Felsenmond. Jasmin Adam
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„Wie bitte?“, fragte Sausan. „Das kann doch wohl nicht wahr sein! Warum denn du? Das ist doch verrückt!“
„Ja, das finde ich auch. Aber glaube mir, Sausan, sie meinen es absolut ernst. Das ist kein Spaß! Als ich mich weigern wollte, ist mein Vater dermaßen wütend geworden, dass er mich tatsächlich mit seiner Kalaschnikow bedroht hat! Er ist total ausgerastet, hat auf mich eingeprügelt, mich einen faulen Hund genannt und mir seine Sandale ins Gesicht geschlagen. So habe ich ihn noch nie erlebt.“ Walids Stimme zitterte. „Und niemand hat mich verteidigt, Sausan! Sie sind alle auf der Seite meines Vaters, alle. Sogar meine Mutter!“ Sausan konnte ihn leise schluchzen hören.
„Allah“, flüsterte sie, „ich hasse diese verbohrten Erwachsenen. Wie ich sie alle hasse! Deine Eltern, meine Eltern, alle! Was sollen wir denn nur tun?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Walid. „Ich kann jetzt auch nicht weiterreden, sie rufen schon wieder nach mir. Bitte bete für mich, Sausan. Das Schlimmste ist, wenn ich hier bleiben muss, werde ich dich nicht mehr sehen können! Und das halte ich nicht aus, eher bringe ich mich um. Ich liebe dich, Sausan! Ich kann nicht ohne dich leben!“ Sausan hörte durch das Telefon, wie Walid aus dem Hintergrund gerufen wurde. Er flüsterte ihr nur noch zu, dass er Schluss machen müsse, und schon hatte er aufgelegt.
Sausans Hände zitterten. Sie meinte, keine Luft mehr zu bekommen. Am liebsten hätte sie einfach nur laut losgeschrien und auf irgendetwas eingeprügelt. Das kann doch nicht wahr sein!, dachte sie. Und was hat er eben gesagt? Er liebt mich! Doch wann werden wir uns wiedersehen? Werden wir uns überhaupt je wiedersehen? Und was, wenn er sich etwas antut in seiner Verzweiflung? Oder wenn er mit seinem Vater so in Streit gerät, dass es zu Mord und Totschlag kommt? Oh, wenn ich doch keine Frau wäre, dann könnte ich mich jetzt in ein Auto setzen und einfach zu ihm fahren! Immer nur abwarten zu müssen, passiv zu sein, das ist furchtbar! Sausan zwang sich, tief durchzuatmen. Sie musste unbedingt die Fassung bewahren. Gleich würde der Abendgebetsruf ertönen, dann musste sie zu Hause sein, sonst würde es dort auch Ärger geben. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zusammenzureißen und schnell nach Hause zu gehen. Dort würde sie Kopfschmerzen vortäuschen, vielleicht könnte sie dann schon bald ins Bett. Einfach nur alleine zu sein, in Ruhe nachdenken zu können, wenn ihr wenigstens das gegönnt würde!
Niemand schien Notiz von ihr genommen zu haben, als sie wieder auf die Straße zurückhuschte und sich schnell auf den Heimweg machte. Doch als Sausan wenige Minuten später zeitgleich mit dem Erschallen des Gebetsrufes den Hausflur betrat, spürte sie sofort, dass auch hier dicke Luft herrschte. Ihre Schwester Hanna rollte nur mit den Augen, ihre Mutter knetete wie eine Besessene im Brotteig herum und dann ertönte auch schon Faisals Stimme aus dem Nebenzimmer.
„Ist das Sausan? Sie soll sofort kommen!“
Sausan schlüpfe aus den Schuhen und nahm den Gesichtsschleier ab. Das hatte jetzt noch gefehlt.
„Faisal ist gekommen, ist etwas passiert?“, fragte sie ihre Schwester im Vorübergehen.
„Nein, er hat hier etwas zu erledigen. Pass auf, er ist sehr wütend“, flüsterte diese zurück und drückte Sausan kurz die Hand.
Nur ruhig bleiben, sprach sich Sausan selbst Mut zu und trat mit unschuldiger Miene in das Zimmer, in dem Faisal und der Vater saßen, beide mit dicken Backen, jede Menge entblätterte Qatstängel vor sich auf dem Boden verstreut. „Friede sei mit dir, Faisal, wie geht es dir?“, begrüßte Sausan betont gelassen erst Faisal und dann ihren Vater: „Herzlich willkommen, hast du Urlaub bekommen?“
Faisal ging jedoch auf die Begrüßung nicht ein. Er war für jemenitische Verhältnisse groß und kräftig, hatte kurz geschnittene schwarze Haare und, wie die meisten Jemeniten, einen schmalen Oberlippenbart. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und angenehm, doch seine Augen zeigten keinerlei Emotionen, und wenn man ihn doch einmal lächeln sah, so war es meist Spott, der ihn dazu reizte. Jetzt blickte er Sausan streng, ja lauernd an.
