Lübeck - ausgeplaudert. Eckhard Lange
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In der Tat: Für die Lübecker war nun guter Rat teuer geworden. Auf ihre Freiheit als Stadt des Reiches zu pochen, wäre ebenso nutzlos wie unklug. Aber Geschäftsleute pflegen realistisch zu denken. Und zur Realität gehörte: Mit der Grafschaft Holstein kontrollierte der Däne den Weg nach Hamburg und in den Westen des Reichs, mit der Grafschaft Ratzeburg die Handelsstraße nach Lüneburg, auf der das kostbare Salz an die Trave kam. Und außerdem die Häfen an und die Wasserwege auf der Ostsee. Ja, hier war sie: die starke Hand, die man für den eigenen Handel als Partner brauchte.
Also - ausgesuchte Vertreter, beauftragt von der gesamten Bürgerschaft, ritten Herzog Waldemar entgegen, als er mit Heeresmacht durch die Grafschaft Ratzeburg zog, ein Angebot in den Satteltaschen: die freiwillige Unterwerfung, wenn – ja wenn der dänische König doch bitteschön die lübischen Privilegien gnädigst bestätigen wolle. Und er wollte! Es ist wohl bezeichnend, dass im gleichen Jahr auch der Begriff „consules“ für die Repräsentanten der Stadt auftaucht, also selbständig handelnde Ratsherren wie einst im antiken Rom. Und dieses Recht, eigene politische Entscheidungen zu treffen, auf Augenhöhe mit den adligen Herren aus der Nachbarschaft zu verhandeln – es ist und bleibt der größte Gewinn, den die Lübecker in diesen Jahren errungen haben.
Im Sommer 1202 bemüht sich der König persönlich in die Stadt, und er wird dort überaus freundlich und ehrenvoll empfangen. Das gleiche gilt für seinen Bruder und Nachfolger Waldemar II., der mehrfach Lübeck besucht, und er gibt es den Lübischen auch schriftlich - in einer Urkunde bestätigt er einfach das, was Herzog Heinrich und Kaiser Friedrich der Stadt zugesichert haben. Punktum und gesiegelt. Warum also sollten die Lübecker unzufrieden sein mit ihrem neuen dänischen Stadtherrn? Das haben erst die Nationalisten des 19. Jahrhunderts erfunden, als würde hier eine ausländische Besatzungsmacht die armen Deutschen unterdrücken.
Gut zwei Jahrzehnte haben die Kaufleute von der Trave von der schützenden Hand des Dänenkönigs profitiert, der ihnen wieder die Handelswege in den Norden eröffnet hat und auch die Stadt selbst nach Kräften förderte, wie wir noch sehen werden. Schließlich brachte sie ihm gutes Geld. Doch irgendwann begann sein Stern zu sinken, und als der Graf von Schwerin ihn mit einem Handstreich gefangen setzte – und den Kronprinzen gleich mit – zerbrach das dänische Großreich, und andere Herren galt es zu beachten. Doch, sind Kaufleute nicht kluge Realisten? So finden wir dann die lübischen Pfeffersäcke – oder genauer deren rasch angeheuerte Söldnertruppe – in der entscheidenden Schlacht zwischen Waldemar und Graf Adolf (nun bereits der Vierte seines Namens) nebst dessen norddeutschen Verbündeten auf der Heide von Bornhöved auch auf der Seite der Sieger. Doch das war erst 1227. Dazwischen lag, trotz einiger Rückschläge, die große Wachstums-Periode der Travestadt.
7. Lübeck – Boomtown des 13. Jahrhunderts
Als König Knut in Lubeke einzieht, bedeckt die Civitas gerade einmal ein Viertel des Hügels – eben jenen Teil, der sich von der Höhe herab etwa zwischen Mengstraße und Holstenstraße zum Traveufer hinabzieht. Und auch der – umschlossen von der hastig aufgezogenen Mauer Herzog Heinrichs – ist immer noch weitläufig bebaut. Hier steht ein Holzhaus mit in den Boden vertieften Pfosten, dort ein Ständerbau, dessen Ständer und Bohlen auf einem Ringbalken sitzen und oben ebenfalls mit Balken beschlossen werden. Viele Häuser haben bereits Keller, meist mit einem Zugang von außen, und manche auch ein Obergeschoß. In den Höfen sieht man gelegentlich Blockhütten für das Vieh. Steinbauten außer Mauer und Kirchen zählen dagegen zu den Raritäten im Stadtbild. Und dennoch: Der Besitz dieser Stadt, die mehrere Landwege aus dem Reich bündelt, um über die untere Trave sie dann wieder weit zu fächern in den Weiten der Ostsee – ihr Besitz also bedeutet, den größten Teil des Handels in Nordeuropa zu kontrollieren und entsprechend sich einen guten Anteil an dessen Gewinnen zu sichern.
