Sternstunde. Susanne Sievert

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Sternstunde - Susanne Sievert

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lange?“

      Gerade als er den Satz ausgesprochen hatte, trat ich hinter dem Vorhang hervor und versteckte den Dolch hinter meinen Rücken. Ich schämte mich meiner Nacktheit. Bis jetzt hatte ich mich noch keinen Mann von dieser Seite präsentiert. Bleib ruhig, ermahnte ich mich selbst. Du kannst es tun. Du musst es tun! Mein Herz schlug schnell und der Gedanke an sein Blut erfüllte es mit Leben. Ich dachte an den Fuhrwagen, an meine Brüder und Schwestern. Mein Volk. Ihr Leid kümmerte ihn nicht. Er sah nur die bare Münze. Warum sollte mich sein Schicksal kümmern?

       Er ist das Leben nicht wert. Er ist nichts!

      Wessen Stimme sprach in meinem Kopf? Ahm Fens, meine eigene? Die Töne verschmolzen ineinander.

      Der Hauptmann torkelte unbeholfen zu seinem Lager, stürzte auf halben Weg zu Boden und kroch auf Händen und Knien weiter. Es dauerte mir zu lange, ich trat dem Hauptmann kurz entschlossen so heftig in den Rücken, dass er nach vorne stolperte und auf sein gerötetes Gesicht fiel.

      „Höh...“, murmelnd suchte er seine Umgebung ab und erkannte mich kaum, als ich mich grinsend zu ihm hinunter beugte. „Mir geht es nicht gut. Ruf meine Männer.“

      „Nein“, antwortete ich kalt. „Es ist Zeit, zu sterben.“

      Grunzend versuchte der Hauptmann sich aufzusetzen. Er tastete nach seinem Schwert, das er neben seinem Lager abgelegt hatte, aber ich hielt es bereits in den beiden Händen und schleuderte es gegen die Zeltwand.

      „Was... ist? Meine... Männer...?“

      Ich stemmte mein Knie an seine Kehle, schnürte ihm den Atem ab. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, aber da stopfte ich ihm schon Fell ins Maul.

      „Mein Name ist Udy Häuptlingstochter.“ Es war an der Zeit sich von dem Mädchen zu verabschieden. „Du hast meine Familie getötet. Du hast ihnen das Wichtigste geraubt. Was du ihnen angetan hast, wirst du nun am eigenen Leib erfahren.“

      Als er den Dolch in meiner Hand aufblitzen sah, begann er zu kreischen, aber der Knebel dämpfte sein elendes Gebrüll. Das Gift lähmte seinen Körper, Arme und Beine zuckten kaum merklich und so konnte ich seiner Stirn besondere Aufmerksamkeit schenken. Seine Augen quollen hervor, als ich die Haut von seiner Stirn schälte. Ahm Fen machte es keinen Spaß ein wehrloses Opfer derart zu foltern. Sie schätzte einen guten Kampf, bei dem jeder mit seinem Blut bezahlte, aber ich spuckte auf ihr Gejammer.

      Mein Werk beendete ich mit zahlreichen Stichen in seine Brust. Ich stach wieder und wieder zu, bis ich völlig außer Atem von seinem Körper rutschte. Ich hielt den Dolch in meinen verkrampften Händen und schluchzte ein paar Tränen hinunter, als die Anstrengungen von mir wichen.

      „Oh Mutter, wenn du mich nur sehen könntest. Würdest du dich für mich schämen?“, dachte ich und Ahm Fen antwortete mit einem Lachen.

       Ist es nicht das, was du wolltest? Rache? Hast du seine Angst gerochen? Riechst du seinen Tod? Komm mein Kind, schmecke sein Blut. Koste es für mich.

      Angewidert verzog ich die Nase und kleidete mich an. Ihrer Bitte würde ich ganz sicher nicht nachkommen.

      Gerade als ich das Zelt verlassen wollte, stürmte ein Soldat in das Zelt. Beim Anblick meines vollbrachten Werkes glotzte er ungläubig auf meine blutigen Hände, sah mir ins Gesicht und schüttelte stotternd den Kopf. Ich erkannte ihn wieder: Es war der junge Mann, der vor dem Wagen vom Hauptmann zusammen geschlagen wurde und er hielt ein besonderes Geschenk für mich in den Händen. Ein schwerer, nasser Lederbeutel, dessen Inhalt ich sofort erkannte.

