Coronas Zeugen. Stefan Kuntze

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Coronas Zeugen - Stefan Kuntze

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setzen wir uns doch zusammen an den Besuchertisch am Fenster.“ Konrad nutzte die Unterbrechung, um den Mann in Augenschein zu nehmen.

      Er mochte so alt sein wie Konrad selber. Die kurzen Haare waren akkurat geschnitten. Er trug einen Anzug undefinierbarer Farbe, der nach Boss oder Armani aussah und locker und leger wirkte. Im offenen Hemdkragen war ein dezentes burgunderrotes Tuch drapiert. Das eckige Gesicht strahlte Professionalität und eine gewisse Härte aus. Er trug keine Maske.

      „Darf ich Ihnen einen Kaffee bringen lassen?“

      „Nein, danke. Ich …“

      „Also gut, kommen wir gleich zur Sache. Wir möchten Ihnen gerne einen Vorschlag machen.“

      In Konrads Ohren klang das, als hätte er „den Sie nicht ablehnen können“ hinzugefügt. Das hätte der Wahrheit entsprochen. Er musste nach jedem Strohhalm greifen. Sogar über die Richtlinien des städtischen Tierheims würde er schreiben, wenn jemand dies bezahlte.

      „Das freut mich sehr. Zu welchem Thema wünschen Sie etwas? Sie kennen sicher meine bisherigen Arbeiten und wissen, in welchen Bereichen ich mich auskenne.“

      „Allerdings, deshalb möchte ich auch persönlich mit Ihnen sprechen. Übrigens, hier drin können sie ihren Mund-Nasen-Schutz gerne abnehmen. Manche Menschen fragen sich sowieso, ob er etwas nützt. Aber wie dem auch sei, wir wollen ein ganz aktuelles Thema aufgreifen.“

      „Meinen Sie Corona?“

      „Ja, schon, aber nicht so simpel. Die Pandemie spielt eine Rolle. Es geht allerdings weder um Medizin noch um Virologie, eher um ein gesellschaftspolitisches Thema.“

      „Für Virologie wäre ich kaum der Richtige.“

      „Das wissen wir. Nein, uns interessiert etwas anderes. Etwas, das in mein Ressort passt. Und auch Ihr Steckenpferd, das Recht, spielt mit hinein.“ Er machte eine Pause und blickte versonnen auf seine Hände. „Wir beobachten in diesen Frühjahrstagen einen Riss in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen kritisieren die politischen Entscheidungen und die Corona-Verordnungen nicht nur, sondern sie lehnen sie auf eine radikale Weise ab. Man bekommt den Eindruck, dass diese Kritik teilweise berechtigt sein könnte. Das wollen wir ergründen.“

      „Sie denken, das geht tiefer, oder was meinen Sie mit dem Riss?“

      „Das meine ich allerdings! Es gibt keinen Austausch mehr, sondern nur Konfrontation und Ablehnung. Vor allem von den Kritikern der Kritiker. Also, um es kurz zu machen. Wir brauchen eine Geschichte, besser eine Analyse über Menschen, die …“

      Konrad war von seinem Stuhl aufgesprungen. „Wollen Sie sich etwa mit den grassierenden Verschwörungsmythen beschäftigen?“

      „So ist es! Ich ziehe allerdings den Begriff Verschwörungstheorien vor. Es gibt genügend Kritikpunkte an vielen Maßnahmen, die einer Überprüfung wert sind. Was ich mir vorstelle, ist eine Zusammenstellung dessen, was in den verschiedenen Kreisen gesagt wird und wie das unsere Gesellschaft verändert. Sie kennen das Profil unserer Zeitschrift, das wir noch ein wenig seriöser gestalten wollen. Dafür und für die Interessen unserer Leserklientel benötigen wir eine Analyse, die das alles abklopft und nicht in Verurteilungen und Plattitüden abgleitet. Immerhin gibt es zahlreiche besorgte Bürger, deren Anliegen man ernst nehmen sollte.“

      „Naja, es wird viel Seltsames vertreten. Und die Radikalen der verschiedenen Richtungen, die sich den Kundgebungen und Demonstrationen anschließen, das erscheint mir durchaus problematisch.“

      „Das mag schon sein, aber ich lege Wert auf eine Analyse ohne Vorverurteilungen und vor allem“, er legte beide Hände auf den Tisch und sah Konrad direkt in die Augen, „kein falscher Humor! Ich weiß, dass Sie ganz passable Satiren schreiben können. Bei diesem Text möchte ich so etwas nicht sehen. Dazu sind die Anliegen der Bürger zu ernst. Ach, und noch etwas: Wir möchten den Text in Heft 3 bringen.“

