Sternstunde. Susanne Sievert

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Sternstunde - Susanne Sievert

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aus geschmolzenem Schnee. Mein Gesicht spiegelte sich auf dem blanken Metall, offenbarte das entstellte Geburtsmal des Ahm Fen Stammes auf meiner Stirn. Wie ich es hasste, es war so klein und verkrüppelt. So wie ich.

      Sieh nur, wie erbärmlich es ist, flüsterte sie heiser. Es muss getan werden, um zu überleben. Nimm den Dolch. Lösche die Vergangenheit.

      „Was ist mein Ziel“, mein Hals tat weh von dem zurück gepressten Schluchzen. Ich dachte an meine Eltern. Meine Mutter, die mich so liebte wie sie mich gebar und mein Vater, der in allem was ich tat, nur Enttäuschungen sehen konnte. Bakta, meine gute Bakta, die mich verspottete und „Menschenkind“ schimpfte. Ihre Geister würden mich ohne Geburtsmal nicht erkennen, ganz egal wie klein und unkenntlich es auch war. Sie werden mich verachten – ich werde meinen eigenen Blick nicht standhalten können.

       Dein Ziel ist Blut, Macht und Stärke. Er ist dein Ziel. Der finstere König. Er, der dir alles stahl und noch mehr nehmen wird, wenn wir uns nicht erheben. Ich habe deinen Ruf gehört, mein Kind und hier bin ich. Mit mir kannst du überleben. Meine Macht wird dich leiten, dich stärken. Öffne dein Herz für mich und lass mich ein. War es nicht ihr letzter Wunsch? Überlebe, so sagte deine Tante. Ich kann dir alles ermöglichen, Udelka Häuptlingstochter, und mein Preis zahlt sich von ganz allein.

      Die Stimme hatte recht. Es waren Baktas Worte, aber woher sollte sie davon wissen? Eine Erinnerung klopfte an meine Stirn: in schwerer Stunde rief ich Ahm Fen um Hilfe. Hatte ich Blut gegen meinen Verstand getauscht? Sprach meine Göttin zu mir?

      Doch ganz gleich wer und was die Stimme war, ich war nicht mehr allein. Und das war alles was für mich in diesem Moment zählte.

      „Mein Ziel“, wiederholte ich geistesabwesend.

      Schluchzend führte ich den Dolch an meine Stirn, schnitt mir schreiend ins Fleisch. Der Schweiß floss an meinen Körper hinunter wie Öl und Blut strömte meine Wangen entlang, mischte sich mit den Tränen, die ich um meine Herkunft vergoss. Benommen fiel ich auf den nassen Boden, umgeben von dem letzten Schnee in diesem Jahr und der Blumen mit den sonderbaren Namen Zaubernuss, die im Winter blühten. Sie starrten auf mich herab und der Wind schüttelte ihre gelben Köpfe. Es waren meine liebsten Blumen, denn selbst der Winter konnte ihnen ihre Schönheit nicht nehmen.

      Die Ohnmacht zerrte mich hinab in dunkle Tiefen und dort unten erwartete sie mich. Meine Göttin, die ihre eisigen Arme um mich schloss und mit einem hungrigen Lächeln meinen Atem raubte.

      Die Vergangenheit musste ausgelöscht werden.

      Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, hielt ich noch immer den Dolch in meiner rechten Hand.

      Stöhnend setzte ich mich auf. Meine Stirn brannte, als hätte der Hufschmied heißes Eisen an meine Haut gesetzt, aber noch unerträglicher war die stumpfe Leere in meinem Herzen. Ich erinnerte mich an Ahm Fen, an ihr Lächeln, ihre süßen Worte, aber war es nicht vielmehr ein Traum gewesen? Meine Wunde beantwortete die Frage mit einem klaren Nein, denn etwas war geschehen und Ahm Fen war alles andere als ein Traum.

      In dem Moment fiel mir alles wieder ein. Weder Ahm Fen, noch der finstere König, noch der Tot meiner Eltern, meiner geliebten Mutter, waren ein Traum. Es war alles geschehen. Alles! Die Qualen wuchsen ins Unermessliche, und gerade als ich befürchtete meinen Verstand unter der Last der Verzweiflung und Trauer zu verlieren, breitete sich ein Schatten auf meiner Seele aus. Er drückte meinen Atem tief in die Brust, bis ich dachte, daran zu ersticken. Dann, auf der Schwelle des Todes, löste sich der Druck, und ich empfand nichts mehr.

      Halte deinen Verstand beisammen. Ohne ihn wird es schwierig, erklang ihre goldene Stimme in der Leere meines Herzens. Deine Göttin wacht über dich. Komm, sieh ihn dir an. Es wird dein erstes Meisterwerk von vielen sein.

