Der Bogen in die Zukunft. Helmut Lauschke

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Der Bogen in die Zukunft - Helmut Lauschke

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sollte, ist überschritten. Einige Nachzügler treffen ein und besetzen die leeren Stühle. Es sind die kubanischen Kollegen, die die Zeit karibisch verstehen und sich regelmäßig verspäten. Sie sind die größte Gruppe und machen mehr als die Hälfte der Ärzte am Hospital aus. Die schwarze Kollegin, die vor der Unabhängigkeit sporadisch und über lange Strecken gar nicht zu den Besprechungen kam, erscheint auch nach der Unabhängigkeit nur gelegentlich und kommt dann meistens viel zu spät. Sie hat sich vom Stationsdienst im pädiatrischen Kindersaal abgesetzt und füllt nun den Posten eines Managers in der Malariabekämpfung in der Region aus. Das tut sie vom bequemen Sessel hinter dem Schreibtisch mit Telefon in einem gut klimatisierten Büro aus.

      Die Gesichter der Anwesenden, die ihre Plätze eingenommen haben, sehen müde und gelangweilt aus. Einige gähnen in den Besprechungsraum hinein, ohne sich die Hand vor dem Mund zu halten. Es sind vorwiegend die kubanischen Kollegen, die so mundoffen gähnen. Der stumpfe oder satte Ausdruck in den Gesichtern steht im krassen Gegensatz zu den gespannten Gesichtern, die im selben Raum saßen, als die Granaten krachten und der Brigadegeneral von der letzten Entscheidungsschlacht sprach, in der für alle viel auf dem Spiele stand.

      Davon und von den nächtlichen Ruhestörungen durch die Koevoet (Spezialeinheit der Polizei mit dem symbolträchtigen Namen ‘Brecheisen’), die das Hospital nach versteckten SWAPO-Kämpfern vergeblich absuchte, ist den verschlafenen Gesichtern jetzt nichts mehr anzusehen. Das Feuer der Angst und des Schreckens, von der Granate in Stücke gerissen zu werden, war erloschen. Damit war auch der große Geist der Hilfsbereitschaft erloschen, den es damals gab, als sich die wenigen Ärzte mit ihrem Leben Tag und Nacht für die Kranken und Verletzten einsetzten und sich bis zur physischen Erschöpfung in der Behandlung der schwarzen Bevölkerung forderten. Dr. Ferdinand erinnert sich an die müden Gesichter mit den geröteten Augen, wie sie sich in den letzten Jahren der Apartheid bei den morgendlichen Besprechungen gegenübersaßen und sich gegenseitig in die sorgenvollen Gesichter sahen.

      Die Granatlöcher, Schießgräben und Inspektionsgruben an den Kontrollstellen der beiden Zugänge zum Dorf waren zugeschüttet und die Sandsäcke von den ehemaligen MG-Stellungen auf den Wassertürmen waren entfernt worden. Nur der ausgerollte Stacheldraht auf dem schmalen Weg zwischen Dorf und Hospital ist geblieben. Auch steckt noch die Holztafel mit der Aufschrift “For Whites Only” am schiefen Stock nach Passieren der fünf Caravan-Häuser am Dorfeingang neben dem Pfad. Die Löcher der Vergangenheit sind mit Geröll und Sand zugeschüttet worden. Es war unordentlich gemacht, dass die Merkmale des Provisorischen erkennbar blieben.

      Der Superintendent führt das, was er zu sagen hat, in emotionsloser Monologsprache aus. Die Art und Weise des Sprechens, Zuhörens, Fragens und Diskutierens ist anders geworden. Alles ist abgeflacht. Das lässt sich mit der Aufmerksamkeit, der Hingabe und Tiefgründigkeit von einst nicht mehr vergleichen. Der Superintendent spricht und schaut in irgendeine Richtung, ohne dass sein Blick auf ein Gesicht zielt. So fahren auch die Blicke der Anwesenden ziellos umher. Die meisten der Gesichter blicken gleichgültig und teilnahmslos. Das Telefon ist’s, dessen Klingeln den monotonen Redefluss des Superintendenten unterbricht, der wie ein Gebieter auf dem erhöhten Stuhl hinter dem großen Schreibtisch sitzt und seine Anweisungen und Erlasse ohne Widerrede gibt.

