Felsenmond. Jasmin Adam
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Einige Wochen später befanden sich Sausan und Malika gemeinsam im Suq. Sie hatten für den Unterricht etwas kopiert und wollten nun die Gelegenheit nutzen, um endlich Mr Williams Frau zu besuchen. Seit ihrem ersten Gespräch mit dem Amerikaner hatte sich Sausan zurückgehalten, aber gerade heute hatte der Lehrer die beiden Mädchen noch mal angesprochen: „Besucht doch mal meine Frau! Sie spricht kaum Arabisch und freut sich sicher sehr, mit jemandem zu reden, der so gut Englisch kann wie ihr.“ Das Kompliment hatte Sausan gefallen. Die meisten Jemeniten konnten allerdings auch wirklich nicht mehr als ein paar Brocken Englisch, sie hatten ja auch keine Gelegenheit, die Sprache anzuwenden. Von ihrem Bruder hatte Sausan jedoch kürzlich erfahren, dass in einer bei Touristen beliebten Kleinstadt nördlich von Sana'a etliche junge Männer und Frauen gleich mehrere Sprachen gut beherrschten, und das nur durch den Umgang mit den ausländischen Gästen. Ja, Fremdenführer zu sein, das stellte Sausan sich toll vor! Immer wieder mit unterschiedlichen Gruppen ausländischer Touristen kreuz und quer durch das Land zu reisen und ihnen Tradition, Kultur und Architektur dieses abwechslungsreichen Landes nahezubringen, das musste wirklich schön sein! Aber auch dies war wieder so ein aussichtsloser Traum. Solch einen Gedanken auch nur zu äußern, würde Sausan schon Schläge von ihrem Bruder einbringen: Frauen gehörten ins Haus. Ende der Debatte.
Im Suq fragte Sausan kurzerhand ein kleines Mädchen in blauer Schuluniform, ob sie das Haus der Al-Sayyidis kenne, in dem Ausländer wohnten.
„Aber sicher“, erwiderte die Kleine, „das kennt doch jeder! Kommt, ich führe euch hin.“
„Vielen Dank, Allah segne dich“, verabschiedeten sie sich wenig später von ihrer Führerin. Malika und Sausan standen nun in einer Nebenstraße vor einem großen dreistöckigen Gebäude. Es musste noch recht neu sein, denn es war außen ganz mit weißen Natursteinen verkleidet, nur um die Fenster und die Tür hatte man einen schwarzen Stein gewählt. Dieser Stil hatte sich erst in den letzten Jahren durchgesetzt. Bis vor Kurzem war es noch üblich gewesen, die Häuser aus dunkelgrauem Stein zu bauen und nur Fenster und Türen mit weißem Stein zu umrahmen. Die Eingangstür zum Treppenhaus stand offen und die beiden jungen Frauen traten ein. Sie hatten vergessen zu fragen, in welchem Stockwerk die Ausländer wohnten, gingen aber davon aus, dass es der oberste und neueste Stock sei, der traditionell auch der prestigereichste war. Als sie jedoch die Treppe hochgingen, stellten sie schnell fest, dass der mittlere Stock wohl der richtige sein musste, denn hier hingen schon im Treppenhaus bunte Drucke an der Wand, auf dem Fenstersims stand eine Kübelpflanze und an der Tür hing ein von Kinderhand gemaltes Schild: „Welcome!“
Plötzlich fühlte sich Sausan etwas unwohl. Sollten sie wirklich einfach so an diese fremde Tür klopfen? Sie hatte nicht einmal ihre Eltern oder ihre Schwester in das Vorhaben eingeweiht! Aber Malika schien sich ihrer Sache sicher zu sein und übernahm die Führung, indem sie einfach dreimal fest gegen die Tür pochte. Einen Augenblick später öffnete sich diese und Mr Williams selbst stand vor ihnen. Als er die zwei verschleierten Gestalten sah, rief er sofort nach seiner Frau und verschwand, ohne die Mädchen auch nur zu begrüßen. Sicher hat er uns gar nicht erkannt, dachte Sausan. Aber es war ja auch sehr anständig, dass er sich so zurückhielt. Da erschien auch schon eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm, dicht gefolgt von einem kleinen blonden Mädchen.
„Herzlich willkommen! Ich bin Sally. Kommt doch herein!“
Nachdem die beiden Mädchen sich vorgestellt hatten, folgten sie der Frau in das Wohnzimmer.
Sausan schaute sich aufmerksam um. Obwohl viele der Einrichtungsgegenstände typisch jemenitisch waren, war der Stil doch eindeutig fremd. Ich bin hier in einer anderen Welt, dachte sie, wie Alice im Wunderland! Im Wohnzimmer lagen, genau wie es bei etwas wohlhabenderen Jemeniten der Fall war, gepolsterte Sitzmatratzen an den Wänden, die Rückenlehne bestand aus unzähligen bunten Kissen aus dem gleichen Stoff. Am Kopfende des schmalen langen Zimmers stand jedoch eine große Regalwand voll mit Büchern und CDs, ein ungewohnter Anblick. Und in einer Ecke des Zimmers lag eine dicke Decke auf dem Boden, und ein Korb mit buntem Spielzeug verriet, dass diese Kinder hier nicht nur mit alten Dosen spielten.
