Coronas Zeugen. Stefan Kuntze

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Coronas Zeugen - Stefan Kuntze

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hatte viel Arbeit vor sich.

      Samstag, 18. April 2020

      Es war wie ein Ritual. Samstags ging Konrad nach einem kurzen Frühstück zu Fuß in die Stadt auf den Wochenmarkt. Er liebte diese Institution, die Landwirte, Händler und Gärtnereibetriebe aus der Region dreimal in der Woche mitten in der Großstadt mit Leben erfüllten. Wie immer trug er die eckige Korbtasche mit den schmalen Lederhenkeln, die er vor Jahren bei einem Korbflechter im Kinzigtal erworben hatte. Ein leerer Eierkarton und mehrere Tüten steckten darin.

      Auf dem Karlsplatz war der martialische preußische König und erste deutsche Kaiser Wilhelm auf seinem Ross inmitten der vier Obelisken kaum noch zu sehen, weil um seine erhöhte Plattform herum das allsamstägliche Flohmarktgeschehen brodelte. Niemand schenkte dem Monarchen wider Willen Beachtung. Tauben kackten auf seinen Pickelhelm.

      Trotz der Uhrzeit herrschte reger Betrieb. Aus dem Wagen am Rand der Freifläche verbreitete die Fritteuse den Duft der ersten Falafel-Bällchen. Konrad lief das Wasser im Mund zusammen. Am Stand des Spielzeughändlers, der Märklin-Eisenbahnen aus den 1930er Jahren anbot, konnte er nicht vorbeigehen. Wenigstens einmal wollte er die wunderschöne grüne E-Lok RV12890 in die Hand nehmen, die er sofort erspäht hatte. Sie wurde das ‚kleine Krokodil’ genannt, und mit ihrer einzelnen Lampe in der Front sah sie freundlich und geschäftig aus.

      Wenn es wirtschaftlich wieder bergauf ging, würde er sich ein solches Modell leisten. „Super Zustand“, murmelte er. Der Mann mit dem Pferdeschwanz taxierte ihn kurz. „Mit dem Preis kann ich Ihnen etwas entgegenkommen.“ „Ich überleg‘s mir“, antwortete Konrad, als er das wertvolle Teil vorsichtig wieder abstellte. Der Händler zuckte mit den Schultern.

      Ausgedehnte Flächen des mit kleinen Kopfsteinen gepflasterten Platzes zwischen den Kastanienbäumen waren mit mehr oder weniger echten Orientteppichen bedeckt, die dem Areal den Charakter eines riesigen Wohnzimmers verliehen. Früher hatte Konrad noch eine gewisse Scheu verspürt und diese bunten Flächen sorgsam umrundet. Im Laufe der Jahre hatte er begriffen, dass das Darübergehen als allgemein anerkannte Prüfung diente, ob die Teppiche robust und wertvoll waren.

      Zwischen dem Alten Schloss und der im kraftvollen Stuttgarter Jugendstil unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg fertiggestellten Markthalle wanderte er zum Schillerplatz, auf dem Blumen- und Gemüsehändler ihre Stände betrieben. Er hatte sich zu lange auf dem Flohmarkt aufgehalten. Auf dem Platz rund um das Standbild des großen Klassikers wuselten Hunderte von Menschen. Vor den Ständen drängten sich ungeduldige Käuferinnen und Käufer in langen Schlangen.

      Konrad übte sich in Geduld, bis er Salat, Äpfel und jungen Spinat in seinen Korb packen konnte. Die Wartezeit vertrieb er sich mit einer ausgiebigen Betrachtung dieses geschlossenen Ensembles aus der Stuttgarter Vergangenheit. Zwischen Stiftskirche, Fruchtkasten, Alter Kanzlei und dem einer mittelalterlichen Burg nachempfundenen Alten Schloss bekam man eine Ahnung von der Pracht der Stadt im 17. Jahrhundert, als die Renaissance den Baustil der Herrschenden prägte und die württembergischen Herzöge sich einen Baumeister Schickhardt leisteten.

      Erst als er den Torbogen des Durchlasses in Richtung Schlossplatz erreichte, fiel ihm ein, dass das Tabakgeschäft im Königsbau aufgrund der Corona-Verordnung geschlossen war. Er wollte gerade umdrehen, als er Musik und – nach einem heftigen Rauschen der Verstärkeranlage – einen Redner hörte. Ach ja, für heute war eine dieser Demonstrationen angesagt gewesen. Er nahm seinen Korb und näherte sich dem Grüppchen.

      „Wir sind hier, weil wir uns die Freiheit nicht stehlen lassen. Wir nehmen unser Grundrecht wahr und lassen uns nicht einschüchtern. Wir denken selber und wissen, dass wir unterdrückt werden sollen. Das lassen wir uns nicht gefallen. Wir sind das Volk!“ Beifall brandete auf.

