Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes. Bettina Reiter

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Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes - Bettina Reiter Liebesromanzen in St. Agnes/Cornwall

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besorgte, blieb ihr jedoch ein Rätsel. Wenigstens war in letzter Zeit nichts mehr zu ihrem Schuldenberg hinzugekommen.

      Missmutig schob Annie mit der Hüfte die Schublade zu und zerstampfte den Spinat im kleinen Topf, damit er schneller auftaute. Dann legte sie den Kochlöffel neben den Herd, holte das Haargummi aus ihrer Jeans und verknotete damit ihr langes Haar im Nacken. Ob sie nachher joggen gehen sollte? Obwohl ihr nach dem anstrengenden Arbeitstag die Lust dazu fehlte, musste sie sich auspowern, sonst würde sie allmählich verrückt werden. Davon abgesehen täte ihr etwas Sport gut, weil sie sich Kummerspeck zugelegt hatte. Leider war ihr innerer Schweinehund noch nie so stur gewesen. Ohnehin hatte sie kaum Zeit für irgendwelche Hobbys. Dabei hatte sie früher so gern fotografiert oder gelesen und zählte zu den Stammgästen in der örtlichen Bücherei. Mrs. Wilde würde im Dreieck springen vor Freude, dass sie freiwillig ein Buch in die Hand nahm. Tja, sobald man etwas nicht mehr tun musste, machte es eben Spaß.

      „Es tut mir leid, Annie“, ertönte plötzlich die heisere Stimme des Vaters hinter ihr. „Aber du hast keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man alles verloren hat.“

      „Oh doch, Dad, das kann ich bestens nachempfinden.“ Annies Groll wuchs wieder.

      „Ach ja?“, begehrte er auf, „hat dich auch die Liebe deines Lebens verlassen?“ Ihr Vater hatte wohl Roger Sanders vergessen! „Deine Mutter war alles für mich. Nichts wollte ich mehr als mit ihr alt werden. In guten wie in schlechten Zeiten. Aber sie musste sich ja unbedingt als Malerin selbst verwirklichen.“

      „Du hast ihre Kunst nie ernst genommen. Dabei ist Mom wirklich talentiert.“ Derzeit stellte sie in einer renommierten Galerie in New York aus. Das wusste Annie von ihrem Onkel Jeremy, der regelmäßig Kontakt zu ihrer Mutter hatte. Sie hingegen war froh, wenn sie nichts von ihr hörte, da sie sich im Stich gelassen fühlte. Deswegen nahm sie selten einen Anruf an, wenn sich ihre Mom meldete. Tat sie es doch, verliefen die Gespräche ziemlich einsilbig. Annie hatte ihr wenig zu sagen, denn die Mutter lebte ihren Traum, sie hingegen war in der Hölle gelandet. Mit diesen Vorwürfen endeten die Telefonate meistens, was sie mitunter traurig machte, da sie ihre Mutter andererseits vermisste. Aber sie als Schuldige zu sehen war im Augenblick einfach stärker.

      „Ja, ja, hilf du nur zu Mary. Wie alle hier im Ort.“

      „Bloß, weil ich ihr Talent sehe, heißt das noch lange nicht, dass ich mich auf Moms Seite stelle.“ Annie schob Pfanne nebst Topf von den heißen Herdplatten und schaltete sie aus, bevor sie sich umdrehte. Der Vater lehnte am abgewetterten Türrahmen und hatte sichtlich Mühe, das Gleichgewicht zu halten. „Auch im Ort stellt sich keiner auf Mutters Seite. Das bildest du dir ein“, sagte sie betont sanft. In diesem Zustand konnte man ohnehin kaum vernünftig mit ihm reden.

      „Das bildest du dir ein“, äffte er Annie nach und lachte spöttisch auf. „Denselben Wortlaut hast du vor zwei Jahren benutzt.“

      „Weil ich nicht einmal im Traum daran gedacht hätte …“ Annie hob hilflos die Arme und erinnerte sich daran zurück, als ihr Vater völlig aufgebracht von dem Gerücht erzählte, dass ihre Mom eine Affäre hätte. Mit Kurt, einem Aktmodell! Ausgerechnet sie, die völlig in ihrem Dasein als Mutter und Hausfrau aufgegangen war. Doch das war ein Trugschluss gewesen. In Wahrheit musste sie schon lange mit ihrem Leben gehadert haben. Wie sonst ließ sich diese Hals-über-Kopf-Liebe erklären? Kaum aufgeflogen, hatte ihre Mutter die Scheidung eingereicht und war mit ihrem halb so alten Lover nach Amerika geflogen, um dort ein neues Leben zu beginnen. „Mom hat sich die Entscheidung sicher nicht leicht gemacht“, versuchte Annie eine Erklärung, die selbst in ihren Ohren nach lapidarem Trost klang. Aber wenn es half, damit sich der Vater besser fühlte …

