Villa Heckel. T. D. Amrein

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Villa Heckel - T. D. Amrein Aus der Reihe Krügers Fälle

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Günther kroch aus seinem Versteck und trabte davon. Wenn er rechtzeitig zu Hause war, würde die Mutter nicht schimpfen. Dann würde niemand bemerken, dass er herumgestreunt war. Das war verboten, wie so vieles, das Günther gerne gemacht hätte.

      1. Kapitel

      Kalifornien, 1996, in der Nähe von Fresno

      Nachdenklich betrachtete Wolfgang Heckel den Brief, den er soeben erhalten hatte. Graues Altpapierkuvert, Stempelaufdrucke in Blassblau, Deutsche Post, Stadt Freiburg im Breisgau, Nachlassgericht, daneben mehrere Vermerke, schließlich seine Adresse. Die hatten ihn gefunden, einfach so.

      Dabei hatte er doch seit Frühling fünfundvierzig jeden Kontakt in die Heimat vermieden.

      Ein Kommilitone jüdischer Abstammung, der noch während des gemeinsamen Studiums in die USA emigrierte, hatte ihm damals geschrieben. Hier suchen sie Physiker, was willst du in deinem zerstörten Land, komm her. Du musst dich zu den amerikanischen Truppen durchschlagen oder ausharren, bis sie eintreffen.

      Ein amtliches Dokument, das ihm die Einreise in die USA ermöglichen würde, lag bei. Der Brief kam zur rechten Zeit. Forschung würde es in Deutschland vermutlich nicht so bald wieder geben, seine Ausbildung war dort jetzt völlig nutzlos.

      Außerdem war da noch „Die Sache“, wie er es stets in seinen Gedanken nannte.

      „Die Sache“ auch deshalb, weil er den Namen, den sie ihm nannte, gleich wieder vergessen hatte. In der Euphorie, die sich verbreitete, als der Krieg fast vorbei war, hatte er einfach eine Fremde zu einem Spaziergang eingeladen. Nie war es so leicht, gewesen, eine willige Frau zu finden, wie in diesen Tagen.

      Ohne zu zögern öffnete sie ihre Bluse, als sie ein Stück vom Dorf weg zwischen verstreut stehenden Büschen ankamen.

      Eiskalt hatte sie danach ein paar Scheine verlangt, wenn er einer Anzeige entgehen wolle, der Herr Doktor. Er kannte sie nicht. Sie dagegen, schien ihn gezielt ausgesucht zu haben.

      Wolfgang besaß kein Geld, was sie ihm jedoch auf keinen Fall abnehmen wollte. Dass sie erst sechzehn Jahre alt sei, wie sie behauptete, glaubte er ihr nicht. Er war sicher nicht der Erste gewesen.

      An den genauen Hergang konnte sich Wolfgang kaum erinnern. Plötzlich lag sie still da, er kniete auf ihr, seine Hände an ihrem Hals.

      Zuerst rannte er entsetzt weg. Dann siegte die Vernunft. Er kehrte zurück, schleppte sie in einen Graben, bedeckte sie mit trockenem Laub. Ihre Kleider verschwanden in einem Reisighaufen, den irgendjemand in der Nähe aufgeschichtet hatte.

      Wolfgang hatte darauf gehofft, dass es einige Zeit dauern würde, bis die Leiche gefunden wurde.

      Eine von vielen, die den Besatzern oder versprengten Soldaten in die Hände gefallen war, danach hätte es aussehen sollen.

      ***

      Wolfgang nahm sich die Zeit, ein Messer zu holen, sich hinzusetzen und das Kuvert in Ruhe zu öffnen. „Sehr geehrter Herr Heckel“, stand da. Wolfgang konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, die deutschen Behörden mit guten Manieren, das war doch was Neues für ihn.

      Erbsache: Frau Ottilie Heckel, Freiburg im Breisgau, Lilienberg 19, ledig. Verstorben 18.07.1996 um 03 Uhr 25 Minuten, in Freiburg im Breisgau, in genannter Wohnung.

      Also seine einzige Schwester. Wolfgang rechnete kurz, dann war sie nur 76 Jahre alt geworden.

      Das Gericht hatte weiter festgestellt, dass das Testament, das ihn zum Alleinerben bestimmte, gültig war.

