Lübeck - ausgeplaudert. Eckhard Lange

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Lübeck - ausgeplaudert - Eckhard Lange

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inzwischen an die Trave übergesiedelt und mit dem Herzog seit langem freundschaftlich verbunden. Er handelte mit dem Kaiser eine Waffenpause aus, damit der Lübecker Rat nach Stade schicken konnte. Der Kaiser mag gerührt gewesen sein über so viel Biederkeit - da war er aus den eigenen Kreisen anderes gewohnt - Heinrich war da das beste Beispiel. Doch der geschasste Herzog gewährte gnädigst das Erbetene.

      So empfingen nun die Bürger Lubekes den hohen kaiserlichen Herrn mit aller Ehrerbietung: Feierlich wurde er in die Stadt geleitet, mit Hymnen und Lobgesängen, wie die Chronik vermeldet, und das nicht ohne Grund: Denn was würde mit all den wichtigen Privilegien geschehen, die Heinrich gewährt hatte, wenn es nun keinen Sachsenherzog mehr gab? Wer würde Stadtherr werden, Schutzherr in gefährlichen Zeiten? Und der Kaiser gab sich großzügig: Nicht nur all diese Rechte gewährte er, sondern auch manches mehr. Vor allem Land rings um die Stadt und Besitzrechte auf dem Wasser übertrug er den Bürgern Lübecks – ein unschätzbarer Gewinn im Dauerstreit mit den Holsteiner Grafen.

      Und 1188 legten ihm Lübecks Gesandte dann noch einmal eine schöne Urkunde vor, die man eigens für ihn aufgeschrieben hatte, mit alledem, was er zugesagt hatte – und vielleicht noch ein bisschen mehr? Schaden könnte das ja nicht, und das Original wäre schließlich nur in Lübeck einzusehen. Jedenfalls bestätigte Friedrich Barbarossa feierlich, dass Lübeck nicht etwa den Grafen von Holstein, sondern allein dem Kaiser unterstellt sei. Die Verwaltung aber blieb dem Rat vorbehalten, er konnte ordnen, was es zu ordnen gab, zum Besten der Stadt und ihrer Bürger. Lübeck war eine freie Stadt des Reiches geworden – aber nur, wenn das Reich stark genug und willens war, das auch durchzusetzen.

      4. Lübeck – Stadt der Kaufleute

      In jeder Stadt des Heiligen Römischen Reiches, gleich ob schon aus römischen Zeiten herübergerettet oder neu gegründet, gab es eine ständische Ordnung: Es gab Krämer und Großkaufleute, es gab Handwerker unterschiedlichster Art und Bedeutung, organisiert in Zünften, Gilden oder Ämtern, es gab Mägde, Knechte, Gesellen, Lehrlinge, Tagelöhner und „unehrliche“ Berufe wie den Abdecker oder den Henker, aber auch den Spielmann oder den Barbier. Und es gab eine Hierarchie im System der Mitbestimmung am Schicksal der Stadt: Da waren die herrschenden Familien, „ratsfähig“ nannte man sie in Lübeck, Patriziat in anderen Städten, da war die gar nicht so große Zahl der einfachen Bürger, also im Besitz des Bürgerrechts und damit in meist recht geringem Maße mitbeteiligt an manchen Entscheidungen, und da war die große Menge bloßer Einwohner, weil sie die Bedingungen für einen Bürgereid nicht erfüllten: Grundbesitz, bestimmte Einkünfte, freie und 'ehrliche' Geburt. Und männlich mussten sie auch sein! Demokratisch sieht anders aus. Aber dieser Begriff stammt schließlich aus einer anderen Zeit. Heute würde man das eine Oligarchie nennen.

      Lübeck war da keine Ausnahme, im Gegenteil: Seit dem ersten Tag waren es die Fernhändler, die hier schon vor der Gründung lebten und handelten, Männer, die sich um des Handels willen zusammentun mussten und dann wohl auch als eine Art Schwurgemeinschaft dem Stadtgründer gegenüberstanden. Jedenfalls stellten sie die Verhandlungspartner des Stadtherrn, aber auch die ersten Männer, die Verantwortung übernahmen für gemeinnützige Aufgaben. Schließlich ging es bei allem um ihre Existenzgrundlage, den freien Handel. Aber auch adlige oder (obwohl das im Grunde dasselbe war) geistliche Stadtherren anderweitig förderten die Kaufleute in ihren Städten nach Kräften, denn ihre Tätigkeit war auf Gewinn ausgerichtet, während das Handwerk sich mit Selbstversorgung zufriedengab. Und Gewinn lässt sich abschöpfen – durch Zölle, Abgaben, Steuern. Daher der Boom der Stadtgründungen im 11. und 12. Jahrhundert!

