Sie war meine Königin. Janina Hoffmann

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Sie war meine Königin - Janina Hoffmann

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erwartest du etwa, dass ich einfach aufstehe und allen anderen mitteile, ich müsse jetzt leider nach Hause, weil meine hysterische Frau sonst durchdreht?“

      „Du bist herzlos“, schniefte meine Mutter. „Herzlos und gemein.“ Dann nach einer kurzen Pause: „Wie heißt sie?“ Als mein Vater nicht darauf antwortete, wiederholte meine Mutter in einem unangenehm keifenden Tonfall: „Wie sie heißt, habe ich dich gefragt! Und ist es wieder so eine Junge wie beim letzten Mal?“ Weinend fuhr meine Mutter fort: „Ist es wieder so ein blutjunges Ding, mit dem du mich betrügst?“ Mein Vater dachte offenbar nicht daran, sich weiter an dem Gespräch zu beteiligen. Meine Mutter flehte: „Bitte sprich mit mir, Konrad! Bitte, bitte, sprich mit mir! Sag mir, was ich anders machen soll, damit du nicht mehr zu anderen Frauen gehst. Sag mir, wie ich dich glücklich machen kann.“

      Das Geräusch der Schlafzimmertür, die energisch geschlossen wurde, und Schritte auf dem Flur verrieten mir, dass mein Vater in dieser Nacht nicht zum ersten Mal in einem der Gästezimmer schlafen würde.

      Nach solchen Vorfällen kam mir meine Mutter jedes Mal wie ein Roboter vor, was sicherlich daran lag, dass sie, um mit der erniedrigenden Situation fertigzuwerden, irgendein Beruhigungsmittel einnahm. Sie stand pflichtbewusst auf wie immer, saß mit uns am Frühstücktisch, während mein Vater sein Gesicht hinter einer seiner Zeitungen verbarg, schmierte Schulbrote für Melissa und mich und bestand wie immer darauf, meine Schwester und mich, wenn es Zeit war, zur Bushaltestelle aufzubrechen, bis an die Straße zu begleiten, von wo sie uns nachsah, bis wir die Bushaltestelle, die sich in Sichtweite von unserem Grundstück befand, erreichten und in den Bus, der einige Minuten später eintraf, einstiegen. Während der ganzen Zeit hatte meine Mutter jedoch einen leeren Blick und einen traurigen Gesichtsausdruck. Oft legte sie sich an solchen Tagen, nachdem sie gemeinsam mit Melissa und mir zu Mittag gegessen hatte, wobei meine Mutter die meiste Zeit in dem von der Haushälterin zubereiteten Essen herumzustochern pflegte, statt es zu sich zu nehmen, ins Bett. Der Haushälterin, meiner Schwester und mir teilte sie nur mit, sie fühle sich nicht wohl und müsse sich dringend ausruhen. Mir als dem Älteren trug sie auf, darauf zu achten, dass meine Schwester und ich sorgfältig unsere Hausaufgaben erledigten, bevor wir spielen gingen. Dann stand sie vom Esstisch auf und begab sich wie eine Schlafwandlerin in den ersten Stock, wo sich das Schlafzimmer meiner Eltern befand. Unsere Haushälterin Frau Hubertus, zu der Zeit eine etwa fünfzigjährige Frau, die stets dieselbe Jeans und dazu einen ihrer drei Pullover trug, sah unserer Mutter mit einem vielsagenden Blick nach, bevor sie Melissa und mir mit den aufmunternden Worten Mut zu machen versuchte: „Wenn ihr bei euren Hausaufgaben was nicht versteht, könnt ihr ruhig mich fragen. Ich weiß nicht, ob ich euch helfen kann, aber ich versuch‛s.“

      Melissa nahm es stets genauso sehr mit wie mich, wenn bei uns der Haussegen schief hing und meine Mutter sich in dieser beunruhigend melancholischen Stimmung befand. Im Sommer 1984, als sich mein Leben schlagartig änderte, war meine Schwester acht und ich neun Jahre alt. Nach Melissas Ansicht waren wir fast Zwillinge und sollten gleichrangig behandelt werden, doch ich bestand darauf, dass ich ihr älterer Bruder sei, entsprechend respektiert werden müsse und bestimmen dürfe, was gemacht wurde. Ich mochte meine Schwester. Es war vermutlich etwas ungewöhnlich, wenn ein neunjähriger Junge so von seiner Schwester dachte, und ich bemühte mich daher, Melissa stets mit einer gewissen Herablassung zu behandeln, genauso wie es mein Vater gegenüber meiner Mutter tat. Doch ich mochte meine Schwester. Ich mochte sie wirklich. Und nur deshalb ließ ich mich an Tagen wie diesen, an denen meine tieftraurige Mutter nicht mehr die Energie aufbrachte, sich um meine Schwester und mich zu kümmern, dazu herab, nach den Hausaufgaben mit Melissa ihr Lieblingsspiel zu spielen: „Prinzessin und Aristokrat“. Es war ein völlig dämliches Spiel, das sich meine Schwester selbst ausgedacht hatte. Sie spielte natürlich die Prinzessin. Dafür zog sie ein langes Rüschenkleid aus einem rosafarbenen glänzenden Stoff an, das sie zwei Jahre zuvor beim Fasching getragen hatte und ihr nun bereits etwas zu klein war, positionierte eine goldfarbene Krone aus irgendeinem billigen Leichtmetall auf ihrem Kopf, nachdem sie ihr langes dunkelblondes Haar sorgfältig gebürstet hatte, hängte sich ihre „Prinzessinnentasche“ - eine kleine Handtasche aus türkisfarbenem Kunstleder, die mit vielen bunten Glassteinen verziert war - um, und nahm auf einem rosafarbenen Kinderstuhl Platz, den sie auf ihr Bett gestellt hatte und der ihren Thron darstellte. Bei der ganzen Vorbereitungsprozedur durfte ich nicht dabei sein, sondern wurde erst gerufen, wenn es für Melissa Zeit war, auf ihr Bett zu steigen und sich auf ihren Thron zu setzen. Ich hatte mir derweil eine Wildlederweste – Teil des Kostüms einer Faschingsfeier, bei der ich als Cowboy gegangen war – über mein Oberteil übergezogen und trug den dazugehörigen Cowboyhut, da dies die mir verfügbaren Accessoires waren, die einer Aristokratenkleidung meiner Ansicht nach am nächsten kamen und Melissas vollste Zustimmung fanden.

