Sternstunde. Susanne Sievert

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Sternstunde - Susanne Sievert

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Wir können überall hin, verstehst du?“

      „Frei?“, fragte ich und mein Herz gefror zu Eis.

      Ahm Fen lachte in meiner Brust und spottete: Du hättest ihn töten sollen, als du noch die Gelegenheit dazu hattest.

      „Ja, frei. Oder glaubst du, wir befinden uns alle freiwillig in diesem Krieg? Na schön, einige Männer gewiss. Der finstere König zahlt gut, aber ich gehöre nicht zu den Menschen, denen Geld wichtiger als das Leben selbst ist. Das viele Blut, die Schreie und Kämpfe. Es reicht. Ich will nach Hause.“

      „Halt doch mal dein Maul“, herrschte ich mit funkelnden Augen und nun war der junge Soldat an der Reihe mich unverständlich an zu glotzen. „Von welcher Freiheit sprichst du? Mein Volk wurde vernichtet und unzählige Dörfer werden noch leiden. Solange der finstere König lebt, solange wird es keine Freiheit geben. Es gibt kein uns. Ich sehe dich an und sehe die schwarze Rüstung des Feindes. An deinen Händen klebt das Blut meiner Brüder und Schwestern. Ihr habt mir alles genommen. ALLES!“

      Sein Gesicht färbte sich rot. Beschämt blickte er auf seine Rüstung und dann zu mir.

      „Meinst du, du bist die Einzige, die etwas oder jemanden verloren hat?“, er schwitzte und sein Geruch bereitete mir Übelkeit. Es war an der Zeit zu gehen, solange Ahm Fen nicht die Überhand ergriff und der Spinne ein Dessert zubereitete. Ich blickte über seine Schulter hinweg und sah, wie sie sich an den Leichen zu schaffen machte. Ein Gefühl verriet mir, dass die Spinne jedes Wort verfolgte.

      „Wage es nicht mir zu folgen“, drohend senkte ich meine Stimme. „Begegnen wir uns wieder, dann werde ich dich töten. Du bist mein Feind und ich bin deiner.“

      Wütend trat ich dem Pferd in die Seite. Das arme Tier wusste nicht, wie ihm geschah und galoppierte schnaubend davon.

      „Ich bin Yeleb“, schrie der Soldat mir ein letztes Mal hinterher.

      „So ein Dummkopf“, murmelte ich.

      Ein elender Dummkopf mit dem Namen Yeleb.

      In meinem Traum wanderte ich durch dichten Nebel, vernahm das Geräusch von rollenden Blitzen und tosendem Donner. Von Angst getrieben lief ich blind weiter, bis der Nebel sich mit einem ohrenbetäubenden Peitschen lichtete.

      Ich befand mich inmitten einer Bergkette, umzingelt von Stein, Donner und Poltern. Schützend hielt ich meine Hände an die Ohren, blickte im Schmutz kniend nach oben. Die Berge reichten bis zum Himmel hinauf, und ich fühlte mich so klein und verloren wie noch nie zuvor in meinem Leben.

      Plötzlich bewegte sich die Erde, nein, es waren die Berge! Es knirschte und polterte, als sie sich in Bewegung setzten, und ich erkannte, dass es die Berge waren, die donnerten und polterten – nicht der Himmel. Sie redeten miteinander.

      Bergriesen! Meine Tante behielt recht. Ich hatte sie gefunden, lief nun mit ihnen zusammen zu den ewigen Gefilden. Welche Freude! Welcher Segen! Endlich befand ich mich in Sicherheit.

      Dann entdeckte ich sie. Ihre langen, leuchtend roten Haare wehten im Wind wie loderndes Feuer, und ihre Gestalt wirkte inmitten der Riesen so klein, wie ich mich fühlte.

      Bakta lief nur eine Armlänge vor mir – gekleidet in Gold und kostbarster Seide. Ich rief ihren Namen, folgte ihren Spuren im Gras. Doch sie vernahm weder meine Stimme, noch drehte sie sich nach mir um und je schneller ich rannte, desto mehr entfernte ich mich von meiner Tante und den Riesen.

      Zunächst schrie ich voller Verzweiflung Baktas Namen, dann verfluchte und beleidigte ich die Riesen in höchsten Tönen in der Hoffnung, sie kehrten um. Doch alle Rufe und Flüche blieben ungehört, und ich erkannte, dass sie ohne mich in die ewigen Gefilde zogen. Ich gehörte nicht mehr zu ihrem Volk. Sie wandten sich von mir ab.