      Es sind die altbekannten Themen, die aufgerollt und abgespult werden, ohne dass sich in den vergangenen Wochen und Monaten etwas in der praktischen Umsetzung getan hätte. Viele der Themen wurden auch vor der Unabhängigkeit vorgetragen und diskutiert. Trotz der Dringlichkeit bezüglich der Hygieneverbesserung und Sanierung der alten Toilettenanlagen sowie der Beschaffung von Antibiotika, Malaria- und TB-Medikamenten, hat sich in den ersten Jahren der Unabhängigkeit nicht viel getan.

      Der Unterschied liegt in der wenig konstruktiven Anteilnahme an den Nöten der Menschen, liegt im Fehlen der Bekundung des Helfenwollens und Helfenmüssens unter den gegebenen Bedingungen und Umständen, die in ihrer Mehrzahl nicht in Ordnung waren. Hinzu kommt, dass die Mehrzahl der kubanischen Kollegen kein Englisch sprechen. Doch mit zunehmender Übung werden auch sie auf die Missstände am Hospital hinweisen. Die aus dem Exil zurückgekehrten namibischen Ärzte verhalten sich dagegen bedeckt. Sie schweigen sich zu den Mängeln aus und leisten keinen konstruktiven Diskussionsbeitrag.

      Weg und Klippen, sie strecken sich weit

      Du bist der Spiegel deiner Mutter,

      in dem sie ihr rasches Altern erkennt.

      Auch bist du der Nagel in der Wand

      mit dem Bild ihrer Jugend und Schönheit.

      Bild und Bildnis werden bleiben

      weit über den Tod der Mutter hinaus.

      Welches Feld du auch pflügen wirst,

      ihre Mahnungen gehen dem Pflug voraus.

      Die Sonne brennt auf Pfad und Gesicht,

      die Jahre runzeln tiefer die Stirnen.

      Die Schwere der vollen Eimer drückt

      Köpfe und magere Körper in die Sohlen.

      Doch die Wirbelsäule krümmt sich nicht,

      sie will das Wasser über die Jahre tragen.

      Erfahrung und Stolz kerben ihre Marken,

      in Rissen und Schwielen tiefer hinein.

      Weg und Klippen, sie strecken sich weit

      bis hin zum Brunnen, und noch weiter,

      wenn der Brunnenboden versandet ist.

      Unendliches Blau füllt den strahlenden Himmel,

      es ist das Wasser, das auf Köpfen getragen wird.

      Mit Blick auf die Haut

      Die Menschen haben sich an die Unabhängigkeit und den ersten schwarzen Präsidenten ebenso gewöhnt wie an den aufgeblähten Verwaltungsapparat der Ministerien. Die höchsten Posten mit den größten Gehältern und weiteren Zulagen und Vergünstigungen wurden an die aus dem Exil Zurückgekehrten vergeben. Die Bevorzugten haben fast alle die schwarze Haut. Sie haben als Minister, stellvertretende Minister und Staatssekretäre samt Vertretern das existentiell am höchsten abgesicherte öffentliche und private Leben. Die Kosten im Krankheitsfall übernimmt die Regierung. Die Minister erhalten zum Dienstwagen mit Chauffeur noch einen Wagen der gehobenen Mittelklasse zum privaten Gebrauch. Die Kosten für Haus und Einrichtungen und Bedienstete werden vom Staat getragen und mit großzügigen Zuschüssen versehen. Die teuren Häuser und Grundstücke werden auf Staatskosten rundum die Uhr bewacht. Es gibt Zuschüsse über Zuschüsse, ob bei den monatlichen Zahlungen für Strom, Wasser und Müllabfuhr an die Stadtverwaltung, fürs Telefonieren oder das luxuriöse Reisen und so vieles mehr.

      Es wundert deshalb nicht, dass die bevorzugten ‘Staatsdiener’ in kurzer Zeit zu beachtlichem Wohlstand gelangt sind und es weiter bringen, der in krassem Gegensatz zur allgemeinen Armut steht. Nicht nur, dass auch die Frauen der höchsten Staatsdiener hohe Funktionärsposten in anderen Ministerien und halbstaatlichen Unternehmen besetzen. Clan- und Vetternwirtschaft sowie die Korruption mit der Selbstbereicherung stehen seit Jahren in voller Blüte und das vor allem bei den Mitgliedern der regierenden Staatspartei. Dabei ist mehr als jeder zweite Arbeitswillige im Lande arbeitslos. Die HIV-Rate liegt bei zwanzig Prozent, und die alten Menschen bekommen die beschämend kleine Monatsrente, die

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