Todesvoting. Karin Szivatz

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Todesvoting - Karin Szivatz

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Damit war der Hintergrund ihrer Seitensprünge und Affären geklärt, jedoch nicht der Hintergrund ihrer Entführung. Hans bedankte sich bei Toby und verspürte bei der Verabschiedung noch immer dieses wohlbekannte, leichte Kribbeln im Schritt. Das sexuelle Versagen des Ehemannes hatte ihm ein Gefühl der Überlegenheit gegeben und somit auch schon wieder den Tag versüßt. Bestens gelaunt verließ er das schmucke Vorstadthaus mit dem gepflegten Garten und fuhr zurück ins Dezernat um dort seinen Bericht über diese Befragung zu verfassen

      .

      „Darf ich dich etwas ganz Persönliches fragen?“ Kevin sah seinen Boss nicht an, sondern starrte nur durch die Windschutzscheiben.

      Rodrigo schnaufte. „Frag mich und du wirst sehen, ob du eine Antwort oder meine Faust auf deine Nase bekommst“, bellte er lachend und fand den Witz so gelungen, dass er mit seinen Händen aufs Lenkrad trommelte. Kevin hingegen fühlte sich davon etwas eingeschüchtert.

      „Na dann lieber nicht. Meine Freundin steht nämlich auf meine fein geschnittene Nase edelster Herkunft!“, konterte er und lächelte.

      „Wieso sprichst du eigentlich unsere Sprache so gut? Beinahe akzentfrei. Nur wenn du wie ein alter Seebär fluchst, kommt der mexikanische Akzent so richtig deutlich zu tragen.“

      Kevin hielt sich schützend beide Hände vor die Nase und ging auf dem Beifahrersitz in Deckung.

      „Meine Großeltern sind in jungen Jahren hierher ausgewandert, waren aber nach Mexiko zurückgekehrt als die Nazis begonnen hatten, ihr Drittes Reich zu gründen, sagen wir mal so. Meine Eltern zogen mich und meine Schwester Lucìa spanisch auf, unsere Großeltern sprachen Deutsch mit uns. Lucìa hat sogar Deutsch und Spanisch studiert und ist Lehrerin geworden. Nur ich war zu doof um diese grandiose Grundlage beruflich zu nutzen. Ich bin eben ein burro estùpido, ein dummer Esel.“

      „Die meisten von uns sind froh, dass du ein burro estùpido bist. Wer weiß, wen sie uns sonst als Boss vor die Nase gesetzt hätten. Vielleicht den launischen Friedman von der Sitte, der auf jeden Chefsessel so scharf ist wie eine Schlange auf eine fette Ratte. Oder diese altbackene Klaringer, die eine ganze Minute braucht um eine Antwort auf eine noch so simple Frage zu geben. Oder…“

      „Ruhe!“, unterbrach ihn Rodrigo schroff und drehte das Autoradio um einige Stufen lauter.

      „Die Vierunddreißigjährige wurde gestern am frühen Vormittag auf offener Straße in einen weißen Lieferwagen unbekannter Marke gezerrt und seither fehlt von ihr jede Spur. Falls jemand den Vorfall beobachtet hat und von der Polizei noch nicht vernommen wurde, der möge sich bitte dringend bei der nächsten Polizeidienststelle oder unter der Nummer 0555/23896 melden. Und nun zum Wetter. Die Aussichten für…“

      Rodrigo drehte wieder leiser und nickte zufrieden. Er hatte den kurzen Text gestern an die interne Pressestelle weitergegeben um noch weitere potenzielle Zeugen zu gewinnen. Irgendjemand sieht immer irgendetwas…

      Kevin sah Rodrigo skeptisch an. „Jetzt werden sich wieder die ganz Wichtigen melden und dem Telefondienst die Zeit stehlen“, seufzte er. Rodrigo zuckte mit den Achseln, entgegnete aber nichts. Kevin war mit seinen zweiunddreißig Jahren lang genug bei seiner Truppe um zu wissen, wie es für gewöhnlich lief und dass die meisten Anstrengungen umsonst waren.

      5

      Bell Springer lag auf dem kahlen Boden eines kleinen Raumes. Es roch ziemlich muffig und vielleicht auch nach Mäuseköttel. Sie hatte bislang noch nie die Exkremente von Mäusen gerochen, stellte sich aber vor, dass sie so riechen könnten. Schwaches Licht drang durch den großen Türspalt hindurch, aber sie konnte nicht sagen, ob es sich dabei um Tageslicht oder um künstliches Licht handelte. Mittlerweile hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren.