      Ihre Stimme führte mich zum Leichnam des Soldaten und ein böses Lächeln verzerrte mein Gesicht. Statt der Trauer verspürte ich nun Stärke und Stolz.

      Mit Ahm Fen an meiner Seite, wer konnte mich da noch aufhalten?

      Im eisigen Wasser, eines nahe gelegenen Baches, nahm ich ein schnelles Bad, versorgte und verband meine Wunde. Ich säuberte den Mantel meiner Tante, den ich nicht mit ihr unter der Erde vergraben konnte. Ich musste die Vergangenheit löschen, aber ich konnte mich nicht von dem Geruch des Mantels trennen. Es war, als hielt ich ein Stück Liebe in den Händen. Sie starb für mich und ich würde Bakta noch einige Zeit mit mir tragen, damit die Nächte nicht zu lang und dunkel wurden.

      Außerdem diente der Mantel zusätzlich als Schutz, denn an meiner Stammeskleidung, die ich nicht vollständig ablegen konnte, würden die Soldaten des finsteren Königs mich sofort erkennen. Unter dem Stoff verbarg ich den Dolch des Soldaten, an dem in der Zukunft das Blut unzähliger Opfer haften sollte. So zumindest hatte Ahm Fen es mir versprochen.

      Mit Ahm Fen in meinen Gedanken schritt ich den Pfad entlang. Mühsam setzte ich einen Fuß nach dem anderen. Am Abend vernahm ich das Geräusch eines näher kommenden Wagens und in der Ferne erkannte ich Reiter und Pferde, die vor dem Wagen gespannt mit hängenden Köpfen trabten. Es war ein ungewöhnlich großer Wagen, und je weiter die Gefolgschaft sich mir näherte, desto deutlicher vernahm ich einen süßlichen Geruch. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, woher ich diesen Geruch kannte. Als ich die erste schwarze Rüstung in der Ferne erblickte, wusste ich wo ich ihn zum ersten Mal vernommen hatte. Es war der Duft des Todes. Schwer nach Erde, süßlich riechender Tod.

      Mein Herz hämmerte so hart in meiner Brust, dass die Übelkeit in mir hochstieg. Die Soldaten des finsteren Königs hatten mich entdeckt. Zum Weglaufen war es nun zu spät.

      Zehn Soldaten in schimmernder Rüstung, bewaffnet mit Silber glänzenden Schwertern, fuhren an mir vorbei und hielten nach Anweisung des Hauptmannes die Pferde an. Düster blickten zahlreiche Augenpaare auf mich herab. Kühl und unschuldig versuchte ich ihren Blick zu erwidern, doch die blanke Angst stand hinter meinen Augen geschrieben.

      „Mädchen, was machst du alleine am Straßenrand?“, neugierig beugte sich der Soldat mit dem goldenen Helm zu mir herunter. Zum ersten Mal in meinem Leben dankte ich meinem kleinen und zierlichen Körper. Die Männer erkannten nicht den Riesen, sondern nur ein Menschenkind in mir.

      Erneut dankte ich meinem Vater in Gedanken für seine strenge Erziehung, und dass er darauf bestand, dass ich ihre Sprache erlernte. Das war meine Chance auf Rache.

      „Dorfbewohner des Ahm Fen Stammes haben meine Gefährten und mich im Wald angegriffen. Sie stahlen unseren Proviant und töteten meine Freunde. Ich konnte rechtzeitig fliehen, jedoch nicht unverletzt...“, log ich stockend und wies auf meinen Verband, der nass und klebrig an meinem Kopf haftete. „Ich bin müde. Ich habe Hunger und Durst. Überlasst mich meinem Schicksal.“

      Mit einem Satz sprang der Hauptmann vom Wagen. Das Gold seines Helms glänzte poliert in der Abendsonne und als er mich unerwartet an den Schultern packte und auf die Füße setzte, unterdrückte ich einen leisen Schrei. Seine Berührungen waren kalt und grob. Sein Atem stank nach Alkohol, altem Fisch und verdorbenen Essen.

      „Ahm Fen Bastarde, ja?“, rief er den anderen Soldaten spöttisch zu. Der Dolch legte sich wie von alleine in meine Hand. „Unmöglich, kleines Mädchen. Wir haben letzte Nacht alle getötet. Es hat keiner die Dunkelheit überlebt. Sieh selbst.“

      Mit einer Handbewegung gab er mir zu verstehen, in das Innere des Wagens zu blicken. Langsamen Schrittes näherte ich mich der hinteren Seite, strich über das glatte Holz und spürte an meinen nackten Fußsohlen jeden einzelnen Kieselstein. Meine Zähne klapperten aufeinander. Ich biss mir auf die Zunge und schmeckte mein eigenes Blut. Am hinteren Teil des Wagens blieb ich stehen, blickte

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