      Festgestelltes Vermächtnis; ein Grundstück mit Wohnhaus und Inventar, Grundbuch Blatt… Diverse Wertpapiere gemäß separater Liste sowie ein Barvermögen von 528`498,23 DM

      Wolfgang ließ den Brief sinken. Und dreiundzwanzig Pfennig, dachte er, da war sie wieder, die deutsche Gründlichkeit.

      Das beeindruckte ihn mehr als die Summe selbst. Wolfgang hatte schon lange gelernt, dass ihm mehr Geld, als er brauchte, nichts bringen würde, außer vielleicht die Angst, es wieder zu verlieren.

      Er bezog eine absolut ausreichende Pension, das Haus war schon längst bezahlt, und seit seine Frau verstorben war, gab es auch keinen Grund mehr, jemandem etwas zu schenken.

      Schließlich las er weiter. Er wurde aufgefordert, binnen sechs Monaten persönlich beim Gericht zu erscheinen, um die Erbschaft gegebenenfalls auszuschlagen. Nach Ablauf dieser Frist würde das Erbe als angenommen gelten.

      Persönlich, überlegte er, dachten die wirklich, er würde extra vorbeikommen?

      Er las weiter: Aha. Ein mit sämtlichen notariell beglaubigten Vollmachten ausgestatteter Vertreter wäre auch eine Möglichkeit.

      Ein weiterer Hinweis, ganz zum Schluss, dass das Erbe im Fall einer Ausschlagung auf vorhandene Erben dritter Ordnung übergehen würde.

      Wer sollte das denn sein, überlegte Wolfgang. Offenbar war seine Schwester, genauso wie er, kinderlos geblieben. Sonst konnte das Testament gar nicht zustande kommen. Ihre beiden Brüder waren im Krieg gefallen, ledig, viel zu jung.

      Und er selbst war dann wohl amtlich noch am Leben, wenn er das Schreiben richtig interpretierte.

      Ob er in Deutschland wegen Mordes gesucht wurde, wie er befürchtete, blieb jedoch im Dunkeln.

      Sollte das etwa ein Trick sein, um ihn anzulocken?

      ***

      Zwei Monate später. Wolfgang hatte inzwischen dem einzigen deutschstämmigen Freund, der ihm geblieben war, von der Erbschaft erzählt.

      „Du willst dir das entgehen lassen?“, hatte Eugen entgeistert gefragt, als er durchblicken ließ, dass ihn das Vermögen nicht sonderlich interessierte.

      Wolfgang hatte mit den Schultern gezuckt. „Was soll ich damit anfangen? Ich habe doch alles, was ich brauche. Und jetzt noch nach Europa reisen, Diskussionen mit Behörden. Der ganze Stress mit den anderen Erben, die sicherlich begeistert sein werden, dass da einer aus Amerika herkommt und ihnen alles wegschnappt.“

      Eugen Ulbrich, nicht so gut versorgt wie Wolfgang, der eine großzügige Pension vom Staat bezog, hätte sich keinesfalls vorstellen können, freiwillig auf Geld zu verzichten, das man nur abzuholen brauchte.

      Schließlich hatten sie sich darauf geeinigt, dass Eugen als Vertreter nach Deutschland reisen sollte, um das Erbe anzunehmen. Selbstverständlich würde er für seine Mühe eine angemessene Provision erhalten. Auf deren Höhe hatte Wolfgang sich nicht festlegen lassen, er wollte auf jeden Fall einen Teil des Geldes gemeinnützigen Zwecken zuführen. Davon sollte es dann abhängen, wie viel der Freund erhielt. „Außerdem wissen wir noch nicht, wie lange das dauert. Es macht einen Unterschied, ob du nur ein paar Tage bleiben musst oder ob es einige Monate werden“, hatte Wolfgang lächelnd festgestellt.

      Eugen hatte eine andere Meinung gehabt, ließ sich jedoch nichts anmerken. Zu groß erschien ihm die Gefahr, dass Wolfgang den Plan im letzten Moment wieder fallenließ, wenn er widersprechen sollte.

      Für Eugen war die Provision ohnehin klar. Sie würde genau einhundert Prozent betragen, zuzüglich des Vorschusses, den er für die Reisekosten von Wolfgang erhielt. Wenn der das Geld nicht zu schätzen wusste, dann hatte

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