      Die Zeit in diesem winzigen Raum, dessen Wände stets näher auf sie zu rückten und sie irgendwann zwischen sich zerquetschen würden, kam ihr endlos vor. Und doch hatte sie das Gefühl, als wäre sie erst vor kurzem hier gelandet. Ihre blutigen Finger pochten schmerzhaft im Takt ihres Herzens. Sie war so naiv gewesen zu glauben, sie könnte sich mit bloßen Fingernägeln durch den Beton direkt neben der etwas angerosteten Stahltür graben. Der Beton war unversehrt, doch ihre Fingernägel waren bis tief hinein ins Nagelbett eingerissen und pochten nun unablässig schmerzhaft im Takt ihres Herzschlags. Sie hatte geblutet und dennoch versucht, ein paar kleine Steinchen aus dem harten Beton zu lösen; doch ohne jeden Erfolg.

      Noch dazu hatte sie sich ihren rechten Fußknöchel verstaucht, als sie unablässig gegen die Tür unter dem Türknopf getreten hatte. Auch hier hatte sie gehofft, dass das verrostete Eisen leicht nachgeben würde und sie sich einen Weg ins Freie verschaffen könnte. Doch sowohl die Mauer als auch die Tür hielten ihren ohnmächtigen und aussichtslosen Versuchen stand.

      Die Aufregung der Entführung, die Auflehnung gegen die starken Arme, die sie ins Auto gezogen und auf den Boden gedrückt hatten, das sinnlose Betteln um Freilassung, die verzweifelten Schreie in ihrem Gefängnis, die heftigen Wein- und Heulkrämpfe, das Hadern mit ihrem Schicksal und die enorme körperliche Anstrengung ihrer erfolglosen Ausbruchsversuche hatten ihr jegliche Energie geraubt. Sie brauchte jetzt dringend Wärme, zärtliche Geborgenheit, vertrauensvolle Sicherheit, etwas zu Essen und zu Trinken. Doch alles, was sie tatsächlich bekam, waren Einsamkeit und eine furchtbare Stille, die sie schon jetzt nicht mehr ertragen konnte.

      Während sie in ihrer einsamen Zelle tobte und wütete, hatte sie nicht nach dem Grund ihrer Entführung gefragt. Doch jetzt, völlig erschöpft, verschwitzt, verschmutzt, mutlos, hungrig und durstig begann sie sich zu fragen, ob sie überhaupt die richtige Person war, die hier schmorte. Sie hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen, hatte kein Geld, keinen Besitz, keinen Einfluss auf die Politik, Wirtschaft oder andere Personen. Als Sexsklavin war sie mit ihren achtunddreißig Jahren auch nicht mehr zu gebrauchen, dafür gab es viel jüngere, hübschere, schlankere und aufreizendere Frauen als sie. Sie war ein Niemand, die es nicht wert war, das Risiko einer Entführung auf sich zu nehmen.

      Sie sehnte sich nach Toby, ihrem besten Freund und Ehemann, der sie zwar seit zwei Jahren nicht mehr im Arm gehalten hatte, aber auf den sie sich nach wie vor felsenfest verlassen konnte. Er war immer für sie da, solange es sich nicht um ein sexuelles Thema handelte. Doch in diesem Fall würde auch er nichts unternehmen können, um ihr Wohlbefinden zu steigern oder sie aus ihrem Gefängnis befreien zu können. Er würde zu Hause in sämtlichen Zimmern herumlaufen; panisch, nervlich am Ende, Gott bittend, ihm Versprechen abgebend, obwohl er nie ein gläubiger Mensch war und sich nötigenfalls auch mit dem Teufel einlassen, nur um ihr beschützend und helfend zur Seite zu stehen. Aber der Teufel würde garantiert keinen Deal mit ihm eingehen, denn sein Stellvertreter hatte sich Bell geschnappt und würde sie auch nicht unbeschadet aus seinen Fängen lassen.

      6

      Nelson-Mandela-Straße, 11 Uhr. Der Verkehrsfluss ist ruhig, keine Besonderheiten auf der Straße oder in den zahlreichen Wohnanlagen. Eine ältere Dame schlendert gemächlich auf dem Gehweg dahin, ihre Einkaufstasche in der linken Ellenbeuge. Sie geht gerne einkaufen, denn dann ist sie nicht allein und einsam in ihrer leeren Zweizimmerwohnung. Vor sich sieht sie einen Einkaufswagen, der quer über dem Gehsteig steht und nur links davon einen schmalen Streifen zum Vorübergehen freilässt. Sie würde ihn der Länge nach hinstellen müssen, um besser daran vorbei zu kommen. Sie fixiert das Hindernis vor sich und beobachtet aus dem Augenwinkel einen Mann, der nur noch wenige Meter bis an den Punkt X hat. Der Mann vor ihr greift jedoch nicht wie erwartet zum Einkaufswagen um ihn aus dem Weg zu räumen, sondern geht einfach links an ihm vorbei, steigt aber nicht auf die Straße hinunter. Nun fixiert sie ihn und grollt ein wenig, weil er ihr die Arbeit überlassen hatte. Doch in genau diesem Moment

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