      Meine Stirn brannte so heiß wie die Tränen auf meinen Gesicht. Ein letztes Mal schrie ich Baktas Namen und beobachtete ihre Gestalt, wie sie im Nebel verschwand.

      Das Geräusch von aufeinander schlagenden Steinen riss mich aus meinem Traum. Halb im Traum und halb in der Wirklichkeit wischte ich mir den Schweiß von der Stirn.

      Ein Traum, flüsterte Ahm Fen. Vor dir liegt ein ganz anderer Weg. Wir erschaffen uns unsere eigene ewige Gefilde, mein Kind. Wir werden die Herrscher sein. Was kümmern uns Mythen und Legenden, wenn wir die Welt in den Händen halten können?

      Ahm Fen sprach von immerzu von Blut und Macht. Sie sprach für uns beide, versprach den Himmel auf Erden und fragte nicht mit einer Silbe, ob ich den Weg mit ihr gehen wollte.

      Ich weiß es nicht, gestand ich mir heimlich ein. Denn die Wahrheit war ganz einfach: Ahm Fen ängstigte mich. Wie weit würde sie mit mir gehen?

      Erneut weckte das Geräusch von aufeinander schlagenden Steinen mein Interesse, und ich pirschte mich trotz der Warnungen meiner Göttin mit einer Waffe in der Hand durch Dreck und Sträucher. Geräuschlos schob ich Äste beiseite, erhaschte einen freien Blick auf eine Lichtung. In der Ferne entdeckte ich ein altes Weib, das mit Feuersteinen ein Feuer entfachte. Die Flammen schossen in den Himmel und mein Gefühl sagte mir, dass es sich um kein natürliches Feuer handelte. Wer war diese alte Frau, die mit einfachen Steinen solch ein Inferno entfachen konnte?

      Alte Vettel!, zischte Ahm Fen mit einer Wut, die ich mir nicht erklären konnte. Meine Hände zitterten unter ihrem unerklärlichen Hass.

       Weiter, mein Kind. Was interessiert uns ein altes Weib.

      So gerne ich meiner Göttin auch gehorchen wollte, so sehr zog es mich zu der alten Frau. Ohne auf meine Deckung zu achten, trat ich hinter den Büschen hervor, und schritt so selbstsicher, wie mein Körper es erlaubte, der Fremden entgegen.

      Aus der Ferne schätzte ich ihre Statur falsch ein. Vor mir ragte eine Riesin empor, so groß und mächtig wie ein Felsbrocken und ebenso stark mit dem Erdboden verbunden. Ihre Haut glich weißem, kantigen Stein, ihre Augen glänzten so schwarz und tief wie die Nacht und das graue Haar floss wie Wasser an ihrem Körper hinab in das Erdreich.

      Ein einziger Blick aus ihren schwarzen Augen verbannte Ahm Fen in den hintersten Winkel meiner Seele und offenbarte das schwache Mädchen, welches ich in Wirklichkeit war. Ohne den lähmenden Schatten meiner Göttin fanden alle Gefühle, die ich seit Anbeginn meiner Reise in mir trug, den Weg zu mir empor, und ich brach unter ihrer Last zusammen. Die Alte murmelte unverständliche Worte. Ich brach zusammen, unfähig, mich gegen ihren Zauber zu wehren. Ich fühlte mich verloren.

      Ihre Worte rissen ein Loch in meine Seele. Sie erschuf einen Abgrund, der alle meine Gefühle verschlang und ein Feuer in meiner Brust entfachte. Es fraß zunächst meine Freude, die Liebe zu meiner Familie und meinem Volk, dann meine Zuneigung und mein Mitgefühl. Und als von den wunderbaren Empfindungen keine mehr übrig blieben, verschlang es gierig meine Trauer. All die geweinten und nicht geweinten Tränen, den Kummer, meine Verzweiflung und am Ende meinen Zorn, der mein Handeln und Denken bestimmte. Je mehr der Abgrund von meinen Gefühlen fraß, desto größer und bodenloser wurde er. Es schrie danach, gefüllt zu werden. Doch was verlangte es? Die Gier hatte doch bereits alles an sich gerissen, was meine Seele bot.

      Du musst den Abgrund füllen, wisperte Ahm Fen, die hinter der Dunkelheit meiner Seele hervor kroch.

      „Füllen?“, fragte ich betäubt. „Mit was?“

      Ein Lachen streifte meine Gedanken.

      Mit

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