      „Von wegen! Innerhalb von einer halben Stunde hat sie unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt“, wurde er lauter. „Kurt, der dreißigjährige Muskelprotz. Kurt, der Frauenversteher und Kurt, der Kunstkenner. Noch dazu ist der Typ lediglich ein Jahr älter als du! Hätte ich ihr doch niemals den Gutschein für diesen Malkurs geschenkt. Dann wäre sie noch hier und unser Leben würde in geordneten Bahnen verlaufen.“

      Annie seufzte. Ihre Mutter war damals regelrecht aufgeblüht, nachdem der Malkurs in der Nachbargemeinde begonnen hatte. Fälschlicherweise war sie der Meinung gewesen, dass ihr plötzlicher Enthusiasmus daher rühren würde, dass sich ihre Mom endlich vom Vater ernst genommen fühlte. Bis dahin hatte er ihre kleinen Ausstellungen im Ort oder in der Umgebung eher amüsiert zur Kenntnis genommen und ihre Kunst als lächerliches Hobby abgetan. „Mutter war schlichtweg unglücklich. Wir haben es bloß beide nicht gemerkt.“ Zum ersten Mal rief sich Annie bewusst vor Augen, dass nicht nur die Mutter Fehler gemacht hatte und dachte an ihre Kindheit zurück. An die vielen Situationen, in denen sie traurig wirkte, weil der Vater ihr keine Beachtung schenkte. In derselben Sekunde schob sie die Erinnerungen jedoch weit von sich. Fehlte noch, dass sie Mitleid mit ihr bekam oder Verständnis entwickelte. Immerhin ging es ihrer Mom im Gegensatz zu ihnen blendend.

      „Deine Mutter war glücklich!“, beharrte der Vater. „Bis dieser schleimige Adonis kam und ihr schöne Augen machte.“

      Annie lehnte sich an die Arbeitsfläche und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ihr seid nicht die Einzigen, die sich scheiden lassen, Dad.“

      „Siehst du, und das ist mein nächstes Problem. Wozu die Eile? Soll sie sich meinetwegen austoben, so lange sie zu mir zurückkommt. Aber was, wenn sie diesen Kurt heiraten will?“ Er klang so verletzt, dass Annies Herz überfloss vor Mitleid. „Entschuldige, schon wieder belaste ich dich mit meinem Kram.“ Er wischte sich mit dem Handrücken über die hohe Stirn. „Du mühst dich ab und ich bemitleide mich selbst.“

      „Schon gut, Dad.“

      „Nein, nichts ist gut! Meine Tochter geht putzen, statt dass sie das Geschäft ihres Großvaters weiterführt.“ Er musterte sie. „Und wenn ich dir in die Augen sehe, Annie, erkenne ich dieselbe Traurigkeit wie bei deiner Mutter.“ Als könnte er ihrem Blick nicht länger standhalten, fixierte er seine Hauspantoffeln, die einige Brandflecke aufwiesen. „Es ist nicht einfach, eigene Fehler zuzugeben und in meinem Fall reden wir von vielen. Mein größter war, dass ich zu wenig auf deine Mutter eingegangen bin. Aber jetzt ist es zu spät. Andererseits kann sie froh sein, dass sie mich los ist. Ich bringe allen nur Unglück.“

      Sämtliche Alarmglocken schrillten in Annie und nackte Angst erfasste sie. „Dad, du drohst jetzt nicht wieder damit, dass du dich …“

      „Keine Sorge“, unterbrach er sie, „wenn ich mich erhängen will, sage ich dir vorher nicht mehr Bescheid.“

      „Wie beruhigend.“ Annie schüttelte den Kopf.

      „Du solltest endlich dein eigenes Leben führen“, sagte er plötzlich leise.

      „Das mache ich doch.“

      „Nichts tust du, Annie. Glaubst du, ich weiß nicht, welche Opfer du bringst? Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich dir das antue. Aber ich kann nicht aus meiner Haut.“

      Natürlich hätte sie gehen können, doch was dann? Sie war die Einzige, die ihm Halt geben konnte und fühlte sich für ihn verantwortlich.

      „Jede Nacht wünsche ich mir, dass ich das Rad der Zeit zurückdrehen könnte“, gab der Vater zu. Diese Offenheit war neu für Annie. Damit schuf er eine Nähe, die sie lange nicht mehr hatten. „Jede verdammte Nacht, wenn ich allein in unserem Bett liege und auf die leere Seite starre.“ Er hatte Tränen in den Augen. „Mary hat mich oft zur Weißglut gebracht mit ihrem Schnarchen. Diesem ständigen Aufstehen mitten in der Nacht oder ihrer Schlaflosigkeit. Aber genau das vermisse ich am meisten.“

      Annie trat zu ihm

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