Coronas Zeugen. Stefan Kuntze

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Coronas Zeugen - Stefan Kuntze

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Rücken und vor allem die geringe Körpergröße nicht auffielen.

      Konrad Pfeiffer, der Erklärer auch schwieriger Zusammenhänge, so hatte der Chef ihn genannt. Der damalige Ressortleiter Kultur und Gesellschaft hatte ihn während des Empfangs auf die Seite genommen und ihm angedeutet, dass diese Ehrung der Einstieg in eine Festanstellung werden könnte. „Konrad, das ist deine Chance! Du solltest allerdings ein bisschen mit dem saloppen Ton aufpassen. Mein Nachfolger scheint mir stromlinienförmig zu sein, und der Chef hat erst kürzlich erklärt, unser Blatt müsse sein seriöses Profil betonen.“

      Unmittelbar nach der Feier begann die Recherche zur Opernsanierung, und an Sylvester hatte er mit ehemaligen Kommilitonen von der Hochschule der Medien ein phantastisches Fest gefeiert. Seine erste große Liebe war mit dabei gewesen, die großartige, kluge Ingrid mit den roten Haaren und der Traumfigur. Das neue Jahr durfte er nach atemberaubendem Sex in ihrem Bett mit einem starken Morgenkaffee und der festen Überzeugung begrüßen, dass jetzt alles besser werden würde. Zum Abschied stand sie im Bademantel an der Wohnungstür.

      „Wann sehen wir uns wieder in diesem besonderen Jahr 2020?“

      Sie war immer noch so zielstrebig und direkt wie in ihren Studentenzeiten. Hatte er sich deshalb damals nicht getraut, ihr seine Liebe zu erklären? War er so ein Feigling? „Bald, Ingrid, ganz bald. Es hat mich sehr gefreut, dich wieder zu sehen.“ Was für eine dämliche und nichtssagende Floskel. ‚Du bist eine Pfeife, mein lieber Pfeiffer‘, beschimpfte er sich selber, als er das Haus in der Urbanstraße verlassen hatte.

      Ingrid Graser und er kannten einander seit dem ersten Semester an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Konrad war bis über beide Ohren in die stattliche rothaarige Schönheit verliebt gewesen. Erst kurz vor den Prüfungen hatte er ihr seine Liebe gestanden. Es war zu spät gewesen. Ihre Wahl war auf einen Lokalredakteur der Frankfurter Rundschau gefallen, der an der Hochschule ein Seminar angeboten hatte. Sie war mit ihm nach Frankfurt gegangen und hatte dort Karriere gemacht. Seit ihrer Scheidung im Herbst des letzten Jahres lebte sie wieder in Stuttgart und sie war frei! Er musste sich endlich trauen!

      Über ihre beruflichen Wege hatten sie an Sylvester natürlich auch gesprochen. Als Journalistin hatte Ingrid Erfolg und arbeitete jetzt auf einer Stelle als regelmäßige Kolumnistin des Wochenendmagazins der beiden Stuttgarter Zeitungen. Die großen Verlage interessierten sich für ihre Arbeit. Ihr wurden Angebote gemacht, von denen er nur träumen konnte. Als freier Journalist war er von der allgemeinen Marktlage abhängig. Und die war zurzeit denkbar schlecht. Das hatte er natürlich nicht erzählt.

      Wie sollte es weitergehen? Im Februar begann die allgemeine Unsicherheit über ein neues Virus, eine Art chinesische Seuche. Im Magazinverlag war keine Rede mehr von einem Vertrag. Sein Freund war im Ruhestand, und der neue Ressortleiter hatte bis zu dem Anruf nichts von sich hören lassen. Er seufzte. Eine dauerhafte Beziehung mit Ingrid wäre der Beginn eines neuen Lebens, aber solange er nicht wirklich auf eigenen Beinen stand, gönnte er sich nicht mehr als gelegentliche Treffen.

      „Du bis viel zu ängstlich, so kenne ich dich gar nicht“, hatte sie ihm nach der stürmischen Nacht ins Ohr geflüstert, bevor er aufbrach. Er selber kannte sich aber so! Von ihrer Wohnung bei der Friedenskirche wanderte er in Richtung des nicht weit entfernten Eugensplatzes. Leichter Regen hatte eingesetzt. Im Zentrum des Kreisverkehrs, zu dem sich die Kernerstraße im unteren Drittel erweitert, ragte die silberglänzende Metallskulptur des Bildhauers Erich Hauser wie ein erstarrter Blitz in den Himmel. Sei zielstrebig, optimistisch und stark, so verstand Konrad ihre Botschaft. ‚Lass dich davon inspirieren‘, sagte er halblaut zu sich selber.