      Daher auch die Bereitschaft der adligen Herren, dieser neuen Schicht neue Rechte einzuräumen. Denn eigentlich waren im christlichen Weltbild Handeltreibende gar nicht vorgesehen. Die Gesellschaft bestand, so wusste man, aus drei tragenden Säulen: demAdel, dem Klerus und der – arbeitenden – Landbevölkerung, oder, wie man es formuliert hat: bellatores, der Wehrstand, oratores, der Lehrstand und laboratores, der Nährstand. Konnte man zum letzteren notfalls auch die Handwerker rechnen, der frei herumreisende Händler passte dort nicht hinein. Er war zwar Untertan und Bürger, aber zugleich auch Abenteurer und Weltbürger; er besaß Haus und Grund und erwirtschaftete doch sein Vermögen durch Kauf und Verkauf; er war reich nicht wegen der Hufen in seinem Besitz, der Abgaben seiner Hörigen, sondern weil sich in seiner Truhe gemünztes Silber ansammelte. Und er trat Adel und Klerus zunehmend selbstbewusster gegenüber.

      Nehmen wir also ein wenig Anteil an einem lübischen Kaufmann! Nennen wir ihn Johann Bardewick, unseren erdachten Handelsmann. Denn er war von dort – aus der damals noch florierenden Metropole Bardowiek – ins aufstrebende Lubeke gekommen, mit Sack und Pack sozusagen. Er war also neu in der Stadt an der Trave, aber kein Unbekannter, hatte er doch schon seit Jahren erfolgreich im Salzhandel mitgemischt. Seitdem aber die Ilmenau jetzt auch bis Lüneburg schiffbar wurde, fiel Bardowiek als Umschlagplatz fort; und außerdem hatte Herzog Heinrich seine Gunst ganz der neuen Hafenstadt zugewandt. Da war es lohnender, seine Geschäfte gleich von dort aus abzuwickeln. So erwarb Johann ein noch unbebautes Grundstück in der Mengstraße, dicht am Hafen, errichtete dort ein Hallenhaus, wie es in seiner sächsischen Heimat üblich war – dreischiffig mit kräftigen Hölzern als Pfeiler, um auch den weiten Boden unter dem Reetdach gut nutzen zu können.

      Das nötige Vermögen hatte er aus Bardowiek mitgebracht, und es half ihm auch, möglichst rasch den Eid auf den Rat abzulegen, um die Bürgerrechte zu erhalten. Sein Weib, die zwei Söhne und drei Töchter waren ihm gefolgt, und für Trineke, die jüngste, hatte er schon einen Vertrag mit der Oberin des gerade erst geweihten Johannesklosters geschlossen, falls er sie nicht unter die Haube bringen konnte. Hinrich, sein Ältester, war schon fast erwachsen und würde ihn bald auch auf seinen Fahrten begleiten können. Denn Johann hatte vor, seine Geschäfte auszuweiten: Schon aus Bardowick hatte er Anteile an drei lübischen Schiffen erworben, und auf einem wollte er sich zum ersten Mal in seinem Leben auf die stürmische See begeben.

      Vorsorglich hatte er beim Rat ein Testament hinterlegt, bezeugt von zwei Ratsherren, und außerdem dem Altar des Heiligen Nikolaus als Schutzpatron der Schiffer zwei große Wachskerzen gestiftet. Übrigens war Nikolaus gleichsam umgezogen: Der Herzog hatte dem Wunsch des Oldenburger Bischofs stattgegeben, den Sitz des Bistums nach Lubeke verlegen zu dürfen, hatte ihm Grund und Boden im Süden des Stadthügels geschenkt und dort ein erstes, noch recht bescheidenes Oratorium errichten lassen, damit Bischof und Domherren die Messe feiern konnten.

      Vor allem aber hatte er einige Jahre später feierlich den Bau eines steinernen Domes begonnen, einer Basilika von beträchtlichem Ausmaß, wie sie einem Bischof gebührte. Selbst der Erzbischof aus dem fernen Bremen war angereist, um der Weihe des Grundsteins die nötige Würde zu geben.

      Und der Backstein imponierte anscheinend dem Herzog als Baumaterial, so dass er ihn nicht nur für seine Burg im Norden der Halbinsel verwendet, wo diese Ziegel bis auf den heutigen Tag das Fundament am Burgtor bilden. Er nutze sie einige Zeit später, als er schon den Zorn seines kaiserlichen Vetters zu spüren bekam, auch für die bürgerliche Civitas, also den besiedelten Teil auf der Mitte des Hügels, die er nun mit einer Backsteinmauer gegen einen befürchteten Angriff sicherte.

      Um auf Johann zurückzukommen: Er plante also, die Insel Gotland anzusteuern, denn der Herzog hatte nicht nur den Gotländern zollfreien Handel in seinen Territorien zugesichert, sondern im Gegenzug auch die Rechte seiner lübischen Kaufleute dort auf der Insel gefestigt – ein weitsichtiges Abkommen war so 1160 zustande gekommen. Wir berichteten bereits davon, Die Schwurgemeinschaft der deutschen Gotlandfahrer hatte nun feste Häuser und einen ständigen Vertreter dort auf der Insel, gleichsam einen zollfreien Hafen und eine exterritoriale Siedlung. Auf Gotland landeten die Nordmänner schließlich alle Waren an, die sie aus Nowgorod und von den Häfen der Esten und Kuren herbeibrachten.

      Aber der Schiffsführer, dem sich Johann anvertraut hatte, wollte mehr: selbst von Gotland aus die ferne Küste ansteuern, hinter der dieses sagenhafte Nowgorod lag – ein großes Abenteuer,

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