, voller Verzweiflung und voller Zorn. Würde ihr denn niemand helfen? Dumpf hörte sie, wie die anwesenden Frauen sie zu beruhigend und aufzumuntern versuchten. Nur die Mutter sagte kein Wort. Sie streichelte ihr nur sanft den Kopf und schien selbst mit den Tränen zu kämpfen. Widerwillig vernahm Latifa, wie die Frauen sich gegenseitig im Lob ihres zukünftigen Bräutigams überboten. Es schien ihr lächerlich, wie sie sich zum Anwalt dieses Mannes machten, den sie doch, mit Ausnahme von Tante Fatima, gar nicht kannten! Er sei zweiundzwanzig und gut aussehend. Er sei der Lieblingssohn seiner Mutter und sehr anständig. Habe die Schule abgeschlossen und helfe jetzt seinem Vater bei dessen Geschäften. Man höre nur Gutes von ihm und er gehe freitags immer in die Moschee ... Latifa hielt sich die Ohren zu. Sie wollte nichts mehr hören! Auch dann nicht, als die Frauen schließlich lautstark über das Gold spekulierten, das Latifa zu ihrer Hochzeit als Brautgeschenk zu erwarten habe.
Schließlich begann die Stimmung im Raum zu kippen. Die Frauen murmelten zustimmend, als Tante Fatima Latifas Mutter harsch zurechtwies: „Amina, du hast dieses Mädchen verzogen. Es ist unglaublich, wie respektlos und ungezogen sie sich benimmt! Wie dumm und unverschämt von ihr, sich so gehen zu lassen, anstatt Allah für dieses Geschenk des Schicksals zu danken. Sie sollte sich schämen, bei Allah!“
In diesem Augenblick wurde fest an die Tür geklopft und Latifas Vater kündigte sich an. Schnell bedeckten sich die Frauen mit ihren großen braunen oder schwarzen Tüchern, als Muhammad Hassan Al-Sharqi auch schon eintrat. Mit einem Blick hatte er die Lage erkannt und sagte barsch: „Latifa, steh auf! Du wirst uns keine Schande machen. Ich habe der Familie Al-Husseini gesagt, dass dich ihr Angebot ehrt und du es gerne annimmst. Und genauso wirst du dich jetzt auch verhalten! Bedenke, zu welchem Clan du gehörst! Es kommt bei uns nicht infrage, dass ein junges Mädchen sich den Wünschen seines Vaters widersetzt. Bildest du dir etwa ein, besser zu wissen, was gut für dich ist, als dein Vater? Du nimmst dich selbst viel zu wichtig, Kind! Damit ist jetzt Schluss, die Zeit nutzloser Träumereien ist vorbei, hast du verstanden?! Du gehst jetzt mit deiner Mutter hinüber zu deiner zukünftigen Schwiegermutter, um die Verlobungsgeschenke entgegenzunehmen. Und dann wird gefeiert, so wie es sich gebührt! Soll man etwa in der Stadt über uns sagen, auf dem Dorf wüssten wir nicht, was gute Sitten sind?!“ Er warf der Mutter noch einen warnenden Blick zu, drehte sich um und ging.
Latifa fühlte sich plötzlich wie abgeschnitten von ihrer Umgebung. Eine bleierne Mattheit bemächtigte sich ihrer Glieder und lähmte ihre Gedanken. Das zustimmende Grunzen der Frauen zeigte deutlich, dass Latifa keinen Rückhalt erwarten konnte, falls sie beabsichtigen sollte, sich den klaren Anweisungen ihres Vaters zu widersetzen. Niemanden würde ihr beistehen oder sie unterstützen, nicht einmal ihre Mutter.