      Meine Schwester spielte also die heiratswillige Prinzessin und ich den Aristokraten, der aus einem fernen Land angereist war, um um ihre Hand anzuhalten. Dabei war es nicht damit getan, sie einfach zu fragen, ob sie mich heiraten wolle. Nein, erst einmal musste ich diverse Quizfragen beantworten, die meine Schwester auf ihrem Thron sitzend den Karten eines Gesellschaftsspiels entnahm und in würdevollem Tonfall verlas. Hatte ich zumindest einige der Fragen richtig beantwortet, musste ich der Prinzessin, um ihre vollständige Zuneigung zu erlangen, Geschenke machen. Das waren dann irgendwelche Sachen, die ich aus meinem Zimmer anschleppte und gegenüber der Prinzessin anpries, bis sie irgendwann endlich einwilligte, meine Frau zu werden, von ihrem Thron herabstieg und mich innig umarmte. Bis dahin konnte ein ganzer Nachmittag vergehen. Ich hasste dieses Spiel und war jedes Mal froh, wenn es wieder einmal überstanden war. Aber Melissas glücklicher Gesichtsausdruck, nachdem die Prinzessin endlich ihren Bräutigam gefunden hatte, verleitete mich dazu, mich stets aufs Neue dazu überreden zu lassen, den verliebten Aristokraten zu mimen.

      Es konnte einige Tage dauern, bis meine Mutter ihr Tief überwunden hatte. Anschließend war sie dann geradezu euphorischer Stimmung und bestand darauf, gemeinsam mit Melissa und mir etwas Schönes zu unternehmen. Meistens fuhren wir dann, da meine Mutter keinen Führerschein besaß, mit dem Bus in die Stadt, streiften durch die Geschäfte und gaben jede Menge Geld aus. Meine Mutter investierte dabei gern in ihre Schönheit und erstand diverse Kosmetikartikel, während Melissa und ich uns Spielsachen aussuchen durften und manchmal auch komplett neu eingekleidet wurden.

      An einem Tag zu Beginn der Sommerferien wollte meine Mutter einem gerade neu eröffneten Friseursalon gemeinsam mit meiner Schwester und mir einen Besuch abstatten. Normalerweise ließ sie sich in einem teuren Salon in der Großstadt frisieren, doch nun gab es seit einigen Wochen in unserem Vorort einen Salon mit dem Namen „Engelshaar“, und einige Mitglieder des Diskussionskreises, den meine Mutter besuchte, hatten bereits angekündigt, sich dort frisieren lassen zu wollen. Die Besitzerinnen des Friseursalons waren nach Auskunft der Diskussionskreismitglieder zwei italienische Schwestern, die angeblich ein bisher unbekanntes, modernes Flair verbreiten. Wer wie meine Mutter dem neuesten Trend folgte, musste also unbedingt Kundin im Salon „Engelshaar“ werden.

      Melissa wollte, als sie von dem anstehenden Friseurbesuch erfuhr, zunächst nicht mitkommen. Sie hatte von allen Mädchen an der Schule nämlich die längsten Haare, und das sollte unbedingt so bleiben. Erst als unsere Mutter ihr versprach, dass nicht mehr als zwei Zentimeter abgeschnitten würden, willigte sie schließlich ein. Von meiner eigenen Haarlänge konnte ich durchaus mehr entbehren. Mein Schopf war inzwischen so lang, dass mir der Rundschnitt fast bis zu meinem Kinn reichte, was zu der Zeit langsam unmodern wurde. Leider hatte ich nicht nur die hellbraunen Augen, sondern auch den rotblonden Haarton von meiner Mutter geerbt. Letzterer brachte mir an der Schule den Spitznamen „Karottenkopf“ ein, was mich dermaßen störte, dass ich bereits ernsthaft darüber nachgedacht hatte, meine Mutter zu bitten, mir eine Haarfärbung zu spendieren. Vermutlich wegen meiner unliebsamen Naturhaarfarbe machte ich mir wie Melissa nicht viel aus Friseurbesuchen, weshalb mein Haarschnitt einen so vernachlässigten Eindruck machte. Außerdem war mir die durch die ständig laufenden Trockenhauben und Föhne stickige Luft im Friseursalon zuwider, genauso wie der Geruch nach Haarspray und Färbemitteln, der mich dort umgab. Dazu kam noch das angeregte Geschnatter der Kundinnen mit den Friseurinnen über die unwichtigsten Dinge, denn leider musste

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