      Am Schützenplatz wechselte er die Straßenseite. „Idiot!“ Erschrocken wich er einem Radfahrer aus, der ihm auf dem Gehweg in hohem Tempo entgegenfuhr. Der junge Mann bremste scharf und streifte den Kotflügel eines geparkten Mercedes, bevor er zum Stehen kam. „Was bist du für eine Trantüte? Schau nach vorne, wenn du in der Stadt unterwegs bist.“ Er musterte kurz den Kratzer an dem Auto. „Hui, eine S-Klasse, Sechszylinder. Das hat sich gelohnt.“

      Er grinste Konrad an. „Daran bist du schuld!“

      „Wie bitte? So eine Frechheit! Sie dürfen auf dem Gehweg gar nicht fahren. Und außerdem hätten Sie fast mich auch noch erwischt.“

      „Leck mich doch, du Kleinbürger. Wir Selberlenker lassen uns von kleinlichen Verkehrsregeln in unserer Freiheit nicht einschränken. Pass halt besser auf! Und den Bonzen, die solche Schlitten fahren, denen geschieht es gerade recht.“ Er stieg wieder auf den Sattel und verschwand talwärts.

      Konrad betrachtete den Schaden am Lack. Wer dafür verantwortlich war, lag auf der Hand, natürlich dieser komische Typ. Aber was änderte das? Trotzdem fühlte er sich irgendwie selber schuldig. Er nahm seinen Weg wieder auf und ärgerte sich über seine Gefühle. Regeln und Gesetze galten offenbar für manche Leute nicht. Selberlenker, dachte er, was für ein Unsinn!

      Am Morgen des 15. April verließ er seine Wohnung sehr früh, um keinesfalls den Termin zu verpassen. Er wollte nicht durch Unpünktlichkeit auffallen. Die Redaktion des Magazins befand sich im Stuttgarter Tagblattturm, dem ersten Stahlbetonhochhaus Deutschlands. Der Bau mit den auf allen Ebenen die ganze Breite ausfüllenden Fensterbändern ist Zeugnis einer Zeit, in der die Stadt mit ihrer Architektur die Moderne prägte. Konrad hatte zu dessen 90-jährigem Jubiläum im Jahr 2018 einen flammenden Appell zum Erhalt der Denkmäler des Neuen Bauens geschrieben, den der alte Ressortleiter gerne zitiert hatte, wenn er von der Abrissbarbarei in der Stadt sprach, was er oft getan hatte.

      Beim Betreten des Großraumbüros im achten Stockwerk deutete die junge Dame am Empfang dezent auf den Teil ihres Gesichts, an dem unter einer bunten Designermaske der Mund verborgen sein musste. Wie peinlich! Konrad hatte vergessen, eine Maske einzustecken. Die waren hier im Verlag besonders vorsichtig und verlangten die Dinger sogar von Besuchern. Das hatte ihm das Büro gestern noch mitgeteilt. Er fand das richtig. Wer die täglichen Meldungen des Robert-Koch-Instituts verfolgte, musste erkennen, dass das Land von einer bisher nicht gekannten Gefahr bedroht war. Ein neues Wort war über Nacht in aller Munde: Pandemie.

      Warum die Bundesregierung sogenannte Alltagsmasken als nutzlos bezeichnete, konnte Konrad nicht verstehen. Zu Recht plante die Landesregierung die Einführung einer allgemeinen Maskenpflicht für den öffentlichen Nahverkehr und Einkaufsgeschäfte, die öffnen durften. Allerdings wusste niemand, wo er diese Mund-Nasen-Bedeckung, wie sie offiziell hieß, bekommen konnte. Viele Menschen begannen, aus Stoffresten selber welche herzustellen. Im Internet fand man Bastelanweisungen und gute Ratschläge.

      Er lächelte die Dame entschuldigend an. Man war hier auf solche Besucher vorbereitet, denn ohne, dass er etwas gesagt hätte, reichte sie ihm eine blaue Einmalmaske. „Guten Morgen, Herr Pfeiffer. Der Ressortleiter erwartet Sie. Sie finden ihn ganz hinten rechts im Raum 8.08.“ Sie schenkte ihm ein professionelles Lächeln und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.

      Als er im September das letzte Mal hier angekommen war, hatte ihn der Ressortleiter gleich am Eingang mit den Worten „Na, alter Junge, wir haben uns lange nicht gesehen!“ begrüßt und ihn vor der Feierstunde in sein winziges Büro gelotst. Dort fläzte er sich auf den Drehstuhl und legte seine Füße wie in amerikanischen Filmen aus den Fünfzigerjahren auf den mit Papieren überladenen Schreibtisch. „Komm, wir trinken erst mal einen auf deinen Erfolg!“

      Sein Nachfolger saß in einem größeren Büro mit Blick auf den bewaldeten Höhenzug in Richtung Degerloch. Sein Schreibtisch war groß und leer bis auf eine dünne Mappe und eine Biedermeiervase mit bunten Tulpen. „Kommen Sie herein, Herr Pfeiffer. Es freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.“

      Konrad nahm vorsichtig auf einem modernen Besucherstuhl Platz. „Vielen Dank. Auch für Ihren Anruf. Ich weiß das sehr zu schätzen. Es ist in diesen Zeiten nicht einfach, als selbständiger

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