Die beiden Mädchen hatten ihre Schuhe ausgezogen und sich gesetzt, während Sally in der Küche verschwunden war. Ihre kleine Tochter blieb im Türrahmen stehen und spähte ab und zu um die Ecke in das Zimmer hinein, um sich dann schnell wieder in den sicheren Flur zurückzuziehen. Die beiden Jemenitinnen hatten ihre Gesichtsschleier inzwischen gelüftet, und Sausan versuchte nun, mit dem zierlichen, etwa vierjährigen Mädchen zu schäkern.
„Komm her, meine Süße“, sagte sie und streckte ihre Arme aus. Aber das Mädchen drehte sich schnell um und wäre fast in seine Mutter hineingerannt, die gerade mit dem Baby auf dem Arm ein Tablett mit Tee und Keksen hereinbalancierte.
„Nochmals herzlich willkommen!“, sagte Sally, als sie alle saßen und an ihrem heißen süßen Tee nippten. „Ich freue mich sehr, dass ihr mich besucht. Ihr seid also Studentinnen meines Mannes? Ich hoffe, ihr könnt mich verstehen.“ Sally war eine kleine, etwas mollige Frau gegen Ende zwanzig. Sie hatte kastanienbraune, schulterlange Locken, braun-grüne blitzende Augen und ein warmes Lächeln.
„Ja, doch“, antwortete Sausan, „wir sprechen zwar noch nicht so gut Englisch, aber wir möchten es gerne üben. Herzlich willkommen im Jemen! Wie lange wohnst du denn schon in unserer Stadt?“
„Nun, in dieser Stadt sind wir erst seit drei Monaten“, erklärte Sally. „Aber vorher haben wir schon ein Jahr in Sana'a gelebt. Mein Mann hat dort Arabisch gelernt. Und ich habe es eigentlich auch versucht, bin aber nicht sehr weit gekommen. Diese beiden hier“, sagte sie mit einem lächelnden Blick auf die Kinder, die nun beide auf ihrem Schoß saßen und die Mutter kaum in Ruhe den Tee trinken ließen, „halten mich ganz schön auf Trab!“
Nun ergriff Malika das Wort: „Wie gefällt dir denn der Jemen?“
„Sehr gut“, erwiderte Sally. „Alle Leute sind hier sehr nett zu mir. Aber es ist leider recht schwer, wirklich Freunde zu finden, wenn man kein Arabisch spricht. Deshalb möchte ich die Sprache auch unbedingt lernen!“ Sie legte die Stirn in Falten und fügte dann zwinkernd hinzu: „Schweie, schweie – langsam, langsam, wie ihr so schön sagt!“
Sausan lachte. „Oder yalla, yalla – schnell, schnell!“
Nun lachte auch Sally. „Ja, wenn das nur so einfach wäre! Ich glaube, ich brauche dringend jemanden, mit dem ich mich regelmäßig treffe und der mir bei der Aussprache und dem Satzbau hilft. Ein Buch habe ich eigentlich, aber es liegt immer nur schön auf meinem Nachttisch und schaut mich vorwurfsvoll an. Schlimm ist das!“
„Ach, das würde ich wirklich gerne machen“, ergriff Sausan die Gelegenheit. „Ich könnte doch ein-, zweimal in der Woche kommen und dir etwas beibringen. Dabei würde ich sogar noch besser Englisch lernen!“
Sally freute sich sichtlich über das Angebot und wollte gleich Telefonnummern austauschen. Als Sausan ihr Handy aus der Tasche zog, um die neue Nummer einzuspeichern, sah sie, dass sie eine Sms erhalten hatte. Von Walid, ihrem Kommilitonen!
Seit dem Tag, an dem er sie das erste Mal vor der Uni angesprochen hatte, standen die beiden regelmäßig miteinander in Kontakt, und während das Ganze für Sausan erst nur ein Spiel mit Nervenkitzel gewesen war, hatte sich nun längst mehr daraus entwickelt. In der Öffentlichkeit hatten sie zwar nur selten ein Wort gewechselt, aber trotzdem kannte Sausan Walid inzwischen besser als jeden anderen Mann, einschließlich ihres Bruders. So kam es ihr zumindest vor. Seinen ersten Anruf hatte sie erhalten, als sie gerade zu Hause mit ihrer Schwester in der Küche beschäftigt gewesen war. Sie war drangegangen, hatte jedoch sofort geantwortet, nein, einen Saleh gäbe es hier nicht, er müsse sich wohl verwählt haben, und hatte aufgelegt. Kurz darauf war sie in die Toilette verschwunden – den einzigen Ort, an