      „Sie brauchen also ein Manuskript bis spätestens Mitte Mai?“

      „So ist es. Am 17. Mai sollten wir es haben. Man erzählte mir, Sie seien von der schnellen Truppe, wie man so sagt. Das schaffen Sie bestimmt. Sie haben ja offenbar die Osterferien nicht zu einer Reise genutzt. Da ergibt sich genügend Zeit.“

      „Äh, ja, einen Urlaub kann ich mir nicht leisten, und ich wüsste auch nicht, wohin man reisen könnte.“

      „Schön, dann sind wir uns einig. Ich bin gespannt, wie Sie das Thema aufbereiten. Vielleicht kommen wir ja noch öfter zusammen.“ Der Ressortleiter stand auf und zog seine Hose zurecht. „Lassen Sie sich vorne von Lisa die Liste mit den Internetadressen geben, die unser Team zusammengestellt hat.“ Er verneigte sich leicht. „Enttäuschen Sie den Verlag und auch mich persönlich nicht! Auf Wiedersehen, Herr Pfeiffer.“

      Konrad schob seine Maske wieder zurecht und verließ das Redaktionsbüro. Vor der Tür steckte er den Lappen in die Hosentasche. Es hätte schlimmer kommen können. Die Aufgabe war interessant und wenn er keine Satire schreiben sollte, was soll’s? Allerdings schien der Neue manchen Verschwörungsgeschichten nahezustehen. Und etwas schnöselig war er auch. Vorsicht war also geboten. Er hatte eine Chance, und er ergriff sie.

      Der Auftrag war eigentlich interessant und wahrscheinlich auch gut zu erfüllen. Verschwörungsgeschichten wurden hauptsächlich von denen verbreitet, die sich auf den sogenannten Hygienedemonstrationen tummelten. Eine Analyse von dort vertretenen Halbwahrheiten, Lügen und Verdrehungen konnte er in kurzer Zeit leisten. Für Konrad waren viele Demonstranten Fehlgeleitete, vielleicht Naivlinge, die man mit den Fakten konfrontieren musste. Dann würden sie schon aufhören. Vielleicht könnte er sogar dazu beitragen, dass einige von ihnen ihre Haltung änderten. ‚Übernimm dich nicht!‘ ermahnte er sich innerlich und verließ den Tagblattturm in Richtung Eberhardstraße.

      Ingrid wollte er erst von dem Auftrag erzählen, wenn er sicher war, dass ihm ein richtig guter Text gelingen würde. Er wollte Erfolge vorweisen und nicht als arme Kirchenmaus neben ihr, der angesehenen Journalistin, stehen. In dem neuen Kaffeegeschäft in der Eberhardstraße, ganz nah beim Tagblattturm, gönnte er sich einen vietnamesischen Kaffee, der würzig und exotisch schmeckte.

      Donnerstag, 16. April 2020

      Die Anzahlung, die er dem Verwaltungschef des Verlags hatte abringen können, sicherte ihm das Überleben für die nächsten Wochen. Konrad versuchte, sich nicht davon lähmen zu lassen, dass er Geld bekommen hatte, ohne eine Zeile geschrieben zu haben. Er wollte sein Leben wieder in die Spur bringen, und er wollte sich über seine Beziehung zu Ingrid klar werden.

      Dieses eine Projekt würde helfen, etwas Selbstbewusstsein zu gewinnen, zu mehr konnte es nicht ausreichen. In den letzten Wochen hatte er ohne richtigen Plan in den Tag hinein gelebt. Eigentlich sogar schon länger. Damit war jetzt Schluss! Irgendwann mussten Enttäuschung und Frust überwunden sein.

      Anna hatte ihn kurz nach seinem 40. Geburtstag verlassen. Er sei zu weich und klammere sich an sie, was ihr die Luft abschnüre, hatte sie in einem nüchternen Abschiedsbrief auf seinem Küchentisch hinterlassen. Nach dem Schock hatte er eine hektische Betriebsamkeit entwickelt, aber bis zur Silvesternacht waren alle Bemühungen um eine Nachfolgerin erfolglos geblieben. Vielleicht hatte Anna recht gehabt. Er traute sich Frauen gegenüber nicht viel zu, und seine Angst vor Verlust war ein schwaches Fundament für Beziehungen.

      Konrad versuchte, sein Laptop zu starten. Der Bildschirm blieb schwarz. Verdammt, jetzt streikte sogar dieses neue Gerät. Nach weiteren fruchtlosen Versuchen packte er die Kiste ein und verließ schlecht gelaunt die Wohnung. In dem Computerladen am Wilhelmsplatz,

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