Als die Stadt sich dann gut zwanzig Jahre später wieder der dänischen Herrschaft entzieht, bietet sie ein völlig anderes Bild: Der Hügel ist jetzt weitgehend bebaut, schmale und tiefe Grundstücke entlang der Straßenzüge sind die Regel, und zumindest die Hauptgebäude darauf haben steinerne Mauern und Dächer aus gebrannten Ziegeln. Auf dem einst leeren Gelände zwischen Civitas und Burg erhebt sich nun an einem weiten Platz der imposante Bau der Jakobikirche, und auch zwischen Dombezirk und Johanniskloster auf dem südöstlichen Hang reihen sich die Häuser vieler Handwerker, allerdings eher in Fachwerk errichtet, um eine vierte Kirche, dem heiligen Ägidius geweiht und von den Lübeckern deshalb Tilgenkark genannt.
Wie ist es dazu gekommen? Begleiten wir einmal den Sohn unseres erdachten Johann von Bardowick, Elver von Bardewik. Einen Mann dieses Namens hat es übrigens wirklich gegeben, auch wenn wir nur das von ihm erfahren: Er war im Jahre 1200 einer der Bürgermeister der Stadt, hat also mindestens seit dieser Zeit im Rat gesessen. Mit diesem Wissen lassen wir ihn teilhaben am Geschehen, rücken ihn als Vertreter des Rats einfach ganz in die Nähe zum dänischen Stadtvogt Albrecht von Orlamünde. Der aber hat einen ehrgeizigen Plan König Waldemars auszuführen: Lübeck gleichsam zur Großstadt zu machen.
Die leeren Flächen auf dem Stadthügel an Siedlungswillige zu vergeben, war keine große Kunst: Immer mehr Menschen drängten sich in die Stadt an der Trave – Fernhändler aus Westfalen und sogar aus dem Rheinland mit guten Beziehungen nach Flandern und England, Kaufleute aus Lüneburg und Braunschweig, aber auch wagemutige Männer aus dem Westen des Reiches, Kleinhändler und vor allem Handwerker wie Helmschmiede und Plattner, Nagelschmiede und Böttcher, Knochenhauer und Bäcker. Dazu kamen die vielen Schifferknechte und die Schiffsführer, die nicht nur Kapitäne, sondern meist auch Reeder waren – nach unseren Begriffen. Und überall brauchte man Knechte und Gesellen, Träger, Handlanger und Gelegenheitsarbeiter – und natürlich auch Mägde für den Haushalt. Unser Elver hatte viel zu tun, allen einen Bauplatz zuzuweisen, soweit nicht die Großkaufleute sich die Grundstücke längst gesichert hatten und nun selber vermieteten.
Bald jedoch war der gesamte Hügel besiedelt, soweit er festen Baugrund bot. Auch die eher bäuerlich-weitläufigen Gehöfte im ältesten Viertel der Stadt wurden nun aufgeteilt, immer häufiger sah man dort steinerne Häuser mit einem großen Saal im Obergeschoß und gewölbten Kellern, auch mancher Speicher wich nun einem turmähnlichen Gebäude aus Backstein. Doch der Platzmangel blieb. Und jetzt lassen wir unseren Elver von Bardewik einfach einmal aktiv werden!
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Wie so oft, geht der Bürgermeister Elver die Mengstraße zum Hafen hinunter, um das Entladen seiner Waren zu beaufsichtigen. Doch diesmal schweifen seine Gedanken ab. Es herrscht wieder einmal unübersichtliches Gedränge an der kurzen Kaimauer, die man am Ufer gezogen hatte. Schließlich ist sie gerade einmal knapp vierhundert Schritte lang, denn rechts und links dehnt sich sumpfiges Gelände, schilfbewachsen bis weit zum Fuß des Stadthügels. Nicht umsonst haben unsere Vorfahren die Straßen dort fossae, Gruben, genannt, denkt Elver. Und wieder kommt ihm dieser Gedanke, der ihn schon lange bewegt: Man müßte den Hafen dorthin verlängern, den morastigen Boden trockenlegen. Doch das würde nicht reichen, jedes Hochwasser im Frühling wird ihn überschwemmen. Das Ufer muß auch hier höher werden. Plötzlich bleibt er stehen: Und wenn nun gleich das ganze Gelände bis hinauf zum Hügel aufgeschüttet würde? Das gäbe viel Raum für neue Häuser, neue Grundstücke.
„Ja,“ sagte er leise vor sich hin: „So könnte es gehen.“ Entschlossen wendet er sich um, geht wieder die Straße hinauf, wendet sich nach links und eilt über den Koberg auf das prächtige Haus des Stadtvogtes zu, läßt sich Herrn Albrecht von Orlamünde melden.
Erstaunt über den unerwarteten Besuch, läßt Graf Albrecht den Gast in sein Schreibgemach bitten.