      „Her damit“, zischte ich und zielte mit der blutigen Waffe auf sein Herz. Meine drohende Geste war unnötig, er überließ mir ohne weiteres die Geburtsmale meines Volkes. Gebannt blieb er vor der Leiche stehen, schüttelte noch immer den Kopf. Er konnte nicht glauben, dass sein Anführer tot zu seinen Füßen lag.

      Ich beachtete ihn nicht weiter, denn er hatte mir alles gegeben was ich wollte. Sollte er doch um seinen Hauptmann trauern. Als ich nach draußen trat, begriff ich, warum er zuvor schreiend in sein Zelt stürmte: Vor mir lagen alle Soldaten des finsteren Königs auf der Erde, wälzten sich im eigenen Erbrochenen.

      „Beim finsteren König, was hast du getan?“

      Der junge Soldat folgte mir nach draußen und starrte auf seine Kameraden, die vor Pein ihren eigenen Namen nicht mehr kannten.

      „Wage es nicht von deinem elenden König zu sprechen“, antwortete ich, fuhr herum und hielt ihm den blutigen Dolch an die Kehle. Ein Soldat mehr oder weniger, was machte das schon? „Dein König hat mein Volk getötet. Du hast ihm geholfen, seine Befehle ausgeführt. Und wofür?“

      „Dann töte mich. Los, schneide mir die Kehle durch“, er schluckte schwer. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. „Beende es. So viele Tote. Töte mich und schmeiße mich mit auf den Haufen. Einer mehr oder weniger, was macht das schon?“

      Er sprach genau das aus, was ich zuvor dachte. Ahm Fen applaudierte und hoffte auf ein aufregendes Schauspiel. Aber ich konnte es nicht und ließ den Dolch sinken. War er, so wie ich, unfreiwillig in den Krieg geraten? Wenn ja, was sollten wir dann tun? Einfach gehen? Zwei unglückliche Gestalten in einer kalten, beherrschten Welt.

      „Nein“, antwortete ich. Aus den Augenwinkeln entdeckte ich meine Freundin, die von der Zeltwand hinab geklettert kam, um sich am Festmahl zu erfreuen. Ihre Anwesenheit beruhigte mich. So klein und doch so gefährlich.

      „Nein?“, fragte er und stellte sich an meine Seite. Zusammen sahen wir seinen Kameraden beim Sterben zu, bis auch das letzte Stöhnen verstummte. Ich hörte den schweren Atem des jungen Soldaten. Ein paar Schluchzer hier, ein paar Tränen dort. Dann war es vorbei.

      „Einfach nein“, flüsterte ich und kämpfte mit meinen eigenen Tränen und meiner Zerrissenheit. Welch passenden Namen mein Vater doch für mich erwählte.

      Noch in derselben Nacht brannten wir das Zelt des Hauptmannes mit all seinem Hab und Gut nieder. Der junge Soldat half mir wortlos und ich nahm seine Hilfe ebenso stumm an. Das Einzige, was ich für mich beanspruchte, war eine Karte des Landes, um mich selbst auf der Reise zurecht zu finden und eines der herrenlosen Pferde.

      Während ich vor dem brennenden Zelt stand, drückte ich ein letztes Mal den Beutel an mein Herz, sang ein Gebet für meine Landsleute und warf ihn anschließend ins Feuer. Nun waren ihre Seelen frei und ich fühlte statt Trauer Freude. Freude darüber, einen Weg gefunden zu haben, ihnen eine Weg zu den ewigen Gefilden zu ebnen, der mir versagt sein wird. Es war mein eigenes Verschulden, meine eigene Entscheidung. Ahm Fen sagte nichts und überließ mir diesen Moment ganz für mich allein.

      Das Feuer brannte herunter. Ich sattelte das Pferd und erinnerte mich an den ersten Ausritt mit meiner Mutter, wie jung und unbeholfen ich doch war. Sie war stets geduldig und großmütig. Entschuldigte meine Fehler schnell und mit einem Lächeln das sagte: Beim nächsten Mal klappt es besser. Ich war so sehr in meinen schweren Gedanken vertieft, dass ich den jungen Soldaten vergaß, der ebenfalls ein Pferd sattelte und mir erwartungsvoll entgegen blickte.

      „Und nun?“, fragte er mit Ruß geschwärzten Gesicht. „Was ist mit uns?“

      „Mit uns?“, wiederholte ich mehr als irritiert. „Was soll mit uns sein?“

      Er wirkte gekränkt, verloren, und ich verstand nicht warum. Ich hatte ihn verschont. Was wollte er da noch von mir?

      „Ich

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