      Was war das denn? Konrad hatte von den Selberdenkern gehört, aber hatte das Ordnungsamt die heutige Kundgebung nicht untersagt? Wegen zu großer Ansteckungsgefahr. Wieso griff niemand ein? An der Bushaltestelle unter der Hermessäule standen ein paar Polizeifahrzeuge. Drei Beamte lehnten an einem Straßenschild und blickten gelangweilt in Richtung der etwa 50 Menschen, die dem Redner zuhörten.

      „Sie sprechen von Rechtsstaat“, fuhr der Redner fort, „und was tun sie? Sie verbieten uns die Ausübung des Versammlungsrechts, das zu den kompli…, äh,“ er nahm einen Zettel von der Unterlage „zu den konstituierenden Rechten des Grundgesetzes gehört.“ Der breitschultrige Mann legte das Papier, aus dem er vorgelesen hatte, auf das Rednerpult zurück. Er trug ein helles T-Shirt, auf dem ein großes, rotes Herz aufgedruckt war.

      Konrad hatte die Gruppe erreicht und stellte sich auf die Treppenstufen unter der Arkade bei dem Bankgebäude an der Ecke zur Königstraße. In der Menschentraube trug niemand eine Maske. Die in der Corona-Verordnung vorgeschriebenen Abstände wurden nicht eingehalten. Die Menschen standen dicht gedrängt. Wieso griff eigentlich die Polizei nicht ein? Eine Pflicht, die nicht durchgesetzt wurde, war nichts wert. Soweit er sich erinnerte, nannten Juristen so etwas Vollzugsdefizit. Er fand es gefährlich und vergrößerte den eigenen Abstand zu den Demonstranten.

      Im Hintergrund wehte eine schwarz-weiß-rote Fahne. Vorne rechts stand ein dicklicher Herr im Anzug mit langen blonden Haaren und einem roten Gesicht. Er kam Konrad bekannt vor, aber er konnte sich nicht erinnern woher. Der Mann reckte ein weißes Papier zwischen den erhobenen Armen in die Höhe. ‚Gebt uns unser Recht zurück!‘, stand in wackeliger Schrift darauf. Weiter hinten hielt eine Frau im langen, bunten Strickrock ein Plakat mit der Aufschrift: ‚Masken töten unsere Kinder!‘ Neben ihr erkannte er mehrere Menschen in Kleidung aus Naturwolle und Leinen. Eine türkisfarbene Fahne wehte über ihnen. Sie trug die Aufschrift: ‚Impfen tötet, Mr. Gates!

      Der Redner griff den Faden wieder auf mit den Worten „Wir wollen nichts Unrechtes. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Dank sei unserem Anwalt, dem Frank Bauer. Ich sage euch, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir wollen Liebe und Freiheit, mehr brauchen wir nicht. Weg mit der Corona-Diktatur!“

      Die bunte Versammlung wiederholte vielstimmig und lautstark: „Weg mit der Corona-Diktatur!“ In der hintersten Reihe waren Plakate zu sehen, die die Bundeskanzlerin, den Vizekanzler und den Gesundheitsminister in Häftlingskleidung zeigten.

      „Merkel muss weg! Nieder mit der Merkel-Diktatur“, schallte es von dort.

      Der Verstärker war hochgefahren worden. Die Stimme klang metallisch. „Und allen Mainstreamjournalisten, den Speichelleckern der Regierung und der Pharmaindustrie sagen wir: Wenn ihr nicht die Wahrheit berichtet, habt ihr bei uns nichts zu suchen. Liebe Freunde, ich verlange von Journalisten bei meinen Veranstaltungen die Unterschrift unter eine entsprechende Erklärung. Ich bestehe auf der Wahrheit. Wir lassen uns nicht verleumden!“

      „Lügenpresse! Lügenpresse!“, antwortete die Versammlung.

      „Wir kämpfen für Freiheit und Liebe, aber wir tun es mit Anstand und Kultur. Deshalb freue ich mich ganz besonders auf den nächsten Beitrag. Begrüßt mit mir Herrn Dr. Adam Wulf, den musikalischen Medizinexperten!“

      Konrad wollte sich gerade verdrücken, als von der Bühne Gitarrenakkorde erklangen. „Liebe Selberdenker, ich danke Frieder Welte für die Einladung. Als Arzt habe ich tagtäglich mit Krankheiten, Bakterien und Viren zu tun. Und ich sage euch, was diese Bundesregierung veranstaltet, das ist unverantwortlich. Wegen eines Virus sperren sie das ganze Volk ein und berauben uns der Freiheit. Dabei kann dieses Virus nicht mehr als ein stinknormales Grippevirus. Sie glauben einem Virologen, der überall Gefahren wittert und ständig ‚Alarm, Alarm!‘ schreit. Solche Warner brauchen wir nicht, wir denken selber.“

      „Selber denken! Selber denken!“, antwortete der Chor der Kundgebungsteilnehmer.

      Der

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