„Wo bist du den ganzen Nachmittag gewesen? Was treibst du dich auf der Straße herum, du Hure?“, fragte er in herrischem Ton.
Sausan wandte sich empört an ihren Vater: „Papa, so darf er mich nicht nennen! Ich bin doch deine Tochter! Ich war mit Malika in der Stadt, wir haben Kopien für das College gemacht.“
Der Vater antwortete nicht, stattdessen fuhr Faisal mit kalter Stimme fort: „Bei Malika haben wir schon angerufen, Sausan, wir wissen Bescheid: Du warst bei Ausländern, bei Ungläubigen! Was hattest du dort zu suchen, was habt ihr getan? Alkohol getrunken? Oder hast du Männer getroffen?! Außerdem ist Malika schon seit einer Stunde zu Hause! Nun, was sagst du jetzt?“, herrschte Faisal sie an. Er war inzwischen aufgestanden und kam drohend auf sie zu.
Auch Hanna und die Mutter standen nun im Hintergrund. Einen Augenblick lang herrschte angespanntes Schweigen.
„Ich habe auf dem Rückweg noch eine Freundin auf der Straße getroffen, wir haben uns ein bisschen unterhalten. Dann bin ich gleich nach Hause gekommen“, antwortete Sausan dann vorsichtig und trat einen kleinen Schritt zurück.
Aber Faisal hatte sie schon hart am Oberarm gepackt und drückte fest zu. „Du Lügnerin. Ich glaube dir kein Wort. Ein Hündin bist du, eine Hure!“ Sausan schrie auf und ging in die Knie, doch Faisal hatte sie schon wieder losgelassen, ihr jetzt allerdings die Tasche entrissen und den gesamten Inhalt mit einem Schwung auf den Boden geleert. Dann hob er ihr Handy hoch und schaltete es an.
Bei Allah, durchfuhr es Sausan wie ein Blitz, ich habe den letzten Anruf nicht gelöscht!
In dem Moment hatte Faisal auch schon die Sms entdeckt, die Sausan an Walid geschrieben hatte. „Ruf mich jetzt an“, las er vor. „Mal sehen, wer das ist, mit dem du da eben telefoniert hast“, sagte er, und seine Stimme klang nun wieder verdächtig ruhig. Aber es schien Sausan für einen Moment, als ob sie einen Anflug von Angst in seinen Augen gesehen hätte.
Faisal wählte Walids Nummer und drückte auf die Lautsprechertaste. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis das Tuten ertönte. Innerlich flehte Sausan zu Allah, Walid möge nicht abnehmen. Doch da erklang auch schon seine vertraute Stimme: „Sausan? Hallo?“ Sausan spürte, wie ihre Knie weich wurden. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und blickte starr aus dem Fenster. Plötzlich hatte sie den Eindruck, sie sehe sich selbst und die anderen wie in einer Filmszene. Es kam ihr so unwirklich vor, als sie wie durch einen Nebel hindurch die Antwort ihres Bruders vernahm.
„Hallo, wer ist da? Ich bin der Bruder von Sausan. Wer auch immer du bist, du dreckiger Hundesohn, du wirst meine Schwester nie mehr sehen, nie mehr sprechen, hast du verstanden? Du wirst dieses Telefon nie mehr anrufen und nicht auf die Idee kommen, dich hier blicken zu lassen, sonst bringe ich dich um! Ich bringe dich um! Und was meine Schwester anbetrifft, diese Hure, die ist für dich jetzt schon tot!“
Sausan meinte, Walid stöhnen zu hören, aber da hatte Faisal das Telefon auch schon auf den Boden geschleudert und sie bei den Haaren gepackt.
„Du hast uns angelogen, schamlos angelogen, du läufige Hündin“, schrie er, und seine Stimme überschlug sich vor Erregung. Dann schleuderte er sie an den Haaren hin und her, bis Sausan plötzlich mit dem Kopf gegen die Wand donnerte. Weit entfernt hörte sie noch den erschreckten Aufschrei ihrer Schwester und Mutter, dann verlor sie das Bewusstsein.