Sternstunde. Susanne Sievert
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„Sagte ich nicht, dass sich die restlichen Bastarde im Wald verstecken werden?“
Der Mann lachte, und als er einen Schritt nach vorne trat, vernahm ich wie in meinem Albtraum das Klirren seiner schwarzen Rüstung.
„Es sind nur eine Frau und ein Mädchen. Mach schnell. Ich bin müde, und will zurück zum Lager. Die Nacht war lang, ich habe genug von diesen Barbaren gesehen. Mehr, als ich in diesem Leben vertrage.“
Langsam und zitternd drehte ich mich um. Es waren drei Soldaten, die vor uns standen und uns beobachteten. Ein Soldat mehr, als ich vermutete.
„Egal was passiert, Udy“, sprach meine Tante in unserer Stammessprache, denn diese Worte waren nur für mich bestimmt. „Überlebe und gehe deinen Weg. Auf dich wartet eine ganz neue Welt.“
Eine Träne rollte über meine Wange. Die Soldaten lachten schallend über uns.
„Seht euch die Bastarde nur an! Ihre Sprache klingt wie das Schnaufen meines alten Gauls und sie bewegen sich wie fette Schweine“, jaulte einer von ihnen.
„Die Tiere nehmen wohl Abschied voneinander“, grölte ein anderer.
Nein, schrie ich in Gedanken, und als ob meine Tante meine Gedanken lesen könnte, antwortete sie mit warmer Stimme: „Folge deinen Träumen, Udy Häuptlingstochter, und lebe weiter.“
Wie eine schwere Glocke tönte Baktas Kriegsschrei in den Wald hinein. Mit dem ersten gezielten Schlag ihres Schwertes zerteilte sie den Soldaten, der Pfeil und Bogen trug. Überrascht über ihre Kraft zogen die beiden Soldaten ihre Waffen und griffen meine Tante von zwei Seiten an. Mühelos wehrte Bakta die ersten drei Angriffe ab, schwang ihr Schwert wie unsere Göttin Ahm Fen selbst und tötete einen zweiten Mann. Mit dem nächsten Schlag entwaffnete sie den letzten Soldaten, der blitzschnell einen Dolch aus seinem Stiefel zog und mit festen Tritt Bakta ihre Kniekehle traf. Mit einem Grunzen strauchelte Bakta vorwärts, fand aber ihre Gleichgewicht, und gerade als ich es wagte, aufzuatmen, packte der Soldat in Baktas lange rote Haarpracht, zog kräftige ihren Kopf nach hinten und schnitt ihr die Kehle durch.
So groß und massig ihre Gestalt auch war, so sanft und geräuschlos fiel ihr Körper auf den weichen Erdboden. Ihre funkelnden Augen verloren sich in der Ferne, kein Atem hob ihre Brust, kein Laut floss über ihre Lippen.
Bakta war tot.
Wie betäubt starrte ich auf ihren regungslosen Körper.
Ahm Fen, steh mir bei.
„Genau aus diesem Grund töten wir euch!“, schrie der letzte Mann triumphierend, und reinigte seinen Dolch an ihrem Mantel, auf dem ich letzte Nacht noch geschlafen hatte. „Bei allen Göttern, ihr seid die Pest!“
Seine Sprache war mir geläufig. Mein Vater lehrte mich, den Feind besser zu kennen als sich selbst, aber er redete sehr schnell und abgehakt. Ich verstand nur einzelne Worte, aber das Schwert in seiner Hand konnte man in allen Sprachen verstehen. Er benutzte es zum Töten.
„Bleib ganz ruhig Mädchen, dann ist es auch schnell vorbei.“
Mit dem Dolch vor seinem Körper schritt er gelassen auf mich zu. Er war sich siegessicher und warum auch nicht? Wer war ich denn? Udelka, die Unvollständige. Der Krüppel, der Zwerg, der nie ein Schwert in den Händen hielt und stattdessen die Tiere versorgen musste, kochen, putzen, sich unauffällig verhalten. Udy, die unter der Decke ihre Geheimnisse der Dunkelheit anvertraute die Zerrissenheit in die Wiege gelegt bekam.
Sieh dich um.
Wie?
Sieh dich um, Kind.
Die Stimme in meinen Kopf lenkte meine Bewegung. Sie klang wie meine eigene und doch ganz anders. Ich drehte mich um und entdeckte den im Baum steckenden Pfeil. Der Soldat erkannte meine Absicht und stürmte auf mich zu, aber da zog ich den Pfeil bereits aus dem Baum, holte weit aus und stach dem Mann das rechte Auge aus. Kreischend ließ er den Dolch fallen, hielt sich die Hand vor sein Gesicht. Keuchend holte ich ein zweites Mal aus, stach erneut zu. Erblindet wälzte er sich auf dem Boden, heulte in seiner dreckigen Sprache.
„Miststück. Du verdammtes, elendes Miststück!“
Auf der Erde lag sein Dolch, mit dem er meine Tante getötet hatte. Ihr Blut haftete an der Klinge und glänzte in der Wintersonne. Obwohl die Kälte durch meine Kleidung pfiff, brannte mein Gesicht von all den geweinten Tränen. Das musste enden. Hier und jetzt. Was sagte Bakta zu mir? Ich sollte leben? Gut, dann musste er sterben.
Einen Moment später lag die Waffe in meiner Hand, und der Stahl fühlte sich großartig an.
Mit meinem Fuß drehte ich den Mann auf den Rücken, kniete mich zu ihm hinunter. Seine Miene verzerrte sich und er grunzte hektisch, als ich den Dolch an seinen Hals presste.
„So stark bist du gar nicht“, flüsterte ich und bemerkte, wie er bei meinen Worten zusammen zuckte. „Du. Bist. Tot.“
Ich wunderte mich, wie leicht sich seine Haut durchtrennen ließ. Meine Mutter hatte mich von den Kämpfen zwischen unseren Stämmen ferngehalten, und mein Vater nie in Erwägung gezogen, mich mit zu nehmen. Daher hatte ich noch keine Kampferfahrung. Noch nie hatte ich ein Lebewesen getötet. Ich sah, wie es Stück für Stück aus seinen Augen wich. Wie ein Stern in der Nacht, der erlosch.
Der Soldat, der sich seines Siegs so sicher war, starb durch meine Hand. Ich hatte ihn getötet. Die Erkenntnis traf mich wie eine Faust in den Magen. Überwältigt von Trauer und Entsetzen warf ich den Dolch von mir. Meine Gefühle zerrissen mich, wie eine offene Wunde, in die der Feind immer wieder seinen Finger legte und auf einmal war sie wieder da. Die Stimme, die mich lenkte, meinen Verstand vernebelte, mir Kraft schenkte.
Ich bin beeindruckt.
Nach dem Ritual der Ahm Fen begrub ich Baktas Leichnam und sang in unserer Stammessprache ein Grablied, welches ihren Geist auf den langen Weg zu ihren Ahnen begleitete. Meine Stimme brach unter der Last von Tränen und Schuldgefühlen, die ich nicht verbergen konnte. Eine Schwäche, die ich mir nicht erlauben durfte, jetzt, da ich alleine auf mich gestellt war. Doch die Trauer drückte mich zu Boden.
„Was soll ich nun tun?“, erschöpft brach ich zusammen. „Was ist mein Weg, Bakta? Ich bin schwach und allein. Alleine werde ich es nicht schaffen.“
Ein kühler Windhauch umspielte ihr Grab, tanzte um die Blumen, die um das Grab wuchsen und wehte zart durch meine roten Locken. Ein Strahl der untergehenden Sonne brach sich auf Baktas Schwertklinge, die ich zum Zeichen in die Erde stieß, blendete mich für einen Augenblick. In diesen Moment vernahm ich die überirdische Stimme erneut. Dunkel und bedrohlich, stark und eindringlich.
Geh nach Westen, Udy, Hände aus Eis umklammerten mein Herz. Die Stimme drang in meine Gedanken ein und umspielte meinen Geist mit flüssigem Gold.
Bakta...?
Du kennst bereits deinen Weg. Folge den Spuren des Blutes. Ergreife die Waffe und lösche das Einzige, das dich mit deiner Vergangenheit verbindet. So wirst